Anfang des Jahres 2021 war die Welt noch in Ordnung. Aber dann kam der NFT-Hype, und auf einmal war die Kunstwelt nicht mehr cool, sondern "traditionell" – in Abgrenzung zur neuen Welt der "Crypto Art". Fortan betrachtete die alte Kunstwelt die neue mit einer Mischung aus Erstaunen und Abscheu wie ein seltenes Insekt (igitt, wie schnell es krabbelt, wie merkwürdig es glänzt!). Diese wiederum konfrontierte die alte Kunstwelt mit dem Vorwurf, sie sei elitär und undemokratisch – weil da nicht einfach jeder berühmt werden könne ohne jegliche Relevanz und super viel Lob bekäme und Millionen Fans und ganz schnell reich würde, so wie es in der "Crypto Art Bubble" halt lief.
Jetzt, über ein Jahr später, muss man sich zwingen, keine Luftanführungszeichen zu machen, wenn man sich als der "traditionellen" Kunstwelt zugehörig beschreibt; einfach weil klar ist, wie bescheuert die Unterteilung ist und wie unmöglich, zwischen beiden wählen zu müssen. Denn alles Neue erwächst aus dem bereits Vorhandenen, und die Kunst ist eigentlich die letzte, die sich Innovationen gegenüber versperrt, das macht nur der "Betrieb".
Weil aber der "neue" Teil der Kunstwelt über einen solchen noch nicht wirklich verfügt, ist er letztlich sehr viel offener für Austausch als der alte, wie man erst neulich wieder auf einem Event namens NFTBerlin erleben konnte, einer Konferenz mit angedocktem Ausstellungsprogramm zur Lage des NFTs in der Alten Münze in Berlin.
Welcher analoge Raum kann so etwas schon leisten?
Lili Feyerabend, die Gründerin von NFTBerlin, hat sich mit der deutschen Hauptstadt einen ziemlich harten Kunstbetriebsbrocken ausgesucht, was Offenheit gegenüber neuen Einflüssen von außen betrifft. Doch das ficht sie nicht an, denn zum einen baut sie auf eine energetische internationale Community in einer wachsenden Berliner Blockchain-Technologie-Landschaft. Und zum anderen ist sie sich sicher, dass die wichtige Rolle, die Kryptokunst in dieser Landschaft einnimmt, immer mehr Teile der herkömmlichen Kunstszene anziehen wird.
So verständlich deren Ablehnung dem Neuen gegenüber auch sein mag – schließlich muss sie sich nicht einfach nur mit einer neuen Technologie auseinandersetzen, sondern mit einer, die gleich auch noch ihre eigene Kunstszene mitbringt –, das Ausstellungsprogramm enthält zu viele übergreifende Fragestellungen, als dass man "NFT Art" oder "Crypto Art" als isolierte Kunstformen betrachten könnte.
Das fängt an mit einer fundamentalen Frage: Wie sehr bestimmt die Natur von Kunst, in welcher Form sie gezeigt wird? Für das Ausstellen von NFTs haben die Experience Designer von OBJ.Studio als Antwort darauf zwar die unvermeidbaren Flachbildschirme gewählt, diese allerdings in eine Struktur gesetzt, in der auf die Werke reagierende Lichtelemente und Sounds eine ganzheitliche Raumerfahrung erzeugen. Manchmal wirkt das, was auf den Bildschirmen passiert, wie ein Fenster in dahinterliegende Welten, und ständig verändert sich die Raumwirkung, weil immer etwas Neues gezeigt wird: über 2500 Werke, gebündelt in Ausstellungen, die alle halbe Stunde wechseln. Welcher analoge Raum kann so etwas schon leisten?
Irgendwann muss man bei "Historic NFTs" nicht mehr schmunzeln
Das Team von BLNFT, einem Berliner Unternehmen für Kunst-NFT-Produktion und sonstige Digitalisierungsaktivitäten, hat einen Kessel Buntes kuratiert, und das ist positiv gemeint. Etablierte Positionen treffen auf unbekannte Neulinge, Rapper Cro stellt seine ersten Schritte in die (nicht nur digitale) Kunst vor, Holly Herndon zeigt ihre unheimlichen KI-Arbeiten, die Sammlung der "Everydays" von NFT-Hype-Urvater Beeple ist natürlich auch dabei.
Klar wird vieles des hier Gezeigten morgen niemanden mehr interessieren, aber einiges wird den Hype überstehen und dafür sorgen, dass man bei der Ausstellung "Historic NFTs" nicht mehr schmunzeln muss, weil sie eine Zeitspanne von gerade mal acht Jahren umfasst. Was wiederum verständlich erscheinen lässt, wenn sich Crypto Artists schon als "OG" bezeichnen, wenn sie erst seit drei Jahren Kunst machen.
Umso schöner, dass auch eine von Wolf Lieser von der DAM Galerie kuratierte Auswahl historischer Computer-Plots gezeigt wird, virtuelle Konzepte, ganz physisch auf Papier. Daneben hängt ein Lichtobjekt von Julius Lehniger, ein zwischen Zwei- und Dreidimensionalität oszillierender Kubus aus manuell gefertigten Glasleuchtröhren, ein analoges Handwerk kurz vorm Aussterben. Zur Sicherheit gibt es das Objekt aber auch in digital.
Ideale Brückenschläger zwischen den Welten
Genauso wie das Berghain-Modell aus Kork in einer Glasvitrine von Philip Topolovac: In Zusammenarbeit mit 3D-Künstler Neopen ist eine Serie von NFTs entstanden, die nicht einfach nur digitalisierte Kopien des Modells, sondern unterschiedliche Versionen sind. Auch diese erforschen die zentrale Frage nach den Ausstellungsbedingungen von Kunst mit ihrem Fokus auf die Ambivalenz der Vitrine. Diese stellt ein Objekt in einen Raum und verweist zugleich darauf, dass außerhalb dieses Raumes noch ein weiterer lauert, der nie ausblendbar ist und immer Einfluss auf die Werkwahrnehmung hat. Genau, wie der virtuelle Raum immer auf den realen verweist und umgekehrt.
Überhaupt erweisen sich Künstler, deren Praxis in der "traditionellen" Welt verankert ist, die sich aber mit fundamentalen Fragen von Raumerfahrung beschäftigen, als ideale Brückenschläger zwischen den Sphären. Das gilt auch für Nik Nowak, der nicht erst seit der Pandemie darüber nachdenkt, in welcher Form er seine panzerartigen mobilen Soundskulpturen jenseits von realen Räumen vor Livepublikum noch zeigen könnte. Und der Virtual Reality als logische Weiterentwicklung zur Verbindung von Performer und Publikum betrachtet. Sein soundgewaltiges Boxenmonster "Panzer", das zum Abschluss der Konferenz die Alte Münze zum Vibrieren bringt, wird in The District VR, einer VR-Landschaft zur Abbildung der Berliner Clubwelt, eine weitere Präsenz bekommen.
Natürlich gibt es noch fundamentale Unterschiede in der Definition und Bewertung von Kunst, wie bei diversen Talks auf der Konferenz deutlich wird, aber genauso viel Wunsch nach Vermittlung. Auch Kryptokunst brauche Kritiker und Kuratoren, fordert Maria Paula Fernández, die Gründerin einer Plattform für NFT-Ausstellungen namens JPG. Man müsse das Narrativ korrigieren, dass der "Crypto Space" demokratischer und inklusiver sei, meint Beatriz Ramos, Gründerin des Online-Kunstmarkts Dada. Und alle finden, man müsse NFTs auch als kulturelle statt nur finanzielle Assets begreifen.
Die neue Welt muss sich nur auf die Schultern der alten stellen
Das sind alles Steilvorlagen für die Vertreter der etablierten Kunstwelt, von denen leider noch viel zu wenige den Weg in die neue Szene finden. Auf der NFTBerlin jedenfalls sind wieder nur jene, die sich bereits seit Jahren um die Akzeptanzförderung von Digitalisierung und neuen Technologien im Kunstbetrieb bemühen, darunter die Kuratorin und Publizistin Anika Meier oder die Galeristin Johanna Neuschäffer von Office Impart.
In einem der Talks fällt irgendwann die Frage: Sind CryptoPunks Kunst? "Auf keinen Fall!", finden die alten Gatekeeper und "Natürlich!" die nativen Kryptokunstweltler. Wer Recht hat, darüber entscheidet aktuell noch das etablierte Bewertungskonstrukt eines gewachsenen Ökosystems, also die "alte" Kunstwelt. Aber die neue muss sich nur auf die Schultern der alten Welt stellen, dann können beide gemeinsam größer werden und zu einem Organismus verschmelzen. Und dann wird es auch keine NFT-Kunst und traditionelle Kunst mehr geben. Sondern nur noch Kunst.