Donald sieht mitgenommen aus. Von oben bis unten ist er mit schwarzer Farbe bekleckst, und der Kopf mit der schon leicht abgestoßenen Entennase wackelt bedrohlich. Homer Simpson neben ihm geht es nicht viel besser: die Glotzaugen verkratzt, ein Arm lose. Nur Elmo aus der "Sesamstraße" wirkt noch einigermaßen frisch. Reiste Joyce Pensato zu Ausstellungen, hatte sie immer einen Koffer voller solcher Cartoonfiguren dabei und erntet, wenn sie ihn am Flughafen öffnen muss, erstaunte Blicke. Diese Puppen, nach denen sie regelmäßig die Flohmärkte ihrer Heimat Brooklyn durchstöbert, waren ihr Arbeitsmaterial. Denn die Amerikanerin malte Comics – allerdings ganz anders als die Zeichner bei Disney oder Marvel. Die Farbe - immer nur Schwarz und Weiß - ist verwischt, abgekratzt, in neuen Schichten aufgetragen, Schlieren weichen Konturen der Figuren und Gesichter auf, Momente von Abstraktion.
Joyce Pensatos Werke der vergangenen Dekaden, egal ob Wandmalerei, Lack auf Leinwand oder Kohle auf Papier, sind alle Kreuzungen, auch in einem anderen Sinn, denn in ihnen mischen sich zwei ansonsten säuberlich getrennte Sphären: der abstrakte Expressionismus und die Archetypen des amerikanischen Cartoons. Pensato malte die unheimliche Begegnung zwischen Micky Maus und Jackson Pollock, vermählte Goofy mit de Kooning und gab dabei der Ikonografie der Popkultur eine neue Tiefe. Wie in einem Zerrspiegel ließ sie einen in die Pupillen eines Donald Duck blicken, der annähernd ausradiert ist, mit hängenden Mundwinkeln; sie präsentierte seltsame Monstren mit Schweinsnasen und manchmal auch nur glotzende Augenpaare, die aus tiefstem Dunkel auftauchen.
Joyce Pensato balancierte von Anfang an zwischen zwei Lebensweisen
Man braucht nicht immer Paul McCarthys explizite Videos, um die Abgründe hinter den funny faces zu sehen. Wahrscheinlich kam Pensato deshalb von diesen urtypischen Charakteren nicht los, weil sie ihre Begleiter in der Kindheit waren. Der Vater, Sizilianer aus einfachen Verhältnissen, kam in den 20er-Jahren nach Brooklyn und tat, wie so viele Immigranten, alles, um möglichst schnell Teil der Neuen Welt zu werden. "Er liebte die Touristenattraktionen New Yorks", sagte Pensato einmal im Monopol-Interview, "all die amerikanischen Symbole! Als mein Bruder und ich klein waren, machte er mit uns Picknick an der Freiheitsstatue. Und ich konnte nicht genug bekommen vom Broadway, von den Lichtern und den großen Bildern dort. Wir aßen zwar jeden Tag Pasta zu Hause – meine Mutter stammte auch aus einer sizilianischen Familie –, aber trotzdem wurde die US-Kultur mindestens so hoch gehalten wie der Katholizismus. Wir Kinder haben von unseren Eltern kein Wort Italienisch gelernt."
So verrührten die Pensatos die Kulturen – und Joyce balancierte von Anfang an zwischen zwei Lebensweisen. "Einerseits dachten meine Eltern, ich werde Sekretärin oder Lehrerin oder so etwas, vor allem aber eine brave Ehefrau und Mutter, wie es die Tradition verlangt. Andererseits erzählte mein Vater bei Tisch immer, wir Kinder könnten alles werden, was wir wollten. Und das galt auch für mich!"
Joyce nahm das Versprechen des amerikanischen Traums, das ihr Vater in der neuen Heimat so eifrig gelernt hatte, beim Wort. Sie ging zur Kunsthochschule, brauchte jedoch eine Weile, bis sie ihr Thema fand. "Ich malte groß und abstrakt. Meine Lehrerin sagte mir damals: Ich möchte, dass du dir Dinge anschaust. Und ich fand heraus: Was mich interessierte, war die Popkultur. In den 70ern habe ich erste Zeichnungen von Batman gemacht. Aber ich konnte das nicht auf die Malerei übertragen. Es funktionierte einfach nicht", sagt Pensato.
Danach sei sie lange Zeit sozusagen zwei verschiedene Künstlerinnen in einer Person gewesen: eine, die abstrakte, große Gemälde malte, und eine, die Comics zeichnete. Bis sie Ende der 80er mit ihrer Malerei in eine künstlerische Sackgasse geriet und deswegen beschloss, nur noch das zu machen, worin sie wirklich gut war – die Cartoonzeichnungen.
Die Verzweiflung in den Augen von Felix the Cat
Wenn man die Ergebnisse dieses schmerzhaften Prozesses anschaut, wird allerdings klar: Pensato hatte die Malerei gar nicht richtig verlassen, die Zeichnung hat die Malerei vielmehr in sich aufgesogen, und so ist endlich eins, was vorher getrennt war. Die Zeichentrickgestalten geben der Malerin Pensato mit all ihrer formalen Reife das Thema, das sie braucht – und sie gibt den Figuren etwas zurück: "Als ich in den späten 80er-Jahren anfing, Micky zu malen, haben mich zunächst seine abstrakten Formen fasziniert, diese Ohren als Kreise und so weiter. Dann merkte ich, dass er Ausdruck, Persönlichkeit bekam."
Was als Beschäftigung mit der reinen Struktur begann, mündete so in einer ganzen Bandbreite von gefühlsgeladenen Inhalten. Pensato fand die Verzweiflung in den Augen von Felix the Cat, ließ Kenny von "South Park" in geisterhaftem Weiß verschwinden, arbeitete aus den Zügen Homer Simpsons das Existenzielle heraus. Wo die Pop-Art die Oberfläche der Dinge feierte, nutzte Pensato die Popkultur, um in die Tiefe zu kommen. Ihre Mickys und Donalds sind Monster, aber auf eine subtile Weise: Sie müssen nicht das Messer zücken, es reicht, dass ihre Klarheit schwindet und ihre festen Oberflächen flüssig werden.
Pensato hat sich Zeit genommen mit ihrer Kunst
Mit den Cartoonserien kam der erste, bescheidene Erfolg. Seit den 90er-Jahren war Joyce Pensato zwar längst nicht berühmt, aber international präsent. Eine Serie von Museumsausstellungen vor allem in den USA hat die Linien sichtbar gemacht, die sich von ihrer Arbeit an der Symbolkultur Amerikas zu Kollegen wie Mike Kelley, Raymond Pettibon oder eben Paul McCarthy ziehen lassen. Mit Christopher Wool, der die Tradition der abstrakten US-Malerei auf andere Weise fortführt, war Joyce Pensato eng befreundet, allerdings gehört auch er einer jüngeren Generation an.
Pensato ist zwischen den Welten geblieben: zu spät, um wirklich zum abstrakten Expressionismus der 50er- und 60er-Jahre zu zählen, als Frau bei den Malerstars der 80er kaum willkommen, älter als die Installations- und Videokünstler, mit denen am Ende ihres Lebens ausstellte. Pensato hat sich Zeit genommen mit ihrer Kunst – und am Ende den Respekt geerntet, der ihr die nötige Ruhe zum Weitermachen gab. Micky Maus in Disneys Version ist so alterslos, wie der amerikanische Traum vorgibt zu sein. Joyce Pensato hat ihm Geschichte und Vergänglichkeit gegeben. Und damit der Kultur, in die sie als Kind an der Hand ihres Vaters eintauchte, ein echtes Geschenk gemacht.
Am Donnerstag ist Joyce Pensato mit 78 Jahren in ihrer Heimatstadt New York gestorben.