Frau Neshat, Ihr neuer Film "Auf der Suche nach Oum Kulthum" handelt von der im arabischen Raum legendäre Sängerin aus Ägypten. Wann haben Sie selbst zum ersten Mal eines ihrer Lieder gehört?
Das war in meiner Kindheit im Iran. Meine Eltern hatten Platten von ihr. Auch wenn wir selbst kein Arabisch verstanden, hörten wir ihre Musik. Und sie ist noch immer immens populär, obwohl sie bereits 1975 verstarb. Wenn man in Marokko Taxi fährt, läuft mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Oum Kulthum.
Was bedeutet Ihnen ihre Lieder?
Ich habe lange gebraucht, den Nuancenreichtum zu verstehen. In den sechs Jahren, die ich an dem Film arbeitete, habe ich sie im Grunde erst richtig kennengelernt. Ihre Musik hat eine sexuelle Energie, vor allem durch die Stimme die Texte, die ihre Zuhörer herausfordert.
Warum der Titel "Auf der Suche nach Oum Kulthum" und haben Sie sie gefunden?
Als ich anfing, fand ich sie faszinierend, sie ist der größte Star des 20. Jahrhunderts in der arabischen Welt. Und anders als viele westliche Musiker hatte sie kein tragisches Leben, keine Drogenexzesse, sondern eine solide Karriere über mehr als 50 Jahre. Aber als ich dann in Kairo recherchierte, wurde mir klar, dass es falsch wäre, ein klassisches Biopic über ihr Leben zu machen. Ich wollte mich selbst als Künstlerin einbringen und fragen, was ich über sie herausfinden will. Ich blicke wirklich zu ihr auf, wie sie ihren Weg ging und ihr die Balance zwischen Karriere und Privatleben gelang. Denn mir gelingt das nur sehr selten und ich leide darunter. Die Herausforderung war, ihr so nahe wie möglich zu kommen, denn sie hat viel heimlich gelebt und ihre Beziehungen mit Männern und Frauen nie publik gemacht. Sie hat ihr Image komplett kontrolliert. Also schrieb ich die Figur einer Filmemacherin in die Geschichte, eine Art Film-im-Film, um zu reflektieren, was eine große Künstlerin und Frau wie Oum Kulthum ausmacht. Sie bleibt ein Mysterium. Die einzige Selbstauskunft sind zehn Seiten Memoiren über ihre Kindheit. Ihr Vater verkleidete sie als Junge, damit sie auftreten und er mit ihrem Talent Geld verdienen kann.
Sie sind im Iran geboren und leben seit vielen Jahren in den Vereinigten Staaten. Mussten Sie mit Widerständen kämpfen, diesen Film in einem fremden Land zu drehen?
Ja und das thematisiere ich auch im Film durch die Figur der Regisseurin, die viel mit mir und meinen Problemen als Künstlerin in einer patriarchalen Gesellschaft zu tun hat. Ich kann sehr stark sein, aber oft bin ein sehr nervöser und unsicherer Mensch. Beim Dreh in Marokko war ich oft am Rande des Nervenzusammenbruchs, weil es so viele Probleme gab, finanzielle, aber auch politische. Oft kam es durch die Sprachbarriere zu Missverständnissen. Ich hatte oft Angst, es nicht zu schaffen.
Haben Sie versucht, in Ägypten zu drehen?
Uns wurde gesagt, wir würden dort keine Genehmigung bekommen. Und es wäre auch zu gefährlich gewesen, dort als ausländisches Team zu drehen. Also sind wir nach Casablanca ausgewichen. Dort konnten wir freier arbeiten. Und die Konzertaufnahmen haben wir in einem wunderschönen Kino in Wien gedreht. Wir hatten dort viele Flüchtlinge aus Syrien als Statisten, die sehr emotional auf die Musik reagiert haben. Ein sehr bewegender Moment.
Sie haben im vergangenen Jahr mit "Aida" in Salzburg erstmals eine Oper inszeniert. Was ist Ihr persönliches Verhältnis zu Musik allgemein?
Musik ist eine universelle Kunstform, die jeder versteht, auch wenn der Text in einer anderen Sprache ist. Sie ist Ausdruck menschlicher Emotionen. Das fasziniert mich. Und zunächst traute ich mir nicht zu, eine Oper zu inszenieren, weil ich mich zu wenig auskenne. Aber dann wurde mir klar, dass auch meine Filme und Videoarbeiten etwas sehr Opernhaftes haben. Ich brauchte eine Weile, mich in Verdis Kompositionen einzufinden, aber jetzt liebe ich es!