Der erste Film der 1981 in Starnberg geborenen Loretta Fahrenholz, "Haust" von 2010, war noch ganz dem Leben als Studentin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig verhaftet: Damals inszenierte sie das Leben einiger junger Erwachsener zwischen Kohleofen, öden Jobs in der Kreativbranche und Sex mit dem Mitbewohner. Solche Selbstbezüge ließ Fahrenholz, die mittlerweile in New York lebt, 2013 mit "Ditch Plains" hinter sich. Ihre Hauptdarsteller: die Breakdance-Crew Ringmasters aus Brooklyn; ihr Setting: New York nach dem Hurrikan Sandy.
Wie Voodoo-Androiden schlängeln und gleiten die Tänzer zu beklemmenden Beats durch verwüstete Häuser, Hotelflure und leer stehende Luxuswohnungen. Sie sind zombieartige Sci-Fi-Spezies mit 360-Grad-Gliedmaßen und weißen Augäpfeln, die überstrahlen wie ihre Handydisplays. Bei Fahrenholz' erster institutioneller Einzelausstellung im Kasseler Fridericianum ist der Film nun in einem ganz mit schwarzem Teppich ausgekleideten Raum installiert. Denn so dystopisch, krass und unheimlich er ist – "Ditch Plains" ist vor allem auch tanzbar.
Loretta Fahrenholz hat einen sensiblen Blick für Gesellschaften, deren Ängste und die Dynamik zwischen den Mitgliedern von Gruppen. "My Throat, My Air" drehte sie in München, in der erweiterten Familie des Fassbinder-Schauspielers und Warhol-Zeitgenossen Ulli Lommel. Fast dokumentarisch begleitet die Kamera die Kinder beim Spielen, die Dialoge der Erwachsenen, Fingerübungen am Klavier, Staubsaugen. Bedeutungsvoll und nichtig zugleich sind diese Handlungen aller, Fahrenholz untersucht souverän die Grenze zwischen darstellen und einfach machen.
"Two A.M." von 2016, die jüngste Arbeit, die in Kassel gezeigt wird, ist ein erzählerischer Kurzfilm, angelehnt an den Exilroman "Nach Mitternacht" (1937) von Irmgard Keun. Der Roman schildert die Flucht eines Liebespaares vor den Nazis in zwei Tagen. Bei Loretta Fahrenholz verlaufen die Fronten durch die Familien und das Paar selbst: Einige können Gedanken lesen, andere nicht. Die "Watcher" handeln willkürlich, die Beobachteten geraten in existenzielle Bedrängnis, ohne dass Gefahr sichtbar würde.
"Two A.M." funktioniert auch ohne Kenntnis der literarischen Vorlage – Drogen, Angst und Paranoia gab es im Naziregime und gibt es heute. Manches erinnert an die unheimlichen Welten der Anne Imhof. Eine fantastische Nahkampfszene von Helga Wretmann in einer Nebenrolle sollte man noch erwähnen, die gewinnt, weil sie einfach so viel fitter ist als die Überwacher.