Jan Wentrup, würden Sie nach zehn Jahren Erfahrung mit der eigenen Galerie wieder diesen Beruf wählen?
Auf jeden Fall. Ich habe ganz klassisch Kunstgeschichte studiert, ein Fach, das nicht unbedingt geeignet ist, um auf den Beruf vorzubereiten. Der Umgang mit Kunst ist dort ein sehr bürokratischer, sie wird wie tote Materie behandelt. Ich lebe im Hier und Jetzt, warum beschäftige ich mich ausschließlich mit der Vergangenheit? Sicher, um die Gegenwart zu verstehen. Aber das war mir zu wenig. Es hat mich gereizt, selbst im Idealfall ein kleines bisschen Kunstgeschichte mitzugestalten.
Könnten Sie das nicht besser mit Museumsarbeit? Jetzt müssen Sie sich immer auch mit Betriebswirtschaft beschäftigen.
Diese Zwänge sind weniger drückend als im Verwaltungsapparat Museum. Ich muss mich nur vor mir selbst rechtfertigen, sowohl betriebswirtschaftlich als auch inhaltlich.
Geraten dabei das wirtschaftliche und inhaltliche Interesse nicht dauernd in Konflikt?
Wenn man nicht gerade Geld geerbt hat oder auf sonstige Quellen zugreifen kann, muss man im nicht-subventionierten Galerie-Betrieb immer die Balance zwischen Anspruch und Wirtschaftlichkeit finden.
Wie hat sich das wirtschaftliche Umfeld in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Heute ist alles noch schnelllebiger. Man hat weniger Zeit, interessante Künstler zu beobachten. Wir wollen uns sicher sein, wenn wir mit einem Künstler zusammenarbeiten, weil damit eine große Verantwortung einhergeht. Daher haben wir immer noch ein konzentriertes Programm mit einer mittleren Anzahl von Künstlern. Es gibt Galerien, die sehr schnell und sehr viele Künstler in ihr Programm aufnehmen. Da stehen dann irgendwann 30, 40 und noch mehr Namen auf einer Liste, aber faktisch gearbeitet wird nur mit einem Bruchteil dessen. Wir versuchen, uns auf wenige Künstler zu konzentrieren und diese langfristig aufzubauen, was sehr viel Zeit und Energie in Anspruch nimmt.
Mit Kunst wird spekuliert und Preisbildung findet mehr und mehr auf Auktionen statt. Der Einfluss der Galerien schwindet.
Die Macht von Galeristen wird generell überschätzt. Galeristen gestalten im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Dass diese Möglichkeiten eingeschränkt werden, das stimmt sicherlich. Wenn die Arbeit mit Künstlern erste Früchte trägt, muss man sich bald mit Auktionshäusern auseinandersetzen. Vorausgesetzt, das Werk eignet sich dafür, auktioniert zu werden. Viele unserer Künstler haben jedoch ein recht komplexes Werk, das sich schwer für ein Branding eignet und damit für den Auktionsmarkt nicht interessant ist.
Sie brauchen also eine gute Mischung aus Biennale-Künstlern und Kunstmarktkünstlern?
Eine Galerie ist immer ein quersubventionierter Betrieb: In jeder Galerie gibt es Künstler, die sich besser verkaufen und Projekte von Galerie-Kollegen mitfinanzieren. Ein Galerist muss so jonglieren, dass er allen Künstlern gerecht wird. Künstler, die vor allem im institutionellen Bereich erfolgreich sind, leisten genauso einen Beitrag, denn da geht es um Reputation und ideelle Werte.
Warum ist der Kunstbetrieb gespalten in Auktions- und Institutionskünstler?
Seit Beginn der 2000er Jahre haben sich die Auktionshäuser zunehmend auf Gegenwartskunst verlagert mit dem für sie bestehenden Vorteil, dass diesem Markt ständig frische Ware zugeführt werden kann. Nach dem Prinzip von trial and error lassen Auktionshäuser Testballone junger Künstler aufsteigen, um zu sehen, wer wie hoch steigt und wo es sich lohnt, weiter heiße Luft hineinzupumpen. Nun gibt es zunehmend Galeristen und Künstler, die die Mechanismen des Auktionswesens für sich nutzen wollen und dementsprechend Ware produzieren und anbieten. Diese Ware muss für eine größtmögliche Anzahl von Interessenten zugänglich sein, und so sieht das dann auch aus. Auf der anderen Seite hat man manchmal den Eindruck, dass Institutionen sich reflexhaft von Künstlern abwenden, sobald sie auf dem Markt erfolgreich sind. Das wird dann als Verrat an Inhaltlichkeit missdeutet. Nur wenigen Künstlern gelingt der Spagat zwischen Markt und Museum.
Nach zehn Jahren haben viele Ihrer Künstler einen Status erlangt, in dem sie immer mehr Produktions-, Transport- und Versicherungskosten verschlingen. Wächst Ihnen da nicht der eine oder andere schon mal über den Kopf?
Es gibt immer wieder die Situation, in der man sagen muss: Das ist im Moment schwierig zu realisieren. Aber dann sucht man eben gemeinsam nach Möglichkeiten. Wir holen Sammler, die den Künstler unterstützen, mit ins Boot oder suchen andere Fremdunterstützung. Es geht gar nicht so sehr darum, was man leisten kann, sondern um das Bemühen, etwas auf die Beine zu stellen. Und meistens klappt´s dann auch.
Sie sehen also das permanente Bemühen um den Künstler als Mittel ihn oder sie zu halten?
Der Vorteil einer mittelgroßen Galerie gegenüber einer großen Galerie ist die Nähe zum Künstler, die über den reinen Verkauf hinausgeht. Oftmals sind bei größeren Galerien Mitarbeiter für Künstlerbetreuung abgestellt und der eigentliche Galerist unterhält sich kaum noch mit seinen Künstlern. Da kann man zwar zu sehr viel Geld kommen, der Betrieb ist aber zuvorderst umsatzsorientiert und hält einen nicht unbedingt über Wasser, wenn es mal nicht so gut läuft. Eine mittelgroße Galerie muss natürlich auch Erfolge generieren, ist aber nicht allein auf Profit ausgerichtet und fühlt sich aufgrund persönlicher Nähe seinen Künstler ganz anders verpflichtet.
Dennoch muss man doch zulassen, dass sich Künstler auch andere Partner-Galerien suchen.
In einem vertrauensvollen Verhältnis schauen Galerist und Künstler zusammen, mit wem es sich lohnt eine Partnerschaft einzugehen. Kooperationen sind vielfach unerlässlich, sollten aber für alle Beteiligten immer zu Win-Win-Situationen führen.
Verliert die Galerie als Ort an Bedeutung?
Galerien als Treibhaus für Kunst werden weiter bestehen, auch in ihrer jetzigen Form. Ich glaube sogar, dass Galerien wieder stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Das sieht man an so einem Format wie dem Gallery Weekend, das jetzt im zehnten Jahr ist und mit jeder Ausgabe erfolgreicher wird. Gerade in Berlin gibt es so unterschiedliche Galerieräume, White Cubes, großbürgerliche Wohnungen, Fabrikhallen, die der Kunst eine jeweils ganz eigene Bühne bieten. Wenn man hingegen im New Yorker Galerienviertel Chelsea herumläuft, erkennt man oft nur am Tür-Schild, in welcher Galerie man gerade ist, so gleich sieht alles aus. Ähnlich verhält es sich oft auch mit Kunstmessen in der immer gleichen Aneinanderreihung von rechteckigen Boxen, in denen vielfach eklektizistisch Kunstwerke ausgestellt werden. In Galerien hingegen hat man die Möglichkeit komplette Ausstellungen zu sehen, die vom Künstler inszeniert sind und dem Betrachter einen viel umfangreicheren Eindruck vermitteln.
Empfinden Sie Messeteilnahmen als Druck?
Der Kunstmarkt ist global, man kann nicht nur lokal agieren. Man steht in einem globalen Wettbewerb um Sammler, Künstler und Aufmerksamkeit. Um sich Gehör zu schaffen, muss man auf Kunstmessen präsent sein. Aber nicht um jeden Preis. Man sollte nicht aus Eitelkeit auf jeder Messe anwesend sein, sondern sich genau überlegen, welchen Sinn diese oder jene Messe für die eigene Galerie ergibt? Wenn wir an der Art Basel in Hong Kong teilnehmen, stehen wir nicht nur ein paar Tage in unserer Koje, sondern pflegen die Kontakte zu Sammlern und Kuratoren über das Jahr und bauen das Verhältnis durch sich anschließende Reisen und Besuche aus.
Für eine Galerie in dem an Sammlern armen Berlin sind Messeteilnahmen sicher dringender als für Kollegen in New York oder London.
Das kann man so nicht sagen, zumal ich mich in einer Stadt in Berlin, wo nicht das Damoklesschwert der ständig steigenden Kosten über meinem Kopf schwebt, ganz wohl fühle. Ich jedenfalls möchte nicht mit einer Galerie in New York oder London tauschen. Einige Galeristen in diesen Städten, die zur gleichen Zeit wie wir gestartet sind, haben schon wieder aufgegeben, weil sie diesem finanziellen Druck nicht standgehalten haben. Denen wird von heute auf morgen die Miete so drastisch erhöht, dass sie schließen müssen. Diesen Zwang sieht man mittlerweile auch den dortigen Galerie-Ausstellungen an. Mit jeder Ausstellung muss Geld verdient werden, und man kann sich keine riskanteren Auftritte leisten. Das ist hingegen in Berlin möglich, und das Vorurteil, dass es hier keine Sammler gibt, ist nämlich genau das: ein Vorurteil. Es gibt hier mittlerweile eine aktive Generation von 30- bis Mitte-40-Jährigen, die sich für Kunst interessieren und bereit sind, dafür Geld auszugeben.
Spüren Sie in Berlin deshalb auch weniger Druck zum Wachstum?
Was bedeutet denn Wachstum? Der lässt sich nicht an Quadratmetern Ausstellungsfläche messen und nicht an der Anzahl der Mitarbeiter. Zu große Räume überfordern Künstler auch schnell. Wachstum drückt sich im Wachstum der Künstler aus. Darin, dass sie in wichtigeren Ausstellungen gezeigt werden, an bedeutenderen Biennalen teilnehmen. Mit den Künstlern wächst die Galerie.
Wie geht es weiter mit Berlin. Das Gallery Weekend ist erfolgreich, aber eine große Messe gibt es nicht mehr und die Galeristen treten sich auf die Füße.
Ich male das nicht so schwarz. Berlin ist nach wie vor attraktiv, viele Leute kommen auch über das Jahr verteilt in die Stadt. In Berlin funktioniert allerdings die Rolle der Institutionen nicht richtig. Künstler aus Berlin feiern nach wie vor ihre Erfolge nicht in Berlin. Wir verkaufen eher ans Centre Pompidou und das MoMA, aber nicht an Berliner Institutionen.
Aktuelle Ausstellung: Florian Meisenberg, bis 21. Juni
Lesen Sie zum Thema auch ein Interview mit den Galeristen Jörg Johnen und Matthias Arndt
Interview mit Galerist Wentrup