Mischa Leinkauf, bekannt aus dem abenteuerlustigen Künstlerduo Wermke/Leinkauf, reiste unter Wasser über Staatsgrenzen und hielt die Aktionen mit der Kamera fest. Die Tauchtouren sind illegal und gefährlich. Zu seiner Ausstellungseröffnung "Fiktion einer Nicht-Einreise" haben wir uns mit ihm über das Projekt unterhalten.
Mischa Leinkauf, der Titel Ihrer Ausstellung "Fiktion einer Nicht-Einreise" ist ein juristisches Konstrukt und wurde in der Asyleinigung von CDU und CSU aufgegriffen. Er besagt: Flüchtlinge, die nicht durch die Grenzkontrolle gelassen werden, sind nicht in Deutschland eingereist, auch wenn sie auf deutschem Boden stehen. Was bedeutet dieser Begriff bei Ihnen?
Ich stelle mir grundsätzliche Fragen über Norm und Praxis von Territorialität und Identität. Dieses juristische Konstrukt verweist auf eine Form territorialer Entrechtlichung. In meinen neuen Arbeiten lege ich die Absurdität von politisch motivierten Grenzbarrieren offen. Ich überwinde die Architekturen der Abschottung performativ, reise also tatsächlich ein und aus, aber unterwerfe mich nicht dem nationalen Kontrollsystem. Kriege und Konflikte werden über nationalstaatliche Abschottung legitimiert. Mauern, Zaunanlagen und Pässe zementieren diese räumliche Ordnung und die damit zusammenhängenden Herrschaftsverhältnisse.
Wie hat sich die Zahl an Grenzanlagen verändert?
Wir stecken in einer sehr bedenklichen Entwicklung. 1989 gab es weltweit 16 Grenzanlagen ähnlich jener der Berliner Mauer. Heute sind es mehr als 70 Barrieren, die Staaten und Städte trennen, mit steigender Tendenz.
Was ist Ihre Motivation für die Arbeit?
Eine wichtige künstlerische Motivation ist meine Vorstellung von unbeschränkter Bewegung ohne räumliche Limitierungen. Als ich vor Jahren an der Demilitarisierten Zone in Korea stand, ist ein Schwarm Vögel friedlich über die Staatsgrenze Richtung Nord-Korea gezogen. Seitdem suche ich nach internationalen Zwischenräumen entlang hochgesicherter Grenzanlagen, um deren Vergänglichkeit und Absurdität zu visualisieren. Nationale Grenzen sind politisch motivierte Limitierungen von Territorialität. Sie sind militärisch bewacht und gesichert. Sie beschränken sich meist auf die Erdoberfläche an Land. Es gibt aber eine Landschaft, der sich die visuelle Abschottung geschlagen geben muss: das Meer. In der Ruhe und Weite der See bin ich tauchend über Staatsgrenzen "gereist".
Wie haben Sie sich körperlich darauf vorbereitet? Und wie viel haben Sie tatsächlich planen können?
Ich habe über ein Jahr trainiert, um dem Element Wasser Herr zu werden. Die Bewegungsabläufe unter Wasser sind extrem beschwerlich und die Art meiner Fortbewegung dort unten sollte denen an Land visuell nahe sein. Um die nötige Ruhe und Gelassenheit für die lange Zeit unter Wasser in gesicherten Grenzbereichen zu erlangen, habe ich viele Tauchstunden und spezielle Technik gebraucht. Außerdem musste ich die non-verbale Kommunikation mit meinem Kameramann trainieren, um auch unvorhergesehenen Situationen begegnen zu können.
Wo waren Sie überall unterwegs?
Ich war an der EU-Außengrenze zwischen der spanischen Enklave Ceuta und Marokko unter Wasser, aber auch in Israel. Von dort bin ich nach Ägypten und Jordanien eingereist. Für eine weitere Arbeit habe ich zwischen Nord- und Südkorea den Luftraum genutzt.
Diese Grenzübertritte sind größtenteils illegal: Machen Sie sich darüber überhaupt Gedanken?
Ich unterscheide gar nicht so sehr zwischen legal und illegal. Ich behandle grundsätzlich erst einmal alle Räume als frei und unformatiert. Dementsprechend sind alle Grenzüberschreitungen ohne Genehmigung irgendwelcher Instanzen geschehen. Die Legitimierung gebe ich mir selbst. In meiner Praxis dienen mir ja genau diese temporären Handlungsräume als künstlerisches Material.
Können Sie eine Situation schildern, in der es brenzlig wurde, Sie an eigene Grenzen gestoßen sind?
Obwohl ich die topografischen Zugangsmöglichkeiten gut planen und recherchieren konnte, kann es beim Tauchen in so unbekannten Gewässern Schwierigkeiten geben. Unser kleines Team war ja in zugangsbeschränkten Bereichen unterwegs, deren Strömungsverhältnisse wir natürlich nicht kannten. Lokale Taucher oder gar das Militär zu befragen, war auch keine Option. Es hält ja keiner für möglich, diese Zonen überhaupt zu betreten. In der Straße von Gibraltar hat es uns einmal ziemlich weit abgetrieben, als wir unvermittelt in eine starke Strömung geraten sind. Durch die Atemluftflaschen, Kameras, Stative und das Blei, das wir dabei hatten, war jede Bewegung extrem anstrengend. Wir hatten großes Glück mit letzter Kraft das Ufer zu erreichen, ohne Equipment verloren zu haben. Da haben wir dann unsere körperlichen Grenzen gespürt.
Wie denken Sie über Ihre Rolle als privilegierter Künstler mit deutschem Pass, der sich solchen Gefahren aussetzt, ohne direkte Notwendigkeit zur Flucht?
Seit der ersten Idee zur Arbeit stellt genau das für mich eine relevante geistige Komponente dar. Meine Arbeiten sind geprägt von zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Diskursen und mein Körper und Geist stoßen sich an diesen Diskursen. Es sind ohne Zweifel sehr andere körperliche Gefahren, denen ich mich hier aussetze und ich sehe mich auch keineswegs als Stellvertreter. Ich stelle keine Flucht nach, sondern hinterfrage das nationalstaatliche Verbarrikadieren auf einer globalen Ebene. Durch Freiheit und trotz meiner Privilegien oder gerade deswegen, gesellschaftspolitische Missstände zu behandeln und diskursive Fragen zu stellen, halte ich für absolut notwendig.
Um in dem semantischen Feld von Limitierungen und Territorialität zu bleiben: Sehen Sie sich selbst als Eroberer?
Ich sehe das nicht als Eroberung. Ich setze politisch motivierte Grenzziehungen performativ außer Kraft und kritisiere die stark angestiegene Abschottung von Nationalstaaten. Die Totalität von Grenzen hat sich als Paradigma in unseren Gedanken verankert, obwohl sich viele Bereiche menschlicher Beziehungen schon lange nicht mehr durch solche Begrenzungen aufhalten lassen. Vor diesem Hintergrund stelle ich die Verdinglichung und Natürlichkeit von Grenzen zur Disposition: Dort wo visuell getrennt wird, zeigen meine Arbeiten das Gemeinsame. Dort wo die Hermetik erdrückend scheint, unterwandere ich friedlich.