Meine erste Begegnung mit Miranda July fiel in jenen ewig langen letzten Sommer in meiner Heimatstadt, dessen Ende wir uns als Anfangspunkt unseres Erwachsenseins ausmalten. Jeden Tag traf ich meinen besten Freund auf der Autobahnbrücke, die unsere beiden Elternhäuser miteinander verband, und wir lasen uns eine der Kurzgeschichten aus ihrer Erzählungssammlung "No One Belongs Here More Than You" vor. Julys Charaktere waren neurotisch, anmaßend, seltsam und zutiefst verletzlich – kurz, sie waren tröstend realitätsnah. Wir waren uns einig darüber, dass keiner uns besser verstand als diese amerikanische Autorin, von der wir damals noch nicht wussten, dass sie auch Filmemacherin, Performerin und Künstlerin ist.
Der Regisseur Spike Jonze bringt das Gefühl, das uns damals mit July verband, auf den Punkt: "Wenn ich etwas schaue oder lese oder ansehe, das sie gemacht hat, habe ich oft das Gefühl, dass sie direkt zu mir spricht. Ich weiß, dass es wahrscheinlich jedem mit ihrer Arbeit so geht, aber ich glaube trotzdem, dass sie es nur in mein Ohr und kein anderes flüstert." Jonze ist eine der zahlreichen Personen, die in der kürzlich veröffentlichten Mono- grafie der amerikanischen Autorin von ihrer Beziehung zu Miranda July und ihren Arbeiten erzählen: zwei Dingen, die sich
häufig wie ein und dasselbe anfühlen.
Die Anthologie beginnt in den 90ern bei den Riot-Grrrl-Alben, dem feministischen Kettenbrief-Filmverleih "Joanie 4 Jackie", den ersten Performances, mit denen sich July in Festivals einschleuste, indem sie diese als Livefilme verkaufte. Anhand von 30 Werken und Hunderten Zitaten spürt das Buch Julys künstlerischem Schaffen nach, das bis heute geprägt ist von einem tiefgreifenden Interesse an den Gedanken und Ideen anderer Menschen und dem schelmischen Überschreiten von Genregrenzen.
Nicht das erste Loch - und nicht das letzte
Zu Wort kommen Freunde und Kollaborateure wie der Choreograf Steven Reker, mit dem July jene surreal-melancholische Szene in ihrem zweiten Kinofilm "The Future" erarbeitete, in der sie mit dem ganzen Körper in ein oranges T-Shirt eintaucht und stolprig tanzend zur wabernden Stofffläche wird. Immer wieder äußern sich aber auch Personen wie Andrew Callaway, der mit Miranda Julys Messaging-App "Somebody" Botschaften in Form eines persönlichen Vortrags an insgesamt 69 fremde Personen überbrachte. "Ich weiß nicht, ob 'Somebody' als explizit antikapitalistisches Projekt geplant war“, schreibt er, "aber einen flimmernden Moment lang die Schönheit und Freude zu sehen, die uns diese Technologien eröffnen können – die stattdessen dafür genutzt werden, Arbeiter Sandwiches für weniger als den Mindestlohn ausliefern zu lassen – empörte mich."
"This is not the first hole my finger has been in nor will it be the last“, steht neben einem Loch im Einband – ein Spruch, der bereits eine von Miranda Julys interaktiven Skulpturen bei der Venedig-Biennale 2009 zierte. Im Gespräch mit der Kritikerin und Freundin Julia Bryan-Wilson, das in der Monografie die Stelle einer akademischen Auseinandersetzung mit ihren Arbei- ten einnimmt, bezeichnet die Autodidaktin July einige der damals gezeigten Werke als etwas klobigen Versuch, seriöse Kunst für eine anspruchsvolle Biennale zu machen: "Es ist fast wie die Kunst, der Daffy Duck in einem Comicbuch-Museum begegnet."
Es ist jene schonungslose Offenheit, die Julys Arbeiten zu Pop-Kunst im besten Sinne macht. Ihr Schaffen ist stets und vor allen Dingen relatable, und deshalb ist es nur konsequent, dass es in diesem Buch anhand von persönlichen Beziehungen nacherzählt wird.