Es dauert ein bisschen, bis der Groschen fällt: Bei dem Gaunertrio in Miranda Julys drittem Spielfilm "Kajillionaire" handelt es sich um eine Familie. Vater, Mutter und Tochter sind schwer mit ihren ineffektiven Beutezügen beschäftigt, für Gefühle bleibt offenbar wenig Raum. Deswegen sieht man ihnen das Versippte nicht gleich an. Anders als bei den Corleones zum Beispiel, in Coppolas "Godfather"-Trilogie, wo die Tränen fließen und die Fetzen fliegen.
Aber, kein Vergleich, wir reden hier nicht von der Mafia, nicht einmal von richtigen Profis. Die Kleingaunerfamilie, die sich mehr schlecht als recht in Los Angeles durchschlägt und ihren mageren Erlös immer fair durch drei teilt, wird durch Geschäftsbeziehungen zusammengehalten. Die Rollen sind klar verteilt: Robert und Theresa Dyne (Richard Jenkins, Debra Winger) arbeiten Pläne aus und stehen Schmiere, die – auch wenn's schlimm klingt – gut abgerichtete 26-jährige Old Dolio (Evan Rachel Wood) macht sich mit körperlichem Geschick an die Ausführung. Was die Stilistik angeht, könnte die Tochter locker jede Limbo- oder Breakdance-Challenge für sich entscheiden, aber was nützt Eleganz, wenn man etwa Postfächer plündert und nur Ramsch und Werbeangebote herausfingert?
"Kajillionaire" müsste man sein. Wenn’s Zahl und Ideal denn gäbe, von denen Robert fantasiert. Selbst in ihren Träumen sind die Dynes seltsam unspezifisch. Als hätte das Prekariat keine Ahnung von den Kapitalströmen, die unerreichbar vorüberziehen wie Kondensstreifen am kalifornischen Himmel. Die Familie lebt im Kellerbüro einer Firma namens Bubbles Inc. Mit dem rosa Schaum, der regelmäßig von oben durch die Wandritzen blubbert, entwirft Miranda July ein treffendes Bild für die Spekulationsblasenschwäche der Zeit. Die einen zocken nach Herzenslust, die Dynes dieses Globus müssen es ausbaden.
Die vielbegabte Miranda July hat als Performancekünstlerin, Schriftstellerin und Schauspielerin reüssiert. Schon ihre ersten beiden Spielfilme "Ich und Du und Alle, die wir kennen“ (2005) und "The Future" (2010) waren surreal angehauchte Familienfilme, in denen July auch Hauptrollen übernahm. Für "Kajillionaire" hat sie eine Starbesetzung rekrutiert, mit der die Regisseurin sich neue Publikumskreise erschließen könnte. Doch im ersten Drittel fehlt es an mitreißender Dramaturgie, die einen "großen Wurf" kennzeichnen würde. July dünnt Hollywood-Topoi wie die unzerstörbare US-Familie oder den großen Raubzug aus. Selbst das Katastrophengenre schreddert sie, indem die Filmemacherin lokale Kleinbeben über die Handlung verteilt. Schon klar: Die Fiktion verschränkt Außen- und Innenwelt. Wenn aber alle Erzählkonventionen plattgemacht sind und ein Murmelspiel absurder Details bleibt (der Schaum, die Erdbebchen, anachronistische Langhaarfrisuren), sacken die Zuschauer bald auf ihren Sitzen zusammen.
Stocksteif stehend, katzengeschmeidig stehlend
Immerhin ist Evan Rachel Wood zu erleben, die von Anfang an Aufmerksamkeit kommandiert. Old Dolio – benannt nach einem Penner, dem die Eltern erfolglos einen Lotteriegewinn abzuschwatzen versuchten – ist ein wandelnder Widerspruch: Stocksteif stehend, doch katzengeschmeidig stehlend, eine Stimme wie Alexa mit Akkuschwäche, die Augen voller Hunger. Es braucht eine Kontrastfigur, um Woods Figur aus der Reserve zu locken und die lähmende Routine der Kernfamilie aufzubrechen. Etwas verspätet erscheint diese vierte Hauptfigur in Gestalt der munteren Melanie (Gina Rodriguez). Von da an nimmt die Geschichte Fahrt auf.
Robert und Theresa lernen Melanie während eines Fluges kennen, den die Dynes, na klar, in der Lotterie "gewonnen" haben, das Los war wie üblich geklaut. Die Gratisreise soll zu einem vorgetäuschten Gepäckverlust genutzt werden. Old Dolio sitzt separat im Flieger, um später als vorgeblich Alleinreisende die Entschädigung für den Koffer einzuklagen, den ihre Eltern vom Gepäckband entfernt haben werden. Kollateralnutzen der Reise (als Coup ja einmal mehr mittelprächtig) ist Melanie, die sich als Tochterersatz anstatt der emotional untersteuerten Old Dolio anbietet. Auch zeigt sich die attraktive junge Frau daran interessiert, an den familiären Umtrieben mitzuwirken.
Ein großes Beben, das Freiheit und Trümmer bringt
Die echte Tochter reagiert mit Eifersucht. Wie könnte Old Dolio etwas von der Sympathie abgreifen, die ihre Eltern der Fremden ganz umstandslos schenken? Für ein "hon" (Schatz) aus dem Mund Theresas würde Old Dolio einen angemessenen Betrag springen lassen.
In der zweiten Hälfte des Films entwickelt das (ebenfalls von July verfasste) Drehbuch eine Raffinesse, die man vorher vermisste. Melanie, im Pflegedienst tätig, initiiert einen Coup, für den das Quartett einen einsamen Sterbenskranken in seinem Haus heimsucht. Das Opfer verwechselt die Verschwörer mit seiner eigenen Familie, woraufhin die Dynes in der Küche neben dem Sterbezimmer eine Art Familienhörspiel inszenieren – Travestie einer nicht gelebten netten Normalität.
Noch in weiteren Episoden zeigt July, wie die kapitalistische Logik die Protagonisten fest im Griff hat. Emotionalen Suspense erzeugt sie vor allem dadurch, dass sie die Zuschauer alsbald ahnen lässt: Old Dolio hat sich in Melanie verliebt: Ein großes Beben kündigt sich an, das Freiheit, aber auch Trümmer bringt. Miranda July hat sich gleich für den Weltuntergang entschieden. Und nimmt den planetaren Crash dann cool wieder zurück. Dieses Trickstertum muss ihr erstmal eine(r) nachmachen. "Kajillionaire" ist ein Film mit Dellen, aber auch mit genug Wumms für einen schönen Kinoabend.