Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) hat wegen des Antisemitismus-Skandals auf der Documenta Fifteen erneut strukturelle Änderungen bei der Kunstschau gefordert. Sie halte ein Expertengremium für dringend notwendig, sagte die Ministerin am Donnerstag im hessischen Landtag in Wiesbaden. "Wir brauchen eine Struktur, die uns für die laufende Documenta, aber auch für die Zukunft Empfehlungen geben kann."
Bereits ein halbes Jahr vor dem Beginn der Documenta Fifteen in Kassel waren Antisemitismus-Vorwürfe gegen das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa laut geworden. Kurz nach der Eröffnung der Schau, die neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst gilt, wurde dann eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt. Das Banner "People's Justice" des indonesischen Kunstkollektivs Taring Padi wurde daraufhin abgehängt.
Die Struktur der künstlerischen Leitung mit einem Kollektiv sei mutig und neu gewesen, sagte die Ministerin. "Sie hat offenbar aber auch dazu geführt, dass die Sorgfalt und die Verantwortung des Kuratierens gelitten haben." Deshalb werbe sie dafür, dass der Aufsichtsrat einen neuen Anlauf für die Veränderung seiner Strukturen nimmt, erklärte die Ministerin.
Gemeinsame ehrliche Analyse erforderlich
Vom Land sei bereits vergangene Woche eine außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrates für diesen Freitag beantragt worden, berichtete Dorn. "Wir sind an einen Punkt gekommen, wo wir gemeinsam einsehen müssen, dass einige Prozesse in der Krisenbewältigung nicht gut laufen." Deshalb sei es wesentlich, dass sich auch der Aufsichtsrat mit Verantwortlichkeiten und der Aufarbeitung von Fehlern beschäftigt.
Es sei eine gemeinsame ehrliche Analyse erforderlich, wie es zu den Vorkommnissen kommen konnte. Das Land Hessen und die Stadt Kassel müssten als Gesellschafter der Documenta an einem Strang ziehen, um eine Verbesserung beim Bewältigen der entstandenen Krise zu erreichen.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) zieht mit Blick auf die Aufklärung des Skandals die Kompetenz der Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann in Zweifel. Eine Aufklärung, wie es zum Aufstellen des antisemitischen Kunstwerkes kommen konnte, stehe weiter aus, teilte ein Sprecher Roths in Berlin mit. Gleiches gelte für die Notwendigkeit, Konsequenzen zu ziehen. "Es ist zunehmend fraglich, ob die Documenta-Generaldirektorin das leisten kann oder will." Schormann hatte den Umgang der Weltkunstschau mit den Antisemitismus-Vorwürfen vor wenigen Tagen verteidigt.
FDP fordert Abberufung der Generaldirektorin
In einer am Dienstagabend veröffentlichten Erklärung betonte die Generaldirektorin die Freiheit der Künstlerischen Leitung und berichtete von der Sorge des indonesischen Kollektivs Ruangrupa, in Deutschland nicht willkommen zu sein. Seit Bekanntwerden der ersten Vorwürfe im Januar habe es viele Gespräche gegeben: mit den Kuratoren und Künstlern, externen Experten, dem Aufsichtsrat, dem Zentralrat der Juden in Deutschland und Kulturstaatsministerin Roth. Schon damals hätten Kuratoren und Künstler "Zensur befürchtet und deswegen ein externes Expert*innengremium abgelehnt", schrieb sie.
Die Aussagen von Schormann zu den Abläufen in den vergangenen Monaten seien "so nicht zutreffend", sagte der Sprecher von Claudia Roth. "Über das Statement von Frau Schormann war die Kulturstaatsministerin sehr erstaunt und befremdet."
Die hessische FDP-Fraktion forderte eine Abberufung der Documenta-Generaldirektorin. "Die Generaldirektorin ist für den katastrophalen Umgang mit dem Eklat verantwortlich. Sie hat schlichtweg versagt", sagte der kulturpolitische Sprecher der Liberalen, Stefan Naas, im Parlament in Wiesbaden. Deshalb könne sie auch nicht für die Aufarbeitung der Vorkommnisse beauftragt werden.
Hin- und Herschieben von Schuldzuweisungen beschädige die Kunstausstellung
Der FDP-Politiker warf Kunstministerin Dorn eine Mitverantwortung für den Antisemitismus-Skandal auf der Documenta vor. Dorn habe weggeschaut, als die ersten Hinweise auf Antisemitismus aufgekommen seien. Nun sei eine schonungslose Aufklärung der Vorgänge bei der Weltkunstschau in Kassel erforderlich.
Auch die Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Elisabeth Kula, forderte eine schnellstmögliche und umfängliche Aufklärung. Das Hin- und Herschieben von Schuldzuweisungen zwischen politischen Ebenen beschädige die Kunstausstellung weiter.
Die AfD-Fraktion sprach sich für einen parlamentarischen Untersuchungsausschusses aus, um die Vorgänge aufzuklären.