Industrie braucht Know-how. Wer Berge tunneln oder Erze schmelzen will, der sollte schon über Fachwissen verfügen. Noch komplizierter wird es, will man darüber hinaus Dinge in die Welt bringen, die tagein, tagaus gleich aussehen, gleich funktionieren und beim Nutzer gleiche Effekte erzielen: Autos zum Beispiel oder zu Pellets gepresstes Hundefutter. Derartige Massenprodukte beruhen im Kern auf Zahlen, Daten, Algorithmen… Gut also, wer angesichts solcher Herausforderungen ein Mathematik-Genie in seinen Reihen weiß. Einen wie Adam Riese zum Beispiel. Der ist nicht einfach der Bruder von Graf Zahl oder ein Kinderschreck aus dem Mathebuch; Adam Riese hat es tatsächlich gegeben: Geboren in Bamberg und später im erzgebirgischen Annaberg daheim, wurde er im 16. Jahrhundert zum mastermind der sächsischen Industriegeschichte: kein Förderturm, keine Lohnbuchhaltung ohne Rieses Zahlenspiele.
Auf Rechenmeister Riese konnte der sächsische Aufschwung auf einfache Weise addieren, subtrahieren, exportieren: In insgesamt vier Rechenbüchern revolutionierte Riese die Algebra. Sein vermutlich aber größtes Verdienst: Er ersetzte die römischen Zahlzeichen durch die wesentlich leichter zu handhabenden arabischen Ziffern. So ließen sich Normumfänge von Silbermünzen berechnen, Idealmaße für Standardbekleidung festlegen, ja sogar Algorithmen für digitale Produktionsstraßen darstellen. Aus einst mühsam zusammengezimmerten Waren mit Ecken und Kanten wurden im Laufe der 500-jährigen Industriegeschichte Massenartikel und runde Sachen.
Eine runde Sache
So rund etwa wie die hippen Kugellautsprecher k20, die der Chemnitzer Formgestalter Karl Clauss Dietel anno 1970 für den damaligen VEB Elektromechanik Mittweida entwarf. Oder so rund – oder mindestens eierförmig – wie die von Oscar Niemeyer entworfene Kantine auf dem Dach einer Leipziger Industrieanlage. Wer derlei kugelige Dinge bauen kann, muss mathematisch gut beschult worden sein. Denn da hilft nicht töpfern oder lange rumhantieren: Es braucht standardisierte Verfahren, genormte Formvorlagen, maschinelle Arbeitsgänge; kurz: Es braucht Industriekultur. Und die gibt es in kaum einem anderen Bundesland auf derart vielfältige Weise wie eben in Sachsen.
Von Leipzig bis hinüber nach Görlitz dreht sich daher 2020 manch eine Ausstellung, manch Festival oder Podium rund um das Thema Industrie. Im "Jahr der Industriekultur" präsentiert Sachsen seinen wichtigsten Markenkern. Und die diesjährige 4. Sächsische Landesausstellung in Zwickau steht dem in nichts nach: Unter dem Titel "Boom. 500 Jahre Industriekultur in Sachsen" zeigt sie einen spannenden Parcours vom Großen Berggeschrey bis weit hinein in die Industrie 5.0.
Eine runde Sache also. Und der hat sich auch dieses Magazin verschrieben – nicht nur, indem es den bereits erwähnten Kult-Gestalter Karl Clauss Dietel porträtiert oder in Leipzig das Ei des Oscar Niemeyer besichtigt; mit zahlreichen Interviews, mit Reportagen über Gebetsteppiche aus Oelsnitz oder mit Werkbesichtigungen in Braunsdorf, Knappenrode oder Dresden zeigt es das Produktivste, was man aus Zahlen und Ziffern machen kann. Nach Adam Riese macht das übrigens 52 Seiten prallvoll mit spannenden Geschichten aus dem Herzland der Industrialisierung. Dazu wünschen wir gute Unterhaltung!