Medienschau

"Heute ist es so: Sie müssen queer sein"

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Eine Kritikerin nörgelt über vermeintlich positive Diskriminierung im Kunstbetrieb, Hito Steyerl spricht über KI und noch ein Blick auf Hockneys Porträt von Harry Styles: Dies ist unsere Medienschau

Debatte

Angesichts neuer Graffitis auf dem gerade sanierten Bismarck-Denkmal auf St. Pauli fordern Politiker von CDU und AfD Konsequenzen. Für die Urheber der Graffitis sei es ein Erfolgserlebnis, dort als erste ein Zeichen gesetzt zu haben, sagte der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Sandro Kappe am Montag dem NDR. "Die Leute wollen ja eine gewisse Botschaft damit präsentieren und den Raum müssen wir ihnen nehmen, indem wir das frühzeitig entfernen." Auch AfD-Chef Dirk Nockemann forderte mehr Einsatz gegen Graffitis in der Stadt. "Der Senat muss geschlossen deutlich machen, dass derartige Dinge nicht hingenommen werden", sagte er dem NDR. Der Sachschaden gehe in die Millionen. Die rund neun Millionen teure Sanierung des 34 Meter hohen Bismarck-Denkmals war nach knapp dreieinhalb Jahren erst Ende Juli abgeschlossen worden. Keine zwei Wochen später prangten die ersten Graffitis am Sockel. Parallel zur Sanierung hatte die Stiftung Historische Museen Hamburg einen Wettbewerb für eine künstlerische "Kontextualisierung" des Denkmals von 1906 ausgeschrieben. Die Entwürfe sollten sich kritisch mit Otto von Bismarck (1815-1898) und seiner Politik als erster Reichskanzler auseinandersetzen. Die Jury konnte sich jedoch für keinen der eingereichten Vorschläge entscheiden.

Nachruf

In der "FAZ" reicht Stefan Trinks seinen Nachruf auf Brice Marden nach, einen Maler, der "gefasst gegen den Tod anmalte" (hier der Monopol-Nachruf).

Ausstellung

Christiane Vielhaber ist in ihrer atemberaubend gedankenlosen Besprechung für den Deutschlandfunk nicht zufrieden mit der Neupräsentation zeitgenössischer Kunst im Museum Ludwig. "Ein kleiner Kotau vor all den Schenkern", nennt sie die Ausstellung. Und sie nimmt sie zum Anlass, über die vermeintlich in der Kunstwelt allgegenwärtige positive Diskriminierung zu klagen: "Heute ist es so: Sie müssen Schwarz sein, sie müssen unbekannt sein, sie müssen Migrationshintergrund haben, sie müssen queer sein. Also irgendwas, das berechtigt sie, den Turner Preis zu kriegen." Wie zum Beispiel Lubaina Himid 2017: "Die war damals schon Mitte 60 und eigentlich ist das ein Preis für junge Künstler. Dann hat man sich gesagt, sie kommt aus dem ... sie hat also einen Migrationshintergrund, sie ist alt und das ist es jetzt. Welche Themen? Natürlich Kolonialismus!" "Viel mehr Spaß" hat die zwar augenscheinlich migrationshintergrundlose, aber doch mit Sendezeit beschenkte Christiane Vielhaber erst mit einer Arbeit von Robert Rauschenberg von 1965, die auch in Köln zu sehen ist.

Gegen eine Überbewertung von Identität richtet sich auch Boris Pofalla in seiner "Welt"-Kritik der Ausstellung "O Quilombismo!" im Berliner Haus der Kulturen der Welt (hier die Monopol-Besprechung): "Es ist sehr viel von Wurzeln, von Affirmation und Bewahrung die Rede", schreibt er in der "Welt". "Nur einmal taucht in der über das ganze Haus und die Gärten verteilten Ausstellung die eigentlich naheliegende Idee auf, dass Wurzeln, Traditionen und Überliefertes auch mal hinter einem gelassen werden müssen – in dem Video 'We Are Not Your Monkeys' von 1996, das sich gegen die Verachtung der Kaste der Dalit, der 'Unberührbaren' richtet."

In der "FAZ" schreibt Katinka Fischer über Ulla von Brandenburg in der Städtischen Galerie Karlsruhe. Fischer findet die Ausstellung perfekt für die Wiedereröffnung nach Sanierung des Hauses, da von Brandenburg "als international renommierte und zugleich lokal verwurzelte Künstlerin, die 1974 in Karlsruhe geboren wurde, dort studiert hat und heute auch lehrt, aber bisher nicht in einer großen Einzelschau zu sehen war".

Interview

In der "Zeit" beantwortet die Kuratorin Adrienne Goehler Fragen aus der Interview-Rubrik "Worüber denken Sie gerade nach?". Die Ausstellungsmacherin beschäftigt sich derzeit vor allem mit der Frage, wie Kunst auf die Folgen der globalen Krisen reagieren und ins Handeln kommen kann. Künstlerinnen und Künstler hätten sich inzwischen viel Wissen über Materialien und nachhaltige Rohstoffe angeeignet, das beim Wideraufbau in Kriegsgebieten und der Transformation hin zu klimafreundlicher Architektur helfen könne. "Dieses Wissen wartet drängend auf seine Umsetzung in einer aufgeschlossenen Gesellschaft", so Goehler. "Mit der wissenschaftlichen Materialforschung gemeinsam entstehen gerade Vorschläge und Einfälle, die der öffentlichen Aufmerksamkeit und der politischen Förderung bedürfen. Wir wissen doch alle, wie manche Bauunternehmen mit den Hufen scharren, um in den Kriegs- und Krisengebieten mit den alten CO₂-intensiven Baustoffen an den Wiederaufbau zu gehen. Denen möchte ich gern die Stirn bieten."

Jörg Häntzschel hat für sein "SZ"-Interview mit Hito Steyerl keinen Anlass, lesenswert ist das etwas hin und her mäandernde Gespräch trotzdem. Die Künstlerin spricht gewohnt kritisch über ihr Fremdeln mit dem Betrieb, dem Markt und dem unternehmerischen Kunstsponsoring, blickt auf die Documenta-Debatte zurück ("Wenn man Rassismus gegen Antisemitismus ausspielt, kann nichts Gutes rauskommen, zumal in Deutschland"), attackiert den aktuellen KI-Boom ("Chat GPT ist wie Trump. Auch der konnte mit größtem Selbstverstrauen faktenfreien Müll verzapfen") und spricht über ihre eigenen Experimente mit Bildgeneratoren.

Das besondere Kunstwerk

Laura Helena Wurth schreibt in der "FAZ" noch einmal über David Hockneys Porträt von Harry Styles. Als der berühmte Sänger  ihm in seinem Atelier in der Normandie Modell saß, wusste der Maler gar nicht, wen er da vor sich hat. "Nachdem er erfahren hatte, wer da bei ihm im Atelier gewesen war, soll er sich sofort alle Musikvideos von Harry Styles angesehen haben – und ist jetzt nicht nur technisch auf dem neuesten Stand, sondern auch musikalisch."