Die Entscheidung der Leipziger Galerie Kleindienst, sich von ihrem Künstler Axel Krause zu trennen, weil der bekennender AfD-Wähler ist, wird von den einen als ethisch verantwortungsvoll gefeiert, von den anderen als Angriff auf die Kunstfreiheit verurteilt – und beides ist falsch. Letzteres ganz einfach, weil der Künstler nicht wegen seiner Kunst geschasst wurde und außerdem weiter Kunst machen und zeigen kann, wo er will, nur halt nicht mehr in dieser Galerie. Ersteres aus sehr viel komplexeren Gründen.
Natürlich kann ein Galerist einen Künstler aus seinem Programm werfen, egal aus welchen Gründen. Aber wenn er das öffentlich tut beziehungsweise seine Entscheidung öffentlich kommentiert, dann hat er eine Agenda. Und da es aktuell sehr im Trend liegt, sich die moralische Unfehlbarkeit der eigenen Haltung öffentlich bestätigen zu lassen, liegt der Verdacht nah, dass auch der Galerist sich das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, mit der süßen Kirsche des öffentlichen Beifalls dekorieren lassen wollte.
Dabei wäre gerade dieser Beweis dafür, dass das Phänomen AfD eben nicht nur in bildungs- und einkommensfernen Schichten, sondern selbst in den Gefilden der Hochkultur zu finden ist, eine großartige Chance gewesen, eine gesamtgesellschaftliche Perspektive zu entwickeln und damit die Untersuchungsbasis für mögliche Ursachen des bis heute nur unzureichend erklärten Zuwachses an AfD-Wählern zu erweitern – durch Austausch statt Ausschluss.
Was, mit Rechten, Rassisten, Flüchtlingshassern reden?! Geht gar nicht! Wer sich mit rechten Themen beschäftigt, ist selber rechts, weiß man doch, und außerdem, die Debatte hatten wir doch schon, gibt sogar ein Buch dazu, aber ok, wir können gern darüber reden, ob es sinnvoll ist, mit Rechten zu reden, aber damit das klar ist, wir reden nicht mit denen, die bekommen nämlich eh schon zu viel Aufmerksamkeit, Demos, Facebook, Anne Will, wir haben doch nur so viele Nazis im Land, weil wir die überall reden lassen!
Ja. Reden lassen. Öffentlich, aber ohne Dialog. Was jene Distanz ermöglicht, aus der sich das alles nach Hat-nichts-mit-mir-zu-tun anfühlt und aus der sich so herrlich einfach pauschalisieren lässt, so dass Kritiker der aktuellen Flüchtlingspolitik mit Rassisten in einen Topf geworfen werden und das AfD-Programm auf Ausländerfeindlichkeit reduziert wird. Während man weiten Teilen der Bevölkerung eine derart schlichte Betrachtungsweise zubilligen mag, ist diese in den Sphären der Kunstwelt nicht nur deshalb verblüffend, weil man dort überdurchschnittlich gebildete, intellektuell agile und weltgewandte Geister vermuten würde. Sondern auch und gerade, weil die AfD ein Kernthema der Kunst behandelt: Identität.
Natürlich ist eine identitäre Bewegung ausländerfeindlich, denn sie speist sich aus der Abgrenzung zum Anderen, zum Fremden. Aber der Referenzpunkt dieser Abgrenzung – und das blenden die Schlichten unter uns gerne aus – ist das Eigene. Also, äh, nun ja, das Deutsche. Brutal schwierig zu fassen, zu bewerten, zu leben. Das Schrecklichste. Und das Zerrissenste.
Dass die AfD gerade in Ostdeutschland so stark ist, wird ja gerne darauf geschoben, dass die dortigen Landschaften doch nicht so blühen, wie es mal versprochen wurde. Aber das greift nicht nur deshalb zu kurz, weil AfD-Wähler eben nicht nur arm und arbeitslos sind. Im Zuge der Wiedervereinigung wurde den Bürgern der ehemaligen DDR eine unglaubliche Adaptionsleistung abverlangt. Das war ja keine gleichberechtigte Zusammenführung, sondern eine Art subtile Kolonialisierung durch die BRD, mit einer Selbstverständlichkeit eingefordert, zu der nur Ignoranz fähig ist. Eine Ignoranz, die bis heute anhält - auch in der Kunst, was man zum Beispiel daran sieht, wie viele Leute Kunst in der DDR mit "Leipziger Schule" gleichsetzen. Diese Ignoranz erzeugte für beide Seiten ein Gefühl von Fremdheit im eigenen Land. Wir leben in einem Land, in dem Deutsch nicht gleich Deutsch ist, in dem sich Deutsche und Deutsche nicht erkennen, sich nicht verstehen. Die Unterschiede sind subtil und schwer greifbar und wirken vielleicht deshalb umso stärker.
Aber auch jenseits der spekulativen These der deutsch-deutschen Fremdheit als Identitätsverunsicherer und als Verstärker für die Angst vor dem externen Fremden: Fakt ist, deutsche Identitätsfindung zeichnet sich durch eine Komplexität aus, die doch eigentlich gerade die Kunst zu einer direkten Auseinandersetzung mit den Axel Krauses in den eigenen Reihen animieren müsste. Kaum etwas hat den Kunstdiskurs der letzten Jahre so geprägt wie Identitätsdebatten. Die Forderung nach Inklusion marginalisierter Stimmen, das Streiten um kulturelle Eigentumsverhältnisse, das Sensibilisieren für prägungsbedingte Interpretationen, all das hat doch so klar gemacht, dass es keine Deutungshoheit, nicht die eine Wahrheit gibt, und all das ist eine unglaubliche Chance auf eine intellektuelle wie emotionale Horizonterweiterung für alle Beteiligten.
Wir leben in einem Land, in dem man sagen darf, was man denkt, ohne dafür eingesperrt zu werden. Und was machen wir? Wir distanzieren uns, wir verurteilen aufs Schärfste, und wir sind dankbar für den Hinweis auf den AfD-nahen Kontakt unter unseren Facebook-Freunden, den löschen wir mal gleich, müssen schließlich unser Netzwerk sauber halten, da sind wir Deutschen ja sehr gut drin, in Säuberungsaktionen, wir sind wirklich tolerant, also wirklich, aber bei Intoleranz hört unsere Toleranz auf!
Wir leben in einem der offensten, sichersten und reichsten Länder der Welt, und in einem der freiesten – und wir besitzen nicht die Großzügigkeit, nicht das Vertrauen, eine Meinung auszuhalten, die nicht mehrheitskonform ist? Wir leisten uns die Naivität zu glauben, dass das, was wir ausgrenzen, nicht aus einer anderen Richtung wieder hineinkommt, womöglich mit doppelter Wucht? Wir wollen eine Kunst, die bewegt und großartig ist und kraftvoll, die Neues erschafft und uns zum Denken anregt, aber wir glauben an eine Welt, die keine Meinungsvielfalt, keine Konflikte, keine Veränderung braucht, um zu inspirieren? Wir sprechen Menschen, die sich nicht als Teil dieser Gesellschaft fühlen, das Recht ab, Teil dieser Gesellschaft zu sein, wir sehen den wachsenden AfD-Zulauf und glauben immer noch, dass wir ein Bollwerk moralischer Überlegenheit bilden, das uns retten wird? Die Reihen fest geschlossen, ja?
Wenn wir wollen, dass dieses Land demokratisch bleibt, dann müssen wir Kontroversität als demokratiekonstituierendes Prinzip anerkennen und leben. Wenn sich die Chance auf einen Austausch über die wohlige Nestwärme unserer kleinen Welt hinaus in das vielfältige Denken dieser Gesellschaft bietet, dann müssen wir sie ergreifen. Gern auch nicht öffentlich. Es braucht einen Raum, in dem keine Empörungswelle über nicht mehrheitskonforme Äußerungen hereinbricht, in dem Zeit und Ruhe ist für differenziertes Betrachten, Zuhören, Nachdenken. Der Fall Kleindienst-Krause wird umso trauriger, weil so ein Raum ausgerechnet mit den Mitteln der Kunst zu erschaffen wäre.