Die Ausstellung "Bijoy Jain / Studio Mumbai – Breath of an Architect" in der Fondation Cartier baue letztlich sein Planungsbüro nach, sagt der indische Baumeister in einem Gespräch, das im Katalog zur Schau abgedruckt ist. Doch was der unvorbereitete Besucher im Garten, im Erd- und im Untergeschoß der Fondation sieht, lässt schwerlich an ein Architekturbüro denken. Computer-Arbeitsplätze, Plotter, Scanner, Drucker und Besprechungsräume – nichts davon ist zu sehen.
Stattdessen hängt eine metallene Glocke im Raum und daneben der Klöppel, mit dem die Glocke wie ein Gong angeschlagen werden kann. Es gibt schwere Steinsessel und leichte, leicht verschiebbare Bambusbänke, daneben hat Bijoy Jain Schlusssteine mit Tiergesichtern und einfache Regenrinnen aus dem gleichen Stein aufgereiht. Dazwischen verstreut verschiedene Tongefäße und eine Art kleine Modellbauten aus bunt gebrannten Miniaturziegeln. Und mittendrin, in der lichten Ausstellungshalle von Jean Nouvels Glashaus am Boulevard Raspail, steht eine bunt gestreifte Hütte aus Bambus, deren Inneres von einem rostroten Ballon beherrscht wird, der wie die riesige Tafel an der Stirnwand des Raumes aus einem Bambusgerüst besteht, das mit Jute bespannt, mit Kuhdung stabilisiert und mit in Kalk gelösten Farbpigmenten bemalt wurde.
Recht besehen hat ein gastfreundlicher Bijoy Jain seine Pariser Besucher tatsächlich in sein Studio Mumbai eingeladen, wo sie nun am eigenen Leib erfahren können, was seine Architektur ausmacht. Auch im Studio Mumbai – das zeigen Fotografien im Begleitheft zur Ausstellung – finden sich die Skulpturen aus Stein und Terrakotta, die Fassaden traditioneller indischer Behausungen, die verputzten Tafeln, die mit einem Faden gezogenen Pigmentlinien auf einer Kalkschüttung, die fragilen Bambusstrukturen, die von den Tazias inspiriert sind – von Seidenfäden zusammengehaltene Bambuskonstruktionen, die bei schiitisch-muslimischen Prozessionen zum Gedenken an einen Heiligen auf den Schultern getragen werden.
Alles ist handgemacht
In diesen Relikten erkennt Jain wesentliche Aspekte der indischen Baukunst, die er für sein architektonisches Werk samt dem entsprechenden Handwerk zurückgewinnen will. Wie Hervé Chandès, der künstlerische Leiter der Fondation Cartier, sagt, wurde kein einziges Objekt der Ausstellung mit Hilfe einer Maschine hergestellt, nicht einmal der kleinste Nagel. Alles ist handgemacht: geschnitten, geschliffen, geschwämmelt, geschmiedet, gemalt, gewebt.
Obwohl Bijoy Jain mit seinen Objekten sämtliche Flächen im Garten und im Haus okkupiert – in einem Interview erinnert er sich daran, dass er, als er zum ersten Mal am Jean Nouvels Gebäude vorbeikam, "eine riesige Glasvitrine in einem Wald stehen sah" –, strahlen die Räume, die er so reich mit Dingen gefüllt hat, wie man es gerne bei Vitrinen tut, doch eine große Ruhe aus. Im Atem des Architekten liegt das Versprechen, alle Zeit der Welt zu haben, die ganze Pracht mit Bedacht zu studieren.
Dabei stößt man im Untergeschoß auf die Werke zweier weiterer Künstlerinnen. Denn auf Anregung von Hervé Chandès lud Bijoy Jain die in Peking lebende Malerin Hu Liu und die in Paris ansässige dänisch-türkische Keramikerin Alev Ebüzziya zu seiner Ausstellung ein. Beide Frauen messen der handwerklichen Beherrschung des Materials ebenso große Bedeutung bei wie der Architekt.
Stille ist nicht tonlos
Die Motive der anthrazitschwarz glänzenden Großformate, die einmal Gras zeigen, durch das der Wind fährt, der ein anderes Mal die Wellen des Meeres bewegt, während die Silhouetten der Äste von Bäumen in einem Wald ein drittes Blatt füllen, verweisen auf die immer gleiche, sich meditativ wiederholende Geste, mit der Hu Liu stundenlang den Graphitstift über das Papier führt.
Die cremeweißen Tongefäße mit ihrem schmalen, manchmal gedoppelten orangefarbenen Rand, die Alev Ebüzzziya Siesbye auf einer Tischplatte aus hellem Bambus präsentiert, als minimalistisch zu bezeichnen, ist naheliegend. Der Begriff majestätisch, der sich beim Anblick der in schlichter bauchiger Schönheit ruhenden Schalen und Töpfe aufdrängt, scheint hingegen treffender.
Insofern Vasen und Schalen seit jeher in Häusern und Tempeln als Objekte der Kontemplation dienten, erscheint das Zusammenspiel von Jain und Ebüzzziya Siesbye besonders gelungen. Aus den hohlen Bäuchen der Gefäße scheint eine meditative Stille zu strömen, die den ganzen Raum erfüllt. Die zu erfahren, lade seine Ausstellung vor allem die Besucher ein, erklärt Bijoy Jain bei der Eröffnung. Wobei er hinzufügte, dass auch Stille ihren Sound habe und nicht tonlos und tot sei.
Was bedeutet es, modern zu sein?
Bijoy Jain, 1965 im Mumbai geboren, verlor im Alter von 18 Jahren seine Familie, und verließ daraufhin Indien. Nach seinem Architekturstudium an der Washington University in St. Louis arbeitete er Anfang der 1990er Jahre im Büro von Richard Maier in Los Angeles an der Planung des Getty Centers in Brentwood. Über Stationen in New York und London kehrte er nach Indien zurück und gründete 1995 das Studio Mumbai. Was bedeutet es, modern zu sein? Das war für ihn die zentrale Frage bei seinem Start als freier Architekt.
Vormoderne indische Bauwerke setzten sich palimpsestartig aus vielen Schichten zusammen. Die ersten stammten dann aus buddhistischer Zeit, gefolgt vom hinduistischen Stil und schließlich der islamischen Baukultur. Diese Art der unkomplizierten Aufnahme und Assimilation neuer, fremder Einflüsse endete mit der Ankunft der Briten, deren viktorianische Verwaltungsgebäude und Villen weitgehend unverdaut blieben.
Mit dem nachfolgenden International Style setzte erst recht eine Lähmung der indischen Handwerkskunst ein, wie Jain sagt. Das traditionelle Material und Wissen und der damit verbundene Einfallsreichtum der Zimmerleute und Steinmetze, der Maler, Tischler und Metallhandwerker drohten verloren zu gehen.
Auf diesem Wissen und dieser Kunst, die in jedem der in Paris gezeigten Objekte steckt – etwa in den unglaublich lebendigen, freundlichen Gesichtern der kleinen steinernen Tierfiguren, Mäuse, Schildkröten, Krabben, Elefanten oder Enten, die Jain im Untergeschoss wie eine Art Teppich ausgelegt hat –, baut Studio Mumbai auf, in das die entsprechenden Werkstätten integriert sind. Jain will nicht einfach Raum, sondern Lebensraum schaffen. Und weil es sein übergeordnetes Ziel ist, die Welt mit möglichst wenig Aufwand zu bewohnen, sind seine Bauten einfach, dabei hochgradig funktional, gerade in Hinblick auf Kriterien der Nachhaltigkeit und der Schonung der Ressourcen. Kurz: Sie sind absolut modern. Denn anders als viele Bauten derzeitiger Stararchitekten entsprechen sie der Zeit, in der wir leben.
Die 1984 gegründete Fondation Cartier pour l’art contemporain, die in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen feiert, hat es stets als eine ihrer Aufgaben angesehen, die Bedeutung der Architektur für unser Leben und für die Zukunft unserer Welt aufzuzeigen. Daher hat sie in einer Reihe von Ausstellungen, Residenzen, Dialogen und Kooperationen zeitgenössische Architekten wie Junya Ishigami aus Japan, Diller Scofidio aus den USA, Freddy Mamani aus Bolivien, Mauricio Rocha aus Mexiko und Solano Benitez und Gloria Cabral aus Paraguay gefördert und vorgestellt.
"Bijoy Jain / Studio Mumbai – Breath of an Architect" zeigt nun, es braucht weder CAD-Arbeitsplätze und Plotter, noch braucht es Architekturmodelle und die Dokumentation realisierter Bauten, um andere, überraschende Architekturvorstellungen zu erleben, zu diskutieren und wertzuschätzen.