Es ist wohl nur folgerichtig, dass Martin Parr in den letzten zehn, 15 Jahren auch von der Fashion-Branche entdeckt wurde – erscheinen seine leuchtenden Farbfotografien doch fast wie ein Vorgriff auf eine Ästhetik, die sich zunehmend dort herauskristallisiert hat. Gerade erschien der Band "Fashion Faux Parr", der sich Modestrecken und Editorials des britischen Fotografen widmet. Wer bisher nur die freien Arbeiten kennt, wird überraschend wenig überrascht sein: Das passt schon sehr gut zusammen.
Mit dem besonderen Blick fürs Wimmelbild kombiniert der Brite auch hier waghalsig Muster, Menschen, Gesichter, Interieurs. Ein echtes Match made in heaven war natürlich die Kampagne, die Parr für Gucci noch zu Zeiten von Chefdesigner Allesandro Michele fotografierte: Hübsch-hässliche oder hübsche Menschen jeglichen Alters in grellen Designs, Ugly-Pullis und XXXL-Sonnenbrillen, die im ganz normalen Badeort einen sagenhaften Tag haben.
Eine Versatzwelt, zusammengestellt mit dem Besten aus allen Sehnsuchtsjahrzehnten (und zumindest von Seiten des italienischen Modehauses inzwischen wieder durch eine viel klassischere Vorstellung von Luxus ersetzt). Nebenbei ist Martin Parr ziemlich erfinderisch. Ein Editorial über Kindermode im voll funktionalen Zahnarztstuhl zu schießen, den Bohrer schon im Anschlag, das Karokleid so eben noch als Bildelement erkennbar – das leuchtet gleich ein, dafür muss einem der Auftraggeber aber wohl auch ziemlich vertrauen.
Spitzenhandschuhe und Ledertäschchen beim Bingospielen
Zu den besten Bildern zählen die, auf denen gar keine Models vorkommen: Wo Parr die kostbaren Luxusgüter einfach Menschen auf der Straße in die Hand drückt (es zumindest so ausschauen lässt). Oder wenn er Sonnenbrillen, Armreifen und opulente Statement-Ringe in Mikro-Dioramen voller Britannica-Kitsch platziert. Die Swatch-Uhr macht sich gut zwischen Essig- und Ketschupflasche im "Greasy Spoon", Spitzenhandschuhe und Ledertäschchen passen perfekt zum Bingospielen und Riesenklunker zum Afternoon-Tea.
Oft lässt sich beim Durchblättern auf den ersten Blick gar nicht mit Sicherheit erkennen, ob hier eine Bildreportage mit Mode gekrönt oder eine Modekampagne mit Alltagskolorit interessanter gemacht wurde. Da ist nur logisch, wie begeistert sich die Stylisten und Moderedakteurin Tabitha Simmons im Buch an ein Shooting für die britische "Vogue" erinnert: Parr begutachtete die vergoldeten Louis Vuitton-Boots und die silbrige Fendi-Tasche und erklärte, die glitzernden Statussymbole auf einem Flohmarkt fotografieren zu wollen. Wie in der Kunst, so findet man es ja auch in der Mode besonders gut, wenn die selbst bespielten ökonomischen Hierarchien für einen Moment so keck gebrochen werden. Im klassenbewussten Großbritannien womöglich noch um einiges mehr.
Aber Martin Parr ist kein Zyniker, sondern jemand, der unbändige Freude und Lebenslust einzufangen weiß wie wenige andere. Und wer den Billigurlaub am heillos überfüllten britischen Strand mindestens bildnerisch zur ultimativen Begehrlichkeit werden lassen konnte, zum guilty pleasure allemal, für den sind Gucci, Fendi und Co. natürlich eine Kleinigkeit. Nur der oft diesige britische Himmel hat hier keine Chance.