Marina Abramovic über ihre Blockchain-Performance

"Wir brauchen neue Helden"

Die Performancekünstlerin Marina Abramovic hat ihre Arbeit "The Hero" von 2001 als NFT herausgebracht. Zu sehen ist das Werk jetzt auch am Londoner Piccadilly Circus, dem Berliner Kurfürstendamm und an anderen zentralen Plätzen. Ein Interview

Marina Abramovic, als Ihr Werk "The Hero" entstand, hatte es einen anderen Kontext als heute. Wie war der Kontext damals und wie bezieht sich das Motiv auf die Gegenwart?

"The Hero" wurde ursprünglich 2001 gedreht, zu der Zeit, als mein Vater starb. Vojo war ein Nationalheld des Zweiten Weltkriegs. Es sollte eine Hommage an ihn sein, also schuf ich dieses Bild eines Helden. Es ging dabei um Stille, um Energie und eine Art universellen Stoizismus. Es ist einfach ein weißes Pferd, das sich nicht bewegt, es gibt nur eine leichte Bewegung des Windes, mein Haar weht im Wind, alles ist ohne Schnitt gefilmt und sehr emotional. Als man mich einlud, an der Circa 2022 teilzunehmen, dachte ich sofort an "The Hero", weil wir im Moment wirklich vor dem Dritten Weltkrieg stehen. Was mich an "The Hero 25FPS" am meisten begeistert, abgesehen von der Art und Weise, wie es das Publikum anspricht, ist die Tatsache, dass wir einen Prozentsatz für Hero-Stipendien spenden werden. Ich lade alle, die im Web3 arbeiten, dazu ein, auf der nft.circa.art-Website Ideen einzureichen. Ideen, die die Welt zu einem besseren, schöneren Ort machen. Diejenigen, die eine heroische Vision haben, werden dann in den kommenden Monaten finanziell unterstützt. Ich möchte sehen, welche anderen Ideen die Menschen in diesem Web3-Raum haben, um unseren Planeten zu retten. Die Stipendien, die wir im Rahmen von "The Hero 25FPS "vergeben werden, sind meine kleine Art, zu dieser Zukunft beizutragen.

Wie entstand das NFT aus Ihrem Werk von 2001?

Das Originalmaterial wurde in diese Sekunden und Sekunden und Sekunden unterteilt. Jedes Bild ist einzigartig, weil sich die Flagge im Wind bewegt. Menschen, die das Werk haben wollen, können so viele Sekunden sammeln wie sie wollen. Entweder ein einzelnes Bild als jpg-Datei oder eine Folge von Bildern als gif-Datei - so einfach ist das. Und sie können entscheiden, wie viel von der Bewegung und wie viel Erfahrung sie mit dem Werk machen wollen. Es ist also interaktiv, man interpretiert es selbst, und es ist emotional, also alles zusammen. The Hero wurde ursprünglich im quadratischen Format gedreht, also haben wir viel Nachbearbeitung betrieben, um die Piccadilly-Lights-Leinwand und alle anderen Leinwände auf der ganzen Welt mit dieser wunderschönen Landschaft zu füllen. "The Hero" erstreckt sich über die gesamte Leinwand und es hat Monate gedauert, jedes einzelne Bild zu bearbeiten, weil ich wirklich wollte, dass das Bild die Zuschauerinnen und Zuschauer umarmt. Durch diese Arbeit - Bild für Bild - entstand aus der Stille etwas Neues. Wir entdeckten, wie die Bewegung der Flagge im Wind mit jedem Bild eine neue Schönheit und Bedeutung bekam. Kein Bild war wie das andere. Der Wind, die Flagge - sie tanzten zusammen und bewegten sich wie ein atmender Organismus. Aus einem einzigen Werk entstehen nun Tausende von einzigartigen NFTs. Diese werden zu einem erschwinglichen Preis angeboten, weil ich so viele Menschen wie möglich einladen wollte, an meiner ersten Performance auf der Blockchain teilzunehmen.

Als Künstlerin, die sehr konzeptionell arbeitet, welches besondere Potenzial sehen Sie in NFTs? Gibt es auch Einwände?

1985/86 wurde ich gefragt, was die Zukunft der Kunst im Allgemeinen sei. Ich sagte, dass ich die Zukunft in der völlig immateriellen Übertragung der Erfahrung des Künstlers auf das Publikum sehe, als Austausch von Energie. Jetzt sieht es so aus, als würde diese Vorhersage wahr. Ich sehe NFTs als Grundlage aller menschlichen Architektur, weil die Technologie völliges Vertrauen und Transparenz ermöglicht. Kürzlich sah ich dieses Interview mit David Bowie aus dem Jahr 1999, in dem er über das Internet und den Einfluss sprach, den es auf unser aller Leben haben würde. Das war vor 23 Jahren, also vor YouTube und Google. Er sprach über die "Entmystifizierung zwischen dem Publikum und dem Künstler", die viel größer ist als jeder Verkaufsmechanismus. Mir geht es nicht um den Verkauf. Ich interessiere mich für Ideen. Was mich daran erinnert, dass Bowie auch einen sehr guten Song namens "Heroes" geschrieben hat. Er sagte: "Tomorrow belongs to those who can hear it coming", und ich könnte ihm nicht mehr zustimmen. Wir brauchen neue Helden. Kunst wird es immer geben, seit es die Menschheit gibt. Kunst existiert. Aber was uns jetzt fehlt, sind echte Helden. Wir brauchen die wahren Helden genau jetzt, in diesem Moment. Ich habe mich für die NFT entschieden, weil sie es Künstlern ermöglicht, souverän zu werden. Die "Hero"-Stipendien werden auch dazu beitragen, neue Ideen in diesem Web3-Raum zu finanzieren, und ich bin gespannt auf die neuen Ideen in diesem Raum. Kunst hat nicht die Macht, die Welt zu verändern, aber die Kunst kann die richtigen Fragen stellen. Kunst kann den Weg weisen. Aber es gibt nichts, das dich verändern kann, jeder Einzelne muss sich zuerst selbst verändern. Es liegt an uns. Wir schieben die Verantwortung immer von uns, dabei liegt sie bei uns selbst, bei dem, was wir jetzt, heute, tun können, um etwas zu verändern. Die "Hero"-Stipendien sind mein Beitrag zu dieser Zukunft.  

Welches Potenzial sehen Sie in der virtuellen Realität?

Diese heranwachsende Generation, die in diesem neuen Web3 und in virtuellen Räumen arbeitet, ist so interessant. Sie bauen gemeinsam neue Welten auf. Die ältere Generation von Künstlern macht sich gerne über sie lustig und meint: "Das ist doch Unsinn, das ist doch nur Quatsch" und so weiter. Das Gleiche ist mir in den 1970er-Jahren passiert. Das Gleiche passierte allen Performance-Künstlern in den 1970er-Jahren. Als wir die Performance erfanden, als wir begannen, mit immateriellen Kunstwerken zu arbeiten, in der Galerie oder im Museum, konnte niemand etwas verkaufen, weil es nichts Materielles zu verkaufen gab. Alle dachten: "Das ist lächerlich. Das ist Gegenkunst, man sollte uns in ein Irrenhaus stecken, es gibt nichts zu verkaufen." Und das passiert jetzt auch mit diesen jungen Leuten. Ich habe eine Zeit lang kein NFT gemacht, weil ich für mich selbst die richtige Idee finden musste, die wirklich funktioniert, und bei "The Hero" 25FPS" glaube ich wirklich an das Konzept. Die Art und Weise, wie ich mit der Zeit umgehe, indem ich die Bilder in Tausende von neuen Werken aufteile und das Publikum einlade, das Werk zu vollenden. Für mich ist das sehr aufregend.

Wird die Kunst im Metaversum überleben? Wird sie sich von der Kunst in der so genannten realen Welt unterscheiden?

Es geht mir darum, wirklich einen Raum zu schaffen, in dem Menschen, die in diesem Web3-Raum arbeiten, kreativ sein können und herausfinden, wie wir unser Bewusstsein verändern können, wie wir uns weiterentwickeln können, und wie wir diese Gewalt stoppen können. Und es ist mir sehr wichtig, Mittel zur Verfügung zu stellen für jene Menschen, die unsere neuen Helden sein können. Denn das ist die Zukunft, die neuen Helden. Deshalb habe ich beschlossen, die "Hero"-Stipendien ins Leben zu rufen. Das ist mein kleiner Beitrag zu dieser neuen Zukunft, die wir gemeinsam aufbauen.

 Das Interview wurde per E-Mail geführt