"Margot Friedländer trägt einen Look von Miu Miu, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (links) und den Verdienstorden des Landes Berlin (rechts)", steht neben dem Cover-Foto einer der letzten Holocaust-Überlebenden in Deutschland. Die 102-Jährige lächelt liebevoll auf der August-Ausgabe der deutschen "Vogue". "Love - Ein Plädoyer für das Miteinander" ist der Titel des Sommerheftes.
Zwischen bunten Blumen und großen grünen Pflanzen sitzt Friedländer im botanischen Garten in Berlin. Sie trägt auf den Fotos des Editorials ein geblümtes Kostüm, einen pinken Blazer oder ein Vintage-Ensemble aus ihrem eigenen Kleiderschrank. Cover-Modelle sind in den letzten Jahren immer vielseitiger geworden. Erst waren es Models, dann Celebrities, vor wenigen Jahren dann sind die großen Verlagshäuser zu Aktivistinnen und Politikerinnen übergegangen. Von nur jung und dünn und weiß entwickelte sich die Fronseiten-Politik weiter, Schwarze Modelle und mehrgewichtige Frauen durften auf dem glänzenden Papier Platz nehmen. Irgendwann selbst ältere Frauen, mit Falten und weißen Haaren.
Doch von dieser Ausgabe einer der wichtigsten Modemagazine der Welt schaut nicht etwa Iris Apfel, eine alte, modische Ikone herab. Sondern eine Frau, die zu den wenigen Menschen gehört, die heute noch aus erster Hand über die Gefangenschaft in einem NS-Konzentrationslager erzählen können. Deren Familie in eben jenen Lagern umgekommen ist. Unter dem Instagram-Post des Covers sammeln sich über 1000 Kommentare, die meisten positiv. Als bestes Cover jemals, als legendär und wunderschön wird es beschrieben. Neue Maßstäbe seien gesetzt worden, die Botschaft der Liebe wird gefeiert. Menschen, die noch nie eine "Vogue" gekauft haben, kündigen an, dies heute zu ändern, dank des Friedländer-Covers.
Ist das dem Ernst der Materie angemessen?
Doch manche Follower sehen das ganz anders. Die "Vogue" sei nicht der richtige Ort für solche Statements. Das Thema Antisemitismus, Judenverfolgung, Holocaust strahlt auf einmal knallig konsumierbar von einer Modezeitschrift. Ist das dem Ernst der Materie angemessen? Geht die Wichtigkeit und Tiefe zugunsten der Oberfläche verloren? Oder ist solch eine Geschichte an eben diesem Ort genau das, was in dem aktuellen politischen Klima – Sylt-Video, Europawahl, Rechtsruck – vonnöten ist?
Ein Denkfehler schleicht sich bei vielen ein, die Mode generell als oberflächlich und trivial abtun. Wie kann dort ein so delikates Sujet gut aufgehoben sein? Doch Mode ist Kultur, sie kommuniziert unsere Gesellschaft und das Zeitgeschehen. Zu argumentieren, die "Vogue" sei nicht der richtige Platz für eine Holocaust-Überlebende, ist eine kurzsichtige Aussage. Die Auflage des Magazins lag im ersten Quartal dieses Jahres bei knapp 43.400 Exemplaren. Das ist nicht herausragend, doch wenn 43.400 mehr Menschen von Margot Friedländers Geschichte erfahren, die sich sonst aus dem politischen Geschehen heraushalten, wer könnte dagegen sein? Es handelt sich um eine weitere Plattform, die eine Message verbreitet, die momentan so viele Menschen zu lesen oder hören bekommen müssen wie nur möglich.
Der Modewelt wird oft vorgeworfen, sich vom Weltgeschehen abzugrenzen und in ihrer eigenen Bubble dem Luxus zu frönen, ohne das Geschehen außerhalb ihres Kosmos wahrzunehmen. Wenn sie sich öffnet, und das tut sie immer mehr, sollte das als ein Schritt in die richtige Richtung verstanden werden. Die Bedrohung von Fremdenhass und sozialer Selektion ist so laut, so akut geworden, dass jeder Bereich unseres Lebens, von Wirtschaft über Politik, Lifestyle bis zur Kultur und Mode, ihr Aufmerksamkeit schenken sollte. Der "Vogue"-Artikel, der zu der beschriebenen Foto-Strecke entstanden ist, eröffnet dazu eine Hintergrundgeschichte, die Margot Friedländer noch einmal in einen emotionaleren Kontext einordnet.
Nicht in Schubladen verstauen
"Ich wollte selbst Kleider entwerfen", sagt Friedländer. "Ich hatte große Pläne." Sie ist dem Schönen, ästhetisch Ansprechenden sehr zugewandt. Als junge Frau habe sie davon geträumt, Schneiderin und Designerin zu werden, erklärt sie in dem Text von Miriam Amro. Kurz bevor sie durch die Verfolgung der Nazis in den Untergrund abtauchen musste, hatte sie sich noch an der Berliner Kunstgewerbeschule eingeschrieben und dort Mode- und Reklamezeichnen gelernt. Mit ihrem Bruder habe sie mondän gekleidete Männer und Frauen beobachtet. Sie besitzt heute einen kleinen Kleiderraum in ihrer Seniorenresidenz und eine Kommode mit einer Schublade voller bunter Seidentücher.
Wird jemand mit etwas Furchtbarem assoziiert, möchte man die Person gern in eben dieser Schublade verstauen. Das ist die Holocaust-Überlebende, sie erzählt von ihrem Schicksal, wir müssen andächtig lauschen. Ja, aber: Margot Friedländer steht auch für Hoffnung. Das ist es, was sie antreibt und was sie auch weitervermittelt, wenn sie an Schulen spricht und ihre Geschichte erzählt. Und das Schöne, das Kreative gibt Hoffnung, das haben wir selbst während der Corona-Pandemie gelernt.
"Ihr jungen Menschen seid hier. Ihr habt eine Zukunft, die andere nicht hatten", zitiert die "Vogue" Margot Friedländer. Sie hat sich durch dieses Cover einem Traum aus der Vergangenheit gewidmet, dem sie damals nicht nachgehen konnte. Heute ist ihre Mission eine andere: Menschen erinnern und vor dem bewahren, was ihr geschehen ist. Und wieso geht das nicht gut gekleidet?