Dass jedes Jahr in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen wird, dürfte den meisten Menschen, die sich ein wenig fürs Weltgeschehen interessieren, geläufig sein. Wie die Preisträgerinnen und Preisträger ausgewählt werden, ist dagegen weniger bekannt. Jede Person, die die Anforderungen des Nobelkommitees erfüllt, darf einen Vorschlag machen und dem Gremium Individuen oder Organisationen ans Herz legen, die sie für auszeichnungswürdig halten. Zu den Berechtigten gehören unter anderem Angehörige von nationalen Parlamenten, Mitglieder des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag oder Professoren und Professorinnen an Universitäten.
Aus diesen Vorschlägen wird die Longlist der Nominierten erstellt, aus der das Nobelkommittee schließlich auswählt. In diesem Jahr stehen 329 Kandidaten auf dieser Liste, 234 Personen und 95 Organisationen. Unter den Nominierten findet sich auch die Anti-Rassismus-Initiative "Black Lives Matter" (BLM), eingereicht vom norwegischen Abgeordneten Petter Eide von der Linkspartei Sosialistisk Venstreparti. Die Bewegung, die 2013 mit einem Hashtag begann, richtet sich vor allem gegen Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA, nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd. Im Mai 2020 wurde daraus jedoch eine internationale Protestbewegung, die sich darüber hinaus gegen Rassismus in allen gesellschaftlichen Bereichen und für die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit des Westens einsetzt. Auch in der Kunst hat BLM eine Debatte über Diskriminierung und Repräsentation angestoßen, 2020 setzte Monopol die Bewegung auf Platz eins der einflussreichsten Akteure der Kulturszene.
Während der Entscheidungsfindung bis zur Verkündung Anfang Oktober dürfte die Idee von "Black Lives Matter" jedenfalls in der norwegischen Hauptstadt Oslo präsent sein. Denn direkt gegenüber des Nobel-Instituts hinter dem königlichen Schloss hängt nun bis Dezember eine Arbeit des neuseeländischen Künstlers Luke Willis Thompson, der sich schon öfter mit Themen beschäftigt hat, die BLM nahe sind. So zeigte er auf der Berlin-Biennale 2018 einen stummen Schwarz-Weiß-Film, in dem Diamond Reynolds zu sehen war - eine junge Frau aus Minnesota die 2016 mit ihrem Handy zu filmen und zu streamen begann, nachdem ihr Partner Philandro Castile bei einer Verkehrskontrolle von einem Polizisten angeschossen worden war. Er starb später im Krankenhaus. Reynolds' damals vierjährige Tochter musste alles auf dem Rücksitz mitansehen.
Der Atem als sanftes Flirren
In Oslo ist an der Fassade der ehemaligen US-Botschaft von Architekt Eero Saarinen nun das Foto eines jungen schwarzen Mannes zu sehen, der mit geschlossenen Augen entspannt auf dem Rücken auf einer Wiese liegt. Bei flüchtigem Hinschauen ist das Kunst-Banner ein ziemlich idyllisches Bild, bis man die Unschärfe im Bauchbereich des Abgebildeten bemerkt. Bei Thompsons Werk "(a) breathing: collective noun" handelt es sich um eine Mehrfachbelichtung, die die Bewegung des Körpers beim Atmen sichtbar macht, ein sanftes Flirren auf dem riesigen Billboard.
Einerseits könnte dieses Bild für ein Durchatmen in einer politisch aufgeheizten Zeit stehen - eine seltene Möglichkeit, einfach nur zu sein. Andererseits ist es unmöglich, bei dem Foto und seinem Titel nicht an George Floyds letzte Worte zu denken, während ein Polizist auf seinem Hals kniete: "I can't breathe". Der Satz wurde während der "Black Lives Matter"-Proteste eine kollektive Anklage, die überall auf der Welt skandiert wurde. Das freie Atmen, das oft so selbstverständlich ist, dass man es gar nicht wahrnimmt, kann eine politische Handlung sein. Ein Recht, das besonders für Minderheiten bedroht ist.
Für seine Beschäftigung mit "Black-Lives-Matter"-Themen bekommt Luke Willis Thompson, 1988 als Nachfahre fidschianischer Einwanderer in Auckland geboren, jedoch nicht nur Anerkennung. Als der Wahl-Londoner 2018 für den Turner-Prize nominiert war, gab es unter anderem Proteste des Kollektivs BBZ. Ihm wurde vorgeworfen, vom Schmerz schwarzer Menschen zu profitieren. Laut einem Statement der deutschen Galerie Nagel / Draxler will der Künstler mit seinem Motiv in Oslo nicht als Einzelner sprechen. Das Bild solle vielmehr die verschiedenen Stadien des Atmens zusammenbringen und so auf die verbindende Qualität des lebensnotwendigen Prozesses verweisen. "Wenn jemand sein Recht aufs Überleben wahrnimmt oder darauf besteht, ist das eine Handlung für Viele", heißt es in der Beschreibung. "Sogar in der Stille."