Plakataktion in Berlin

Schnecken und Kröten

Luise Marchand vor ihren Schnecken-Plakaten in Berlin
Foto: Luise Marchand

Luise Marchand vor ihren Schnecken-Plakaten in Berlin

Auf Werbeflächen in Berlin kriechen gerade Achatschnecken auf Euroscheinen herum. Diese ungewöhnliche Verbindung von Weichtieren und harter Währung ist eine Aktion der Künstlerin Luise Marchand  

Als im ersten Lockdown 2020 eine Gartenschnecke über ihre Steuererklärung kroch, hatte die Künstlerin Luise Marchand die Idee zu ihrer Plakatkampagne "Zeit ist Geld. Eine Schnecke ist eine Schnecke". In den Berliner Stadtteilen Schöneberg und Mitte hängen seit dem Gallery Weekend Plakate mit stattlichen Weichtieren, die sich auf oder neben Geldscheinen tummeln. Für Luise Marchand, die sich in ihrer Arbeit mit stock photography und Werbeästhetik auseinandersetzt, entwickelt sich aus der Zusammensetzung ein Kontrast zwischen kreatürlicher Langsamkeit und beschleunigter Ökonomie. Die genaue Beobachtung der eher gemütlichen Wesen fördert für die Berlinerin Sensibilität und das menschliche Bedürfnis nach Rückzug, für das im durchoptimierten Alltag jedoch selten Platz ist.

Außerdem bedient sie eine gewisse Absurdität, die auch den rechtefreien generischen Werbebildern eigen ist, die möglichst offen für jegliche Interpretation sein müssen und gleichzeitig ein gewisses Begehren auslösen sollen. "Der Bruch der Sehgewohnheiten ist erst auf den zweiten Blick bemerkbar", sagt Luise Marchand. "So stelle ich die internalisierten und antrainierten Sehgewohnheiten der heutigen Erlebnis- und Konsumgesellschaft in Frage."

Die Künstlerin, die an der HGB Leipzig und der Kunstakademie Düsseldorf studiert hat, interessiert sich außerdem für den Faktor des Zufalls, der bei einer öffentlichen Plakatkampane eine Rolle spielt. Ob die geldaffinen Achatschnecken nun neben Werbung für Hafermilch, Start-up-Versicherungen, Proteinbrot oder Stripclubs hängen, kann sie nicht beeinflussen. Und die Nachbarbilder beeinflussen auch die Wahrnehmung ihrer Fotos und öffnen sie für verschiedene Deutungen. Die Plakate können darüber hinaus daran erinnern, dass unsere heutige Währungen alles andere als selbstverständlich sind. Von etwa 2000 v.Chr. bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden an verschiedenen Orten der Welt Schneckenhäuser, das sogenannte Kaurigeld, als Zahlungsmittel genutzt. 

Achatschnecken mit ihren hübsch gemaserten Häusern gehören zu den größten Landschnecken der Welt und können bis zu 30 Zentimeter lang werden. Die beiden fotografierten Exemplare leben inzwischen in einem Terrarium bei Luise Marchand. Die Berliner Plakataktion wurde gerade bis zum 22. Mai verlängert. Die genauen Orte der Poster finden Sie auf dem Instagram-Account der Künstlerin.