Es kann auch leicht schiefgehen: Man könnte Linder Sterling, die sich selbst nur Linder nennt, als reines Szenegewächs präsentieren, das seine Energie allein aus einer untergegangenen Epoche schöpft. Man könnte Ausstellungsräume nach einem Punkclub im Manchester des Jahres 1977 aussehen lassen. Wenn jetzt die Hayward Gallery für den kommenden Winter die erste Londoner Retrospektive der heute 70-Jährigen ankündigt, hoffen wir aber, dass das Kuratorenteam diese Optionen bereits verworfen hat. Denn es würde Linders Arbeiten nicht gerecht werden, sie allein als Zeitdokumente zu behandeln. Tatsächlich können sie gut für sich selbst stehen.
In Linders Familie hatten alle spätestens mit 15 Jahren die Schule verlassen, sie selbst aber studierte, Kunst in Manchester. Es wirkt deshalb wie Ironie, dass sie wenig von dem auf dem College erworbenen Wissen anwenden konnte, als sie erste Schritte als Künstlerin unternahm – es war die Zeit des DIY, die Lieblingsmarke des Punk hieß Eigenbau.
Linder brachte sich den Umgang mit dem Skalpell bei, um damit säuberlich auf Glasplatten liegende Magazinseiten zu bearbeiten. Sie schnitt Motive aus Einrichtungskatalogen und Pornoheften aus und führte so Sphären zusammen, in denen von Männern idealisierte Frauenbilder dominierten. Bekannt wurde die in Liverpool geborene Linder 1977 mit dem Artwork für die Single "Orgasm Addict" von den Buzzcocks: ein gestählter, glänzender Frauenkörper, dessen Brustwarzen durch gefletschte Zähne ersetzt sind, der Kopf durch ein Bügeleisen. In London wird das Original zu sehen sein.
Fesseln in einem Überbau von Unterdrückung
Das Prinzip der Montage hat Linder nie aufgegeben, sie benutzt dazu auch heute noch dieselbe Technik, digitale Möglichkeiten ignorierend. "Die Schnitte, die ich mit meinen Klingen und Scheren mache, sind immer wieder befreiend", lässt Linder anlässlich der Ankündigung ihrer Londoner Ausstellung verlautbaren. "Die vorgefundenen Bilder in meiner Arbeit sind oft ziemlich fragil. Es braucht nicht viel, um sie zu entführen und sie an einen weitaus surrealeren Ort zu bringen."
Wie früher stellt sie auch in den aktuelleren Collagen hypersexualisierte weibliche Körper im häuslichen Ambiente dar. Denn die zugrunde liegende feministische Wut ist ungebrochen. Die Erwartung, als Sexgöttin und Hausfrau gleichermaßen funktionieren zu müssen, lastet auch auf einer neuen Generation von Frauen. "Die Mittel, mit denen der zeitgenössische Kapitalismus den Frauenkörpern zusetzt – von der Werbung über die Pornografie bis hin zu den Strukturen von geschlechtsspezifischer Arbeit –, sind keine Privatangelegenheit ohne Einfluss auf den Rest der Welt", schreibt etwa die 37-jährige Autorin Laurie Penny, Britin wie Linder. "Vielmehr sind sie die notwendigen Fesseln in einem Überbau von Unterdrückung, die so grundlegend zur Erfahrung des Frauseins gehört, dass sie quasi unsichtbar ist."
Es ist das Verdienst von Linder, diese "Fesseln", diesen Unterdrückungskomplex in zahlreichen Fotomontagen sichtbar zu machen, indem sie – eigentlich einfacher Trick – aus Frauenkörper plus Objekt Frankenstein-Geschöpfe kreiert.
Der weibliche Körpers als Schlachtfeld und Waffe
Doch Linder arbeitet in vielen Medien: Leuchtkästen, Fotografie, Installationen. Berühmt geworden ist der Auftritt der Post-Punk-Band Ludus 1982 im Haçienda-Club in Manchester, bei dem die Frontfrau Linder ein Kleid aus Fleisch und einen Dildo trug und damit sowohl Lady Gagas Beef-Kostüm als auch die irrwitzigen Spekulationen über den angeblichen Penis der Musikerin vorwegnahm.
In Linders Arbeiten sind Strategien zu besichtigen, die heute – wenn auch feiner, komplexer und verwirrender – fortgeführt werden, Inszenierungen des weiblichen Körpers als Schlachtfeld und Waffe.