Mittlerweile muss man sich fast wundern, wenn eine Ausstellung mal ohne den Einsatz Künstlicher Intelligenz auskommt. Aber Achtung – es gibt etwas Neues am Horizont der revolutionären Technologien: Grundlage für diese neuen Entwicklungen liefert die Quantenphysik.
Was war das nochmal? Zur Auffrischung: Die Disziplin untersucht, wie sich Materie und Energie in sehr kleinen Größenordnungen verhalten. Im Gegensatz zur klassischen Physik (Newton und so) befasst sich die Quantenphysik mit Wahrscheinlichkeiten statt mit Gewissheiten. An dieser Stelle sollte man beunruhigt sein, denn das bedeutet, dass es in dieser Lesart nichts gibt, was sich mit Sicherheit voraussagen lässt. Glaubt man der Forschung, dann brechen diese Annahmen mit dem Wirklichkeitsbegriff, der unserem Alltag zugrunde liegt.
Die LAS Art Foundation hat sich diesem Thema nun angenommen und eine dreijährige Reihe von Auftragsarbeiten, Vorträgen, Diskussionen und Publikationen zum Thema Quantenphysik gestartet. Den Auftakt bildet die Ausstellung "We Felt A Star Dying" der französischen Künstlerin und Turner-Preisträgerin Laure Prouvost im Kraftwerk Berlin.
Quantenverschränkte, zarte Skulpturen
Beim Betreten der riesigen, stets kühlen Halle sieht man erstmal nicht viel. Der Raum, der einst große Maschinen zur Energie-Erzeugung beherbergte, ist mit seinen über 8000 Quadratmetern Fläche, einer Deckenhöhe von bis zu 29 Metern und den rohen Betonstrukturen ein Relikt des ausgehenden Industriezeitalters. So nimmt er selbst mit seiner brutalistischen Architektur zunächst die Wahrnehmung in Beschlag. Schaut man aber lange genug nach oben, sieht man im Licht bunt schillernde, schwebende Skulpturen, die sich durch Öffnungen zwischen den Stockwerken abseilen. Sie sehen aus wie kleine, fantasievolle Satellitenformen, aus denen fragile, ein bisschen ärmlich aussehende Pflanzen wachsen. Die sogenannten "Cute Bits" strahlen von Prismen gebrochenes Licht aus, während sie im Raum ab- und wieder aufsteigen.
Der Titel spielt auf den Begriff Qubits an: Das sind die grundlegenden Informationseinheiten in einem Quantencomputer. Laure Prouvost hat ihre zarten Kunst-Wesen anhand der zentralen Idee der Verschränkung konzipiert – sowohl im quantenmechanischen als auch im metaphorischen Sinne. Die Quantenverschränkung ist ein Phänomen, bei dem sich Teilchen miteinander verknüpfen, sodass der Zustand des einen mit dem des anderen korreliert, egal, wie weit sie voneinander entfernt sind. Das machen Prouvosts "Cute Bits" im Kraftwerk anschaulich, wenn sich die Bewegung der einen Skulptur in der entgegengesetzten Regung einer anderen spiegelt; als würden die kleinen Schöpfungen aufeinander reagieren.
Um solche Parallelen zur Forschung aufzeigen zu können, hat LAS die Künstlerin mit zwei Wissenschaftlern zusammenarbeiten lassen: dem Physiker Hartmut Neven, der für Google an Quantencomputern und -chips arbeitet, und dem Philosophen Tobias Rees, der an der Schnittstelle zwischen Philosophie, Kunst und Technologie forscht. Neven ist kürzlich zum Superstar der Quantenwissenschaft avanciert, weil Google verkündete, dass sein neuer Chip "Willow" in fünf Minuten einen Rechenvorgang erledigt, für den ein "normaler" Supercomputer zehn Quadrillionen Jahre benötigen würde. Das ist eine Zahl mit 25 Nullen, die sogar das Alter des Universums übersteigt – und damit unvorstellbar ist.
Für die Quantenphysik interessiert sich Philosoph Rees, wie er im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagt, weil er die Erkenntnisse, die aus ihrer Erforschung folgen, für fundamentale Brüche mit den Kategorien hält, mit denen wir bislang die Welt verstanden haben. Deshalb gelte es, die Wirklichkeit neu denken zu lernen und andere Begriffe zu finden, die ihr gerecht werden. Ein zentrales Mittel dafür bildet die Zusammenarbeit von Philosophie, Technologie und Kunst – die bislang in der Forschung getrennt voneinander betrachtet werden. Rees ist der Meinung, dass nur im Zusammenspiel dieser Disziplinen Denkmuster möglich sind, die fassen können, was Quantenprozesse ausmacht: Ihre radikale Zufälligkeit, Instabilität und Unvorhersehbarkeit.
Während Technologieunternehmen nach Möglichkeiten suchen, diese Unbeständigkeit zu verringern, um die Leistung von Quantencomputern berechenbar zu machen, soll Prouvosts Auftragswerk einen Raum eröffnen, sich genau mit dieser Empfindlichkeit zu befassen: dem Grad an Unvorhersehbarkeit – der "Quantenartigkeit" des Quantencomputing. Als Künstlerin findet Prouvost diese Instabilität und irgendwie menschliche Fragilität gerade interessant.
So kam es auch zum Ausstellungstitel: Als Hartmut Neven erwähnte, dass Quantencomputer auf Umwelteinflüsse reagieren und deshalb manchmal nicht so gut funktionierten, zum Beispiel, wenn es auf der Sonne eine Eruption gegeben hat, folgerte Prouvost, dass Quantencomputer sozusagen fühlen können. Zum Beispiel, wenn ein Stern stirbt, wie der Ausstellungstitel verrät.
Lümmeln unter dem Videohimmel
Geht man die Stufen im Kraftwerk nach oben, empfängt einen die riesige Textilarbeit "The Beginning", deren sechs blütenblattförmige Bahnen sich leicht im künstlich erzeugten Wind wiegen. An verschiedenen Stellen im Raum stehen weitere "Cute Bits". Wenn man neugierig ist, kann man sich unter eine solche Skulptur stellen, die hohl ist. Viel zu sehen gibt es da drin nicht, weil es recht dunkel ist. Allerdings ist die flüsternde Stimme der Künstlerin zu hören, und es riecht plötzlich anders, ein wenig metallisch. Unter den "Cute Bits", sowie an anderen Stellen auf dem Boden liegen Steinchen und Partikel, wie Sternenstaub.
Zentrum der Ausstellung ist das titelgebende Video "We Felt A Star Dying", das man auf einer Polsterlandschaft lümmelnd auf einer kreisrunden Projektionsfläche an der Decke anschauen kann. Im Liegen ist die gemeinsame Erfahrung mit den anderen Besucherinnen und Besuchern intimer als sonst. Der halbstündige Film, der aus assoziativ aneinandergereihten Fragmenten besteht, ist typisch für Prouvosts eindrucksvolle Bildsprache: So auch der Gesang und ihre flüsternde Stimme. Die Geräuschkulisse wirkt mystisch; dass man nur einzelne Wörter versteht, trägt zur geheimnisvollen Atmosphäre bei.
Liest man den Text zum Video im Ausstellungsbooklet, versteht man allerdings, dass Prouvost hier über den konzeptionellen Wandel reflektiert, der erforderlich ist, um Quantenprinzipien zu begreifen und ins Zentrum einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu rücken. Aber auch – oder gerade – ohne dieses Wissen sind die Bilder schön, poetisch und weltumarmend: manchmal abstrakt wie bunte Sternschnuppenscharen, dann wieder kann man etwas erkennen: Die Krallen und Federn eines pickenden Vogels auf einer Glasscheibe, gefilmt von unten. Das Video zeigt immer wieder unterschiedliche Perspektiven. Aufgenommen hat Prouvost es mit Mikroskop- und Wärmebildkameras sowie mit einer Drohne.
Am Ende bleibt die Frage, welchen Beitrag Kunst zur Auseinandersetzung mit Quantenphysik leisten kann – und vor allem, ob sie das überhaupt soll. Irgendwie bleibt ein mulmiges Gefühl, Kunst für die Aufgabe zu beanspruchen, unser Weltbild wieder in Ordnung zu bringen, weil technologische Revolutionen dieses aus den Angeln gehoben haben. Klar, es geht ja eigentlich "nur" darum, neue Begriffe zu finden; im Dreiergespann von Forschung, Technologie und Kunst. Es geht um etwas, das schon immer da ist, aber aufgrund eines Mangels an Wissen bislang übersehen wurde.
Doch der Dialog zwischen Kunst und Technologie fühlt sich im Kraftwerk doch sehr nach einer gewollten Inanspruchnahme der Kunst für gesellschaftlich relevante Zwecke an. Auch wenn Prouvosts Auftragsarbeiten künstlerisch überzeugen, wirken die direkten Bezüge zu den Prinzipien der Quantenphysik didaktisch. Vielleicht hilft es, die Ausstellung anzuschauen, ohne die begleitenden Texte zu lesen. Ansonsten bleibt der schale Nachgeschmack, dass die Vermählung von Kunst und Quantenphysik in eine Sackgasse führt. Zumindest für die Kunst. Bleibt die Hoffnung, zukünftig vom Gegenteil überzeugt zu werden.