Wie schmecken die Rothko-Farben? Was könnte man aus dem Inhalt der berühmten Tomatendosen von Andy Warhol machen? Und mit welchem Getränk würde man im roten Atelier von Henri Matisse anstoßen? Mit dem Buch "Kunst Kochen" liefert Felicity Souter 52 mögliche Antworten, genauer gesagt Rezepte, die von Kunstwerken inspiriert sind. Zu Rothko passe etwa eine Paprika-Tarte mit Parmesankruste, bei Warhol gibt es Tomaten-Galettes und zum roten Atelier werden Bloody Marys mit Dillnote gereicht.
Farbenfrohe Lebensmittel, Kreativität und Ästhetik auf dem Teller: Die synästhetische Verbindung von Kunst und Kochen ist ein Trend der letzten Jahre. Manche betrachten Kochen als die älteste Form bildender Kunst, es gibt passende Kochkurse und nun auch noch ein neues Buch. Für ganze Kunstliebhaber-Menüs hat die Londoner Künstlerin und Köchin Felicity Souter Rezepte zusammengestellt. Man blättert sich durch Vorspeisen, die von Judy Chicago angeregt sind, zu Hauptgängen nach Vorbild von Gustav Klimt oder Jacob Lawrence und Desserts, die an Paul-Cézanne-Werke erinnern. Anstoßen kann man dazu mit einem Drink der (fast) Yves-Klein-blau ist und aus Wodka, Wermut, Orangenbitter und, für die Farbe, aus Blue Curaçao besteht.
Wem ein solcher Querschnitt durch die Kunstgeschichte gegen den Geschmack geht, kann mit den Menüvorschlägen auch bei einem Künstler bleiben und die Gerichte danach zusammenstellen, was Picasso oder van Gogh gefallen hätte (bei Picasso soll es leicht und frisch sein, bei Van Gogh vor allem gelb). Raffiniert sehen die essbaren Kunstnachbildungen aber alle aus. Felicity Souter, die auch als Food-Stylistin und -Fotografin arbeitet hat ein Buch in Coffeetable-Ästhetik gestaltet, nur eben für den Küchentisch.
Dinnerpartys unter Künstlern
Neben kurzen kunstgeschichtlichen Einführungen zu den Bildern sind in "Kunst Kochen" Anekdoten rund um das Thema Genuss und Essgewohnten bekannter Künstler zusammengetragen. Als Kind habe Salvador Dalí zum Beispiel Koch werden wollen, im Erwachsenenalter überließ er das dann doch lieber anderen. Dennoch veröffentlichte er 1973 das surrealistische Kochbuch "Die Diners mit Gala" – ein Kunstwerk für sich. Auch taucht in Dalís Werk immer wieder Essbares auf: Spiegeleier in Wüstenlandschaften, gekochte Hummer, die wie Telefonhörer anmuten. Zu dem weltberühmten Gemälde mit den zerlaufenden Uhren "Die Beständigkeit der Erinnerung" soll ihn angeblich auch ein Nahrungsmittel inspiriert haben - schmelzender Camembert. Zu dem Bild liefert Felicity Souter also auch etwas zerlaufend Käsiges: ein Eis auf Basis von Ziegenkäse.
Monet sollen vor allem die Gewohnheiten um sein Essen besonders wichtig gewesen sein, das Mittagessen habe täglich um Punkt 11.30 Uhr auf dem Tisch gestanden. Vielleicht ist das genau die richtige Zeit, zu der man die Muffins servieren sollte, die in ihrer Form und Farbe an das Gemälde "Verschneite Getreideschober am Morgen", erinnern. Als Dinnergäste Monets waren übrigens häufig andere berühmte Künstler eingeladen, darunter Pissarro, Renoir, Sisley und Cézanne.
Würde man ein Menü nach ihren Bildern kochen, käme eine sehr ausgefallene Mischung zusammen. Zu den ausschweifenden Feiern von Künstlerinnen und Künstlern lässt sich viel erzählen. Geschichten, die man heute vielleicht auf den Klatsch-Seiten von Boulevard-Magazinen finden würde. Eine der wenigen weiblichen Künstlerinnen, deren Werk zu Rezepten angeregt hat, ist Frida Kahlo. Zu dem Gemälde "Die Sonne und das Leben" gibt es nicht etwa die legendäre Mole Poblano, eine Schokoladen-Chili-Sauce, deren Rezept sogar im Frida-Kahlo-Museum in Mexico City hängt, sondern Tacos. Typisch mexikanisch also.
Pollock-Brownies und Van-Gogh-Tarte
Von edlen Austern über einfache Pfannkuchen mit Äpfeln gibt es unterschiedlich anspruchsvolle Rezepte. Über van Gogh schreibt die Autorin "Essen war ihm nicht wichtig", oder aber: er sei zu arm gewesen, um Wert auf seine Ernährung zu legen. Immerhin gibt es für den Maler nicht sein Lieblingsgetränk Absinth, sondern eine knallige Orangentarte, die zu seinem Sonnenblumen-Gemälde passt. Zwar sind einige Rezepte auch an Geschichten persönlicher kulinarischer Vorlieben der Künstler angepasst, viele scheinen aber vor allem durch optische Assoziationen entstanden zu sein.
Die hellen und dunklen Spritzer auf Jackson Polloks "Autumn Rhythm (Number 30)", werden zum Beispiel durch Schokoladensprenkel auf einem Brownie dargestellt. Immerhin, Pollock soll gemeinsam mit seiner Frau selbst gern gebacken haben. Ohne das Vergleichsbild wäre man bei den Brownies aber vielleicht nicht auf den Vergleich mit seiner Kunst gekommen.
Die Bergspitzen auf Markus Pernharts "Der Großglockner im Schnee" verwandeln sich kulinarisch in kleine Baiserhäubchen. Zumindest, wenn man die richtige Perspektive einnimmt. Die Muschel der "Geburt von Venus" von Odilon Redon taucht auf dem Teller als Auster auf. Statt Venus, findet man darin Schalotten. Ein bisschen weniger aufregend.
Schoko-Salami nach Dieter Roth
Andere Kunstwerke liefern den Bezug zum Essen ganz von selbst: So gibt es zu Marina Abramovićs Videoperformance "The Onion", bei der sie eine rohe Zwiebel verspeist und dabei all die Dinge aufzählt, denen sie überdrüssig ist, eben genau das: Zwiebeln. Allerdings nicht roh, sondern frittiert, dazu ein Paprikadip. Ganz so radikal wie Abramović, die, was Essen angeht, ansonsten vor allem durch die Verweigerung dessen aufgefallen ist, muss es nicht sein.
Bei der Performance "The Artist is Present" von 2010, bei der sie über drei Monate lang täglich acht Stunden ohne Pause auf einem Stuhl saß, hat sie zusammengerechnet 600 Stunden kein Essen zu sich genommen, heißt es in "Kunst Kochen". Da ist eine frittierte Zwiebel dann ein doch recht gemäßigter Vorschlag. Und auch das Rezept zur "Literaturwurst" von Dieter Roth ist optisch naheliegend, zumindest auf den ersten Blick. Roths Kunstwerk besteht keineswegs aus einer Salami, wie man sie beim Metzger kauften könnte, sondern einer gehäckselten Ausgabe von Martins Walsers "Halbzeit", das in eine Wursthaut gepresst wurde. Auch Souters Rezept bleibt vegetarisch. Die vermeintliche Salami besteht vorwiegend aus Bitterschokolade mit kandierten Ingwerstücken, die das Fett der Wurst simulieren.
"Kunst Kochen" ist weder etwas für Küchenprofis noch für Kunstexperten. Aber das Auge isst eben mit. Sollte man zu einem Kunst-Dinner einladen, lohnt es sich wohl dennoch, die nachgekochten Bilder noch schnell auszudrucken und auf dem Tisch zu verteilen – damit der Zusammenhang zwischen den künstlerisch-kulinarischen Kreationen wirklich erkennbar bleibt.