Kunstmesse Art-O-Rama in Marseille

Zu Unrecht unter dem Radar

Die Region Marseille hat künstlerisch viel zu bieten, steht aber im Schatten der Kulturmetropole Paris. Die Messe Art-O-Rama, die gerade zum 18. Mal stattfand, will das langsam, aber sicher ändern

Die Hitze steht in den Räumen der alten Tabakfabrik in Marseille. Menschen laufen in weiten Kleidern durch die große Halle im zweiten Stock und fächern sich Luft zu. Früher wurden hier die urfranzösischen Gauloise-Zigaretten in Handarbeit hergestellt. Heute sind die massiven Wände mit Graffiti besprüht. Es gibt ein Restaurant, einen Souvenirshop – und vor allem: Viel Platz für Kunst. 

Jeden Spätsommer drehen sich hier seit 18 Jahren die Ventilatoren über den verschwitzten Köpfen von Sammlerinnen und Sammlern, Ausstellungsmachern und Galeristinnen und Galeristen. Die Art-O-Rama lockt sie seit 2007 nach Marseille: eine Kunstmesse, die behutsam von Jahr zu Jahr größer wird und vor allem kleine Galerien begrüßt. 

Über 60 Teilnehmer waren dieses Jahr vertreten. Neben vielen französischen Ausstellern waren hauptsächlich europäische Galerien dabei, etwa aus Barcelona, Budapest, Brüssel, London und Wien. Darunter waren auch drei deutsche Entdeckungen: Bloom (Düsseldorf), Zyrland Zoiropa (Berlin) und Paulina Caspari (München).

Marseille – Region der übersehenen Kunstschätze  

Marseille ist wenig bekannt für seinen florierenden Kunstmarkt. Im zentralistischen Frankreich wird die immerhin zweitgrößte Stadt des Landes von der Kulturhauptstadt Paris überschattet. Große Messen wie die Paris+, die mittlerweile Art Basel Paris heißt, dominieren nach wie vor den Kunstkalender. 

Dabei haben Marseille und das Umland viel zu bieten, sagt Jérôme Pantalacci, Direktor der Art-O-Rama. "Die Region hat eine reiche Kunstgeschichte und es gab schon immer tolle Häuser hier", erzählt er. Vermutlich seien die im Schatten von Paris bisher untergegangen. Das scheint sich langsam zu ändern, unter anderem durch die Messe. Sie ist die größte ihrer Art im Süden Frankreichs und lockt vor allem nationale Sammlerinnen und Sammler ans Mittelmeer.  

Denn neben Marseille haben auch kleinere Städte wie Arles oder Aix-en-Provence einiges für Kunstliebhaber zu bieten. In Arles gibt es beispielsweise mit dem Luma Museum für zeitgenössische Kunst, dessen Turm von Frank Gehry die Stadt überragt, ein stolz präsentiertes Architektur-Juwel. Auch das dortige Fotofestival hat internationale Strahlkraft. Die Villa Benkemoun, ebenfalls in Arles gelegen, ist dagegen eine Hommage an den Architekten Le Corbusier, der sich einige Kilometer entfernt mit seiner "Cité Radieuse" verewigt hat. Die strahlend weiße Villa, umgeben von Orangenbäumen und Wildsträuchern, wurde in den 1970er-Jahren von Emile Sala für das Ehepaar Benkemoun errichtet. Es ist ein Kunstwerk, in dem die Zeit stehen geblieben ist: Orange Sitzlandschaften, "Tulip Chairs" von Eero Saarinen und ein strahlend blauer Pool bilden das Dekor für wechselnde Kunstausstellungen. 

Kölsch in Chicago

Die Villa Benkemoun profitiert, wie viele andere Ausstellungsräume in der Region, von der Art-O-Rama. Es ist die Messe, die die Sammlerinnen und Journalisten schon einige Tage vor ihrem Beginn in die verwunschenen Räume des Hauses führt. Das Event ist ein großer Werbepartner für die Kunstszene im Süden Frankreichs.

Wo Paris der Ort der etablierten Big Player ist, will Marseille der Startpunkt für junge Galerien sein. "Die Art-O-Rama ist eine erschwingliche Messe für Galerien", sagt Pantalacci. Sie ermögliche es jungen Galerien mit kleinerem Budget, ihre Kunst auszustellen und Kontakte zu Sammlerinnen und Sammlern zu knüpfen. Die geringen Gebühren, die die Messe verlangt, zogen für die diesjährige Ausgabe auch Galerien aus dem weit entfernten Chicago an. 

Marc LeBlanc etwa war das zweite Mal mit seiner gleichnamigen Galerie auf der Messe vertreten. Er erzählt, er habe es sich zur Aufgabe gemacht, die deutsch-amerikanische Freundschaft in der Kunst zu unterstützen. Als Köln-Liebhaber habe er dafür im Hinterzimmer seiner Räume in Chicago einen Gaffel-Stammtisch eingerichtet. Nach jeder Vernissage werde dort in der Galerie-eigenen "Kneipe" Kölsch getrunken und gefeiert. 

Potenzial im Süden

Auf der Messe in Marseille zeigt er spirituelle, mit Blattgold beklebte Zeichnungen des Künstlers Jonah Koppel und Voodoo-ähnliche Puppen aus Leinentüchern und Bronze von Mindy Rose Schwartz. Von Köln nach Chicago und Marseille, die Galerie M. LeBlanc ist einer dieser unkonventionellen kleinen Protagonisten, die Frische in den Kunstmarkt bringen. Die Art-O-Rama hilft ihnen dabei. 

Mit ihrer aktuellen Ausgabe in der alten Tabakfabrik von Marseille hat die Messe gezeigt, wieviel Potenzial im Süden Frankreichs steckt. Sie zeigt aber auch, dass viele Regionen und Städte immer noch zu Unrecht unter dem Kunst-Radar fliegen, weil die Hauptstädte sie in den Schatten stellen. Das gilt nicht nur für Frankreich. Auch in Deutschland gibt es lebhafte Kunstlandschaften außerhalb des Berlin-Universums. Es lohnt sich, sie zu entdecken.