Frankfurt ist eine Stadt der Gegensätze: Mal spielt sie Wall Street, mal tut sie ganz gemütlich mit ihren Apfelweinkneipen in schmalen Gassen, dazwischen öffnet der Main den Blick, und überall stehen Trauben chinesischer Touristen herum und fotografieren das, was sie für das alte Europa halten.
Man mag durchaus an Disneyland denken in der neu gebauten Altstadt rund um die Schirn Kunsthalle. Aber immerhin: Das Kleinstädtische in dieser immer globalisierteren Großstadt macht jeden Kunstspaziergang angenehm. Zumal die Frankfurter Galerien die Freundlichkeit besitzen, sich zu gut erreichbaren Clustern zusammenzurotten.
Zum 25. Mal spielen die Galerien am Main diese Qualität jetzt beim gemeinsamen Saisonstart aus – und erstmals wird ihr gemeinsames Eröffnungswochenende von einem ganzen Kunstfestival begleitet. "The Frankfurt Art Experience" heißt das Kunstevent, das ein Team rund um den Kunstsammler und Event-Produzenten Tyrown Vincent und den Galeristen Tristan Lorenz zum traditionsreichen Saisonstart der Galerien organisiert hat, großzügig unterstützt von der Stadt.
Es soll mehr Aufmerksamkeit auf die Galerien lenken. Denn während die Kunstinstitutionen in Frankfurt mit MMK und Schirn, Städel und dem ganzen Museumsufer exzellent aufgestellt sind, kann die Galerienszene durchaus noch etwas mehr Aufmerksamkeit gebrauchen.
Über 50 Galerien sind bei dem Saisonstart dabei
Der Rundgang beginnt am besten dort, wo sich die meisten von ihnen aneinanderkuscheln: in der zentral zwischen Dom und Main gelegenen Fahrgasse. Hier zeigt Andreas Greulich Zeichnungen des Frankfurter Künstlers Thomas Erdelmeier, während die Bildhauerin Dana Meyer in der Galerie Rothamel die Besucher auf eine "Südpazifikexpedition" entführt – so jedenfalls der Titel ihrer kleinen, aus Stahl gefertigten, exotischen Insekten, die angeblich auf einer solchen Expedition gefangen wurden.
Und die Papierarbeiten von Tilmann Zahn, bei der Galerie Maurer zu sehen, übersetzen Fotografien alter Industrieanlagen in eine fragile, neue Form. Direkt um die Ecke in der Braubachstraße zeigt die Galerie Anita Beckers mit Pia Fries eine malerische Virtuosin der Gegenwart, kombiniert mit der nicht minder dynamischen israelischen Malerin Liat Yossifor. Aus dem Fundus der Medienbilder schöpft dagegen der 1983 geborene Städelschulabsolvent Tobias Donat bei Philipp Pflug Contemporary in der Berliner Straße.
Östlich der Fahrgasse sollte man auf keinen Fall die Galerie Heike Strelow in der Langen Straße verpassen. Sie zeigt zum Saisonstart die Gruppenschau "Painting after Painting II", die mit Claudia Barthoi, Felix Becker, Artjom Chepovetskyy und Fabian Hub einige junge Maler und Malerinnen versammelt, die ihrem Medium einen neuen konzeptuellen Dreh geben. Und bei Lachenmann Art kreiert der Frankfurter Künstler Deniz Alt unter dem Titel "Liebe und Tod" fantastische Welten, die auf seine eigene Herkunft und die türkisch-osmanisch-armenische Geschichte rekurrieren.
Von hier aus kann man dann getrost den Weg in die nördliche Innenstadt antreten, wo Bärbel Grässlin im Gebäude einer ehemaligen Glasmanufaktur in der Schäfergasse sich die schönsten Galerieräume der Stadt hat einrichten lassen. Sie wird mit Georg Herold einen Klassiker aus ihrem Programm zeigen, der seinen widerständigen Stachel noch lange nicht verloren hat. Und in der kleinen Filiale der Galerie ein paar Schritte Richtung Zeil in der Stiftstraße komplettiert die junge Stephanie Deuter mit ihrer extrem transparenten und ephemeren Malerei das Bild.
Auch wenn der Sog von Frankfurts größter Konsummeile stark ist, sollte man sich hier auf dem Absatz umdrehen und lieber in Richtung Saasfee Pavillon spazieren, eines Projektraums, dessen Lage im Grün der Eschenheimer Anlage so entspannt ist wie sein Programm an die digitalisierte Gegenwart angeschlossen. Als perfektes Gegengewicht funktioniert dann das kunsthistorische Schwergewicht des Saisonstarts, die Ausstellung zum Surrealismus, die Die Galerie am Grüneburgweg auf die Beine gestellt hat. Hier trifft Max Ernst auf die Frauen in seinem Leben, von Leonora Carrington und Dorothea Tanning bis zur Enkelin Amy Ernst, die ebenfalls Malerin ist.
Es gäbe jetzt noch viel zu gucken: Ein paar Kilometer ostwärts in der Hanauer Landstraße beispielsweise warten Klassiker aus den späten 80er-Jahren des Fotografen Laurenz Berges bei der Galerie Wilma Tolksdorf – Becherschule revisited. Oder man macht sich auf den Weg nach Westen, wo die Galerie Parisa Kind im Bahnhofsviertel Besuch aus LA von dem jungen Maler Ben Echeverria hat.
Am Ende aber steht noch ein Besuch in Sachsenhausen an, wo die Galerie Feld + Haus in der Gartenstraße 47 zur Gruppenschau mit dem sprechenden Namen "Lokalbahnhof" einlädt. Sie lässt das Frankfurt der 70er-Jahre wieder aufleben, als Künstler und Künstlerinnen wie Thomas und Helke Bayrle, Ernst Caramelle, Monika Schwitte, Manfred Stumpf und andere in intensivem Austausch standen, in enger Verbindung mit der Städelschule, wo sie entweder lehrten oder studierten.
Bis heute ist die Städelschule, die mittlerweile als eine der besten Kunsthochschulen Europas gilt, ein vibrierendes Zentrum für die Kunststadt Frankfurt – es ist nur folgerichtig, dass man bei diesem Rundgang immer wieder auf ihre Absolventen trifft. Global denken, lokal Kunst kaufen ist das Motto – und dann lokal trinken. Rund um den echten Lokalbahnhof in Sachsenhausen gibt es jedenfalls einige sehr nette Äppelwoi-Kneipen.
Was sonst noch passiert:
Paper Positions
Nach Berlin, München und Basel wird Frankfurt am Main der vierte Standort für die Paper Positions. Im zentral gelegenen Flare of Frankfurt werden rund 40 Galerien Arbeiten auf Papier zeigen, vom Siebdruck über Zeichnungen bis zu Scherenschnitt und Fotografie. Der Fokus der Messe mit Salon-Charakter ist das Zeitgenössische, aber manche Aussteller greifen auch bis in die klassische Moderne aus.
Art Walks
Das Wochenende zur "Frankfurt Art Experience" bietet auch eine besondere Gelegenheit, hinter die Kulissen des Kunstbetriebs zu schauen. Bei den Art Walks führen erfahrene Kunsthistoriker und Vermittler durch verschiedene Stadtviertel wie die Altstadt oder Sachsenhausen. Dabei öffnen private Sammler ihre Häuser, darunter auch der "Frankfurt Art Experience"-Direktor Tyrown Vincent selbst. Auch in Künstlerateliers bekommt man einen Einblick. Geplant sind beispielsweise ein Besuch bei dem Künstler Hendrik Zimmer und der Künstlerin Anna Nero. Die Walks dauern jeweils rund 90 Minuten.
Art Talks
Wie verändert sich der Kunstmarkt unter dem Einfluss der Globalisierung? Wie können Museen, Kuratoren und Galerien zusammenarbeiten? Was braucht der Kunststandort Frankfurt, um sich weiterzuentwickeln? Diese Themen werden am 7. September bei den "Art Experience Talks" diskutiert werden, zu denen Organisatorin Ulrike Berendson renommierte Kritiker, Museumsleute und Experten eingeladen hat.