Also, das ist ja wirklich nicht einfach: Ein Kunstwerk zu fertigen, um es neben das allerbeste, allergrößte, allerwahnsinnigste Kunstwerk der ganzen Welt zu stellen. Die französisch-ägyptische Kuratorin Nadine Abdel Ghaffar hat das aber nicht abgeschreckt. Sie hat 14 Künstlerinnen und Künstler gebeten, Skulpturen zu entwerfen, die mit den Pyramiden von Gizeh, dem einzig noch erhaltenen Weltwunder der Antike, korrespondieren sollen.
Von Ende Oktober bis zum 18. November läuft die dritte Ausgabe ihrer Ausstellung "Art D’Égypte / Culturvator". "Forever is now 0.3" heißt sie, und dann steht man im Wüstensand und reibt sich die Augen.
Zum Beispiel vor Pilar Zetas Triumphbogen-Skulptur, an deren hinteren Teil auf einem kleinen Podest ein silbern spiegelndes Ei installiert ist. Zeta ist eine argentinische Multimediakünstlerin, Grafikdesignerin und Kreativdirektorin, die in Mexiko-Stadt lebt. Sie hat mit Coldplay, Lil Nas X und Camila Cabello zusammengearbeitet, und ihr surrealistischer Stil ist vom alten Ägypten und der Kosmologie inspiriert – so sagt sie das. Aber er erinnert auch irgendwie an 90er-Jahre-Videospiele wie "Sonic". Und er eignet sich scheinbar sehr gut, um Fotos von sich zu machen.
"Ich will zeigen, was wir kulturell zu bieten haben"
"Ein Hauptelement ist die Interaktion mit dem Publikum am Ort mit den Kunstwerken", sagt Nadine Abdel Ghaffar beim Interview später im Diplomatenclub von Kairo und erklärt, was sie mit "Art D’Égypte" überhaupt vorhat. Kunst zu demokratisieren zum Beispiel. Seit 2017 gab es fünf Editionen an verschiedenen Orten in Kairo, dem Al Manial Palace, der al-Mu‘izz Street, dem Egyptian Museum – und immer war der Eintritt frei.
Über eine Million Besucher hätten die letzten zwei Ausstellungen so gezählt, sagt die Kuratorin. "Ich will zeigen, was wir kulturell zu bieten haben, der Westen hat manchmal gewisse Vorurteile."
Um das zu tun, zeigt sie im alten Kino von Kairo zum Beispiel den ägyptischen Maler Fathi Afifi, dessen beeindruckend schweren Malereien aus Kairoer Waffenfabriken schon auf der Biennale in Sharjah auffielen. Und die die Lebensrealitäten der Arbeiter in dem wirtschaftlich schwachen Land zeigen. Und in der Zitadelle von Saladin werden große Malereien in einem arabischen Dialog zum Beispiel von Youssef Abdelké aus Syrien, Balqees Fakhro aus Bahrain oder Ghadah Alkandari aus Kuwait gezeigt. Aber auch lokale Interior Brands wie Reform Studio.
Die Pyramiden immer im Blick
Die Kunst der Region zu zeigen bedeutet für Abdel Ghaffar aber auch, die Welt nach Kairo zu holen, in dem sie eben Künstler aus der ganzen Welt herholt. Für die aktuelle Ausstellung an den Pyramiden ist das etwa der französische Künstler JR, der seine Reihe "Inside Out Action" weiter führt, für die er in den letzten Jahren tausende Menschen überall auf der Welt fotografierte und ihre schwarz weißen Porträts ausstellte. Oder der "Ghost Temple" von Sam Shendi, dem ägyptisch-britischen Bildhauer, der hier aus rotem Stahl eine beeindruckende tempelähnliche Skulptur aufgebaut hat.
Oder Sabine Marcellis, die Designerin aus Rotterdam, die auch für Ikea entworfen hat, und einen rot schimmernden Obelisken-ähnlichen Turm in den Sand stellt, deren Spiegel die Sonne eindrucksvoll einfangen.
Konzipiert ist das ganze als Spaziergang entlang der 14 Installationen. Immer die Pyramiden im Blick. Meistens sind diese mit eingeplant in den Blick auf die Skulpturen. Es hat drei Jahre gedauert, bis sie die Behörden überzeugen konnte, vor den Pyramiden ausstellen zu dürfen, erzählt die Kuratorin. Seit 2019 arbeitet sie mit der Unesco zusammen, stärkt die Region durch Investitionen in Licht oder Infrastruktur. Arbeitet mit jungen Menschen zusammen, bildet sie als Guides aus.
Ein schwebendes Dreieck aus dem perfekten Winkel
Die vermitteln auch die interaktiven Skulpturen, bei denen die Besucher mitmachen sollen, was aber vor allem meint, Fotos zu machen. Bei Stephan Breuer wird genau angezeigt, von welchem Punkt aus man ein Bild machen muss, sodass seine Skulptur – ein scheinbar schwebendes goldenes Dreieck – mit der Spitze auf der Spitze einer Pyramide steht.
In "Observatory" von Artur Lescher aus Brasilien kann man hineinklettern (und sich darin fotografieren lassen) oder hindurchschauen – auf die Pyramiden. "Der Gedanke dabei ist, die Maßstäbe umzukehren, das großartige Panorama der Pyramiden aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und auch den menschlichen Maßstab in einem neuen Rahmen zu betrachten", heißt es im Statement der Kuratorin.
Man kann hindurchlaufen, etwa durch die labyrinthischen, in den Sand gestellten Tafeln von Rashid Al Khalifa, auf denen Motive und Schriften zu sehen sind, die vom Buch "Turris Babel" inspiriert sind. Oder die "Translucent Pyramid" vom saudischen Künstler Rashed Al Shashai, sechs mal acht Meter, aus traditionellen ägyptischen Körben gebaut, in die man sogar hineingehen kann.
Die reiche Kunstwelt kommt zum Gucken
Und – besonders gelungen – "Meditation on Light" von Dionysios Ka, dem multidisziplinären Künstler aus Griechenland. Ein auf acht mal vier Meter angelegter Rahmen, ein Gebetsteppich vielleicht, in dem goldene Kupferblätter im Wind wehen, das Licht der untergehenden Sonne reflektieren.
Immer wieder ist es diese Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart, die hier hergestellt werden soll. "Der Künstler wird zum Übersetzer der Sprache der Vergangenheit in die Sprache der Gegenwart.", sagt die Kuratorin. Denn "Forever is now" soll vor allem auch die Wichtigkeit des Bewahrens des kulturellen Erbes bedeuten, nicht aber ohne die aktuelle Welt hinzuzufügen.
Und so steht die Kunst im Schatten der Pyramide und die Veranstaltung im Schatten des Krieges wenige Autostunden entfernt. Darauf wird von Kuratorin oder Team mehrmals verwiesen. Aber Antworten findet man hier im Sand auch nicht. Also kommt die reiche internationale Kunstwelt zum Gucken und Geld dalassen. Und das einzige, was man sicher sagen kann: Die Kunst und das Design aus der Region sind bei dieser Ausstellung das Interessantere. Und das liegt nicht nur an den Pyramiden.