Medienschau

"Kunst ist nicht Natur"

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Social-Media-Bilder prägen den Nahost-Konflikt, Nachrufe auf den Architekturkritiker Wolfgang Pehnt und Täter nach Tötung von Regisseur im Iran ermittelt: Dies ist unsere Presseschau am Donnerstag

Debatte

"Die Bedeutung sozialer Medien bei der öffentlichen Deutung des Krieges in Nahost ist so groß wie bei keinem zuvor. Der Konflikt zeigt aber auch, in welch verheerendem Zustand das Social Web ist." Das schreiben Philipp Bovermann und Léonardo Kahn in einem Essay in der "SZ", der sich mit der Berichterstattung auf TikTok, Instagram und anderen Social Media-Plattformen auseinandersetzt. Der sogenannte "Bürgerjournalismus" sei nicht per se schlecht, die Dokumente der Zerstörung könnten das Bild der Welt erweitern – zumal die "Geschichte von Kriegen seit jeher die Sieger schreiben." Im gegenwärtigen Konflikt aber vermische sich "die Logik des 'Tiktok-Krieges' mit der des medialen Terrors, den die Organisation Islamischer Staat 2014 entfesselte." Oft stammten die Bilder auf Social-Media-Kanälen von einer Kriegspartei und dienten der politischen Agitation. Mit Journalismus haben solche Berichte wenig zu tun. "Der schwindende Einfluss journalistischer Medien im Social Web spielt insgesamt eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Gewaltdarstellungen." Facebook habe durch eine Veränderung der Algorithmen dafür gesorgt, dass Nachrichtenseiten weniger Reichweite erhalten; während Elon Musk, der Chef von X, seit seiner Übernahme der Plattform vor rund einem Jahr nach und nach deren Sicherungssysteme gegen politische Einflussnahme entfernt und Teams gefeuert habe, die sich um gefährliche Inhalte und die Sicherheit der Nutzer kümmern sollten.

Kunstmarkt

Stephanie Dieckvoss sieht in den Auktionen vergangene Woche in London Anzeichen für einen wackligen Kunstmarkt: "Die Londoner Herbstauktionen für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts kamen mit einem blauen Auge davon", schreibt sie im "Handelsblatt". "Sie zeigen aber, wie instabil der Kunstmarkt ist. Der Schatten der weltpolitischen Lage lässt sich bei den Auktionen, die öffentlich Angebot und Nachfrage widerspiegeln, nicht umgehen. 14 Arbeiten wurden vor den Auktionen bei Sotheby’s, Phillips und Christie’s zurückgezogen. Das ist das deutlichste Zeichen des mangelnden Vertrauens in den Auktionsmechanismus."

Film

Philipp Meier bespricht in der "NZZ" Wim Wenders neuen 3D-Film über Anselm Kiefer. Ausführlich  und wohlwollend geht Meier auf Kiefers Werk ein, Wenders Filmporträt hält er hingegen für fragwürdig. "Sollte der Verdacht einer Ästhetisierung und Überhöhung des Horrors immer noch im Raum stehen, so will ihn der Regisseur für seinen Freund mit diesem Film endgültig aus der Welt schaffen. Das gelingt allerdings nur streckenweise, nämlich dort, wo die Kamera auf dem Boden des Dokumentarischen bleibt und den Künstler bei seiner Arbeit beobachtet. Oder dort, wo der Film in historischen Interviews Kiefers in der Öffentlichkeit abgegebene Statements einfängt. Sonst aber steht Wim Wenders’ Film selber unter dem Verdacht der Mythenbildung: Wenders operiert mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln seines Genres, als wollte sich sein filmisches Werk dem Pathos des malerischen und skulpturalen Schaffens seines Freundes anverwandeln."

Im Iran will die Polizei den Haupttäter rund um die Tötung des Regisseurs Dariusch Mehrdschui und seiner Ehefrau Wahideh Mohammadifar ermittelt haben. Das meldeten Medien vor Ort am Donnerstag. Die Ermittlungen hielten an, hieß es mit Berufung auf Polizeiangaben weiter. Zuvor hatten Medien über die Festnahme von insgesamt zehn Tatverdächtigen berichtet. Am vergangenen Samstag war das Ehepaar nahe der Hauptstadt Teheran in seiner Villa getötet worden. Laut einem Bericht der Zeitung "Shargh" hatte die Tochter ihre Eltern tot gefunden. Beiden sei mit einem Messer oder einem scharfen Gegenstand in den Hals gestochen worden, berichtete die Zeitung unter Berufung auf die Polizei. Mehrdschui wurde 83 Jahre alt, seine Ehefrau 54 Jahre. Zu der Trauerveranstaltung am Mittwoch in Teheran strömten Hunderte Menschen, wie Augenzeugen berichteten. Viele berühmte Persönlichkeiten der iranischen Filmszene nahmen daran teil. Auch weit über die Landesgrenzen hinweg trauerten Iranerinnen und Iraner um das berühmte Paar. Mehrdschui beeinflusste wie kaum ein anderer das iranische Kino. Der Filmemacher gehörte zu den Pionieren des Neuen Iranischen Films, in den er den Neorealismus einführte. Für Aufsehen sorgte auch ein Bericht der Zeitung "Etemad", den die Zeitung mit der Nachricht über die Tötung des Ehepaars veröffentlicht hatte. Darin beschrieb Mohammadifar in einem bisher unveröffentlichten Interview, in der vergangenen Zeit bedroht worden zu sein. Die Justiz ließ in der Folge zwei leitende Medienschaffende einbestellen. In einem Auszug einer Doku hatte das Künstlerpaar sich jüngst kritisch zu den gesellschaftlichen Entwicklungen im Iran positioniert. "Nimm schon dein Kopftuch ab", sagte Mehrdschui darin zu seiner Ehefrau, während das Paar gemeinsam in einem Park sitzt. Erst zögert Mohammadifar, dann gehen die beiden Hand in Hand zu einem Baum und hängen dort ihren Hidschab auf. Seit den Protesten im Herbst 2022 ignorieren immer mehr Frauen im Iran die Kopftuchpflicht.

Kritik

Zum Tod des Architekturkritiker und -historikers Wolfgang Pehnt schreibt Peter Richter in der "SZ": "Konservativ? Modernist? Man konnte sich bei Pehnt allenfalls auf eine Argumentation verlassen, die in jedem einzelnen Fall so überraschend, dialektisch und überzeugend sein würde, dass einem so eine Dichotomie viel zu banal vorkommen musste." Für den "Tagesspiegel" schreibt Nicola Kuhn einen Nachruf. 

Der Autor und Monopol-Kolumnist Oliver Koerner von Gustorf erhält den ADKV-Art-Cologne-Preis für Kunstkritik 2023. Er markiere "seit Jahren eine unabhängige Position innerhalb der deutschen Kunstkritik, die sich von Trends wenig beeindruckt zeigt", heißt es in der Begründung. Der Preis für Kunstkritik wird von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV) in Kooperation mit der Kunstmesse Art Cologne an freie Journalistinnen und Journalisten verliehen und ist mit 5.000 Euro dotiert. Der 1961 geborene Oliver Koerner von Gustorf schreibt für Monopol als Kolumnist in seiner Kolumne "Die leere Welt" und immer wieder als Autor von Porträts und Reviews, außerdem für die Kunstmagazine "Blau" und "ArtMag", dem Kunstmagazin der Deutschen Bank. Zuvor arbeitete er unter anderem als Redakteur bei Monopol und zeigte mit seiner Galerie September Künstlerinnen und Künstler seiner Generation aus der Kreuzberger Subkultur. Mehr zu der Auszeichnung lesen Sie hier

Das besondere Kunstwerk

Die Statue "Der große schreitende Mann", ein Porträt des Dichters Franz Fühmann von Wieland Förster, wurde wurde zu DDR-Zeiten vom Waldfriedhof Schwerin entfernt – nun ist die Bronze zurück. Ingeborg Ruthe fragt sich in der "Berliner Zeitung", warum die Darstellung dem Menschenbild in dem SED-Staat widersprach. Förster brachte "einen neuen, befreienden Ton von Moderne in die traditionsschwere, pathetische Bildhauerei im Osten ein. Das Existenzielle, sagt er, sei die einzige Form, mit dem Leben fertigzuwerden: 'Kunst ist nicht Natur. Sie steht neben ihr, gleichwertig. Sie nährt sich von ihr, weil sie Raum und Rahmen ist. Kunst ist Metapher der Wirklichkeit, herausgeschält, verdichtet, gesteigert. Und sie ist immer einseitig und anfechtbar.'"