Wer kürzlich Wolfsburg besuchte, mochte sich nach Karl-Marx-Stadt vor 1989 versetzt fühlen: Wie einst an einem volkseigenen Betrieb hing am Volkswagen-Werk ein riesiges Banner. Mit ihm warb der unter dem Abgasskandal ächzende Autobauer um Solidarität: "Wir brauchen Transparenz, Offenheit, Energie und Mut. Vor allem aber brauchen wir: Euch." Im Kern ist diese Botschaft allerdings nicht sehr sozialistisch und seit der letzten Bankenkrise vertraut: Gewinne werden privatisiert, Schulden und Schuld vergesellschaftet. Tatsächlich rechtfertigen nicht wenige die VW-Manipulationen mit dem immer größeren Konkurrenzdruck und den allzu strengen Umweltschutzauflagen. Ein Konzern mit Burn-out.
Die Ausstellung zur Affäre – auch wenn die Schau natürlich lange vor Bekanntwerden des Betrugs geplant wurde – zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg mit der Retrospektive des dänischen Künstlers Jeppe Hein. Der heute 41-Jährige hatte sich Mitte der Nullerjahre mit kinetischen Skulpturen und angewandter Kunst einen Namen gemacht, die den Betrachter motiviert, ihn wortwörtlich in Bewegung versetzt: Springbrunnen, die man betreten kann; Bänke, die losfahren, sobald man sich daraufsetzt; Kugeln, die wie träge Haustiere durch den Raum trollen und Besucher zum Ausweichen zwingen. Dass es um Teilhabe und Spaß ging, erkannte man auch daran, dass Hein eine Künstlerbar in Kopenhagen betrieb; dass "Teilhabe" und "Spaß" aber bitterer neoliberaler Imperativ sein können, an dem Namen der Kneipe: "Karriere".
In Wolfsburg zeigt Hein, wie die Karriere nach der Karriere weitergeht – denn er litt zwischendurch an einem Burn-out, über den er kürzlich ein Buch veröffentlichte. Es ist wohl kein Zufall, dass vieles in der "This Way" betitelten Schau an Kunsttherapie erinnert, vor allem die über 3000 Aquarelle an den Wänden, einfache Motive wie Gesichter, Elefanten, Teddys oder abstrakte Figuren. Und Sprüche, überall Sprüche à la VW, Ausdruck der Stimmungslage, Mutmacher mit Schreibfehlern: "Everyone can have a nice day" oder "Stop think … Start to feal … And it will change you live". Vielleicht sieht so die naive Kunst des 21. Jahrhunderts aus. Meditationsanweisungen für das erschöpfte Subjekt.
Die Offenheit Jeppe Heins kann anrühren – und fällt doch vor allem auf die Nerven. Hingekritzelt auf Papier und in der Masse sich selbst relativierend, sind solche Banalitäten noch zu vertreten. Schlimm wird es in den Lichtarbeiten, diesen hinter reflektierenden Scheiben in Rahmen gefassten Leuchtschriften, mit denen Hein schon auf Messen unangenehm auffiel. Die an der Wand hängenden Kästen werfen das Spiegelbild des Betrachters zurück und verschmelzen es aufdringlich mit höchsten Trivialitäten und Unwahrheiten wie "YOU ARE AMAZING JUST THE WAY YOU ARE" oder "IT IS ALL GOOD". Ähm, nein!
Dabei weiß Jeppe Hein doch, wie man es besser macht. Allein wie geschickt er den hohen Ausstellungssaal eingerichtet hat! Gänge, Tunnel, Höhlen, Kammern, Podien, Agoren – man vergisst immer wieder, wo man sich gerade befindet, und bewundert die Vielfalt der Einfälle. Aus einer Wand schießt eine Stichflamme und vergrößert sich, wenn der Betrachter sich nähert. Aus einer anderen Wand strömen Duftstoffe, eine weitere verschiebt sich permanent. Der Besucher betritt ein unsichtbares Labyrinth, dessen Gänge allein über das Vibrieren des Headsets fühlbar sind: Wenn es brummt, ist man an eine virtuelle Grenze gestoßen.
Man kann also durchaus seine Freude haben an dieser jahrmarkthaften Ausstellung. Letztlich aber läuft diese Kunst mit ihrer radikal auf die "Verbesserung" des Ichs gerichteten Utopie in eine fatale politische – nämlich apolitische – Richtung. Jeppe Heins Therapiekunst ist aufrichtig gemeint. Aber fühlt sich im Ergebnis an wie Manipulationssoftware.