Agnes Lammert, Enne Haehnle, seit 2019 sind Sie mit sechs weiteren Künstlerinnen aus Leipzig Teil der Gruppe Materialistin. Ihr Schwerpunkt liegt im erweiterten Feld der Skulptur. Wie haben Sie sich zusammengefunden?
Agnes Lammert: Die Künstlerin Wibke Rahn ist auf uns zugekommen und hat gefragt, ob wir Interesse an einer gemeinsamen Gruppe hätten. Sie hat wie einige von uns an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle studiert und lebt seit vielen Jahren in Leipzig. Sie hatte den Wunsch, sich stärker mit anderen auszutauschen und war auf der Suche nach einer Gruppe, die sich fördert und gegenseitig hilft.
Enne Haehnle: Nach dem ersten Treffen zwischen uns acht war klar, dass es gut passt.
AL: Sie hat uns nach Qualität ausgewählt, nicht nach Sympathie oder Geschlecht. Und sie hat mit der Initiative offene Türen eingerannt. Laura Eckert und ich hatten schon seit 2018 darüber gesprochen, eine Gruppe zu gründen.
Sie haben sich den Namen Materialistin gegeben. Was steckt dahinter?
EH: Wir alle sind Bildhauerinnen, die im Raum und mit Material arbeiten. Das sollte in einem Titel deutlich werden, der verschiedene Bedeutungsebenen aufruft. Wir haben darum gerungen, weil wir acht Ladys unterschiedliche Ansätze verfolgen. Die Bandbreite reicht von klassischer Bildhauerei hin zu relativ freien Experimenten im Raum. Auch das wollten wir deutlich machen, deshalb ist bald der Untertitel "Skulptur – Handlung – Raum" dazu gekommen.
Das Auftreten als Gruppe setzt Vertrauen und Konsens voraus. Wie haben Sie gemeinsame Ziele erarbeitet?
EH: Das hat sich organisch entwickelt. Zunächst waren wir reihum in allen Ateliers und haben uns auf persönlicher und professioneller Ebene kennengelernt. Wir haben uns auch auf ganz praktischer Ebene ausgetauscht, etwa wenn es um den Umgang mit einem bestimmten Material ging. Das hatten viele von uns in der Form nicht mehr, seit sie die Kunstakademien verlassen haben.
AL: Praktische Hilfe ist gerade bei uns Bildhauerinnen ein wichtiger Aspekt. Elisabeth Howey hat zum Beispiel ein großes Projekt realisiert, bei dem sie Hilfe beim Abformen brauchte. Ein Negativ aus Gips zu bauen, das ist eine Arbeit von mehreren Wochen. Einige von uns haben sie dabei praktisch unterstützt. Wir sprechen aber auch offen über den Umgang mit Galerien oder Netzwerkarbeit in Bezug auf Kuratorinnen. Das geht bis hin zu Fragen wie: Hast du mit der Person schon zu tun gehabt? Kannst du die empfehlen?
EH: Gleiches gilt auch für Firmen, auf die viele von uns für die Realisierung von Projekten angewiesen sind.
AL: Dahingehend profitieren wir stark voneinander. Es geht um einen Austausch auf allen Ebenen der Professionalisierung. Mir hat die Gruppe schon in vielerlei Hinsicht geholfen. Enne habe ich zum Beispiel kürzlich zu ihrer bisherigen Arbeit in Jurys befragt, weil ich damit noch keine Erfahrung habe. Durch den Rahmen unserer Gruppe weiß ich, dass ich von ihr ehrliche Antworten bekomme und keine, die von einer eigenen Agenda eingefärbt ist. Wir sprechen freundlich und offen und verfolgen einen solidarischen Ansatz.
EH: Neben dem handwerklich-technischen Austausch gibt es auch eine theoretische Ebene. Und die Arbeit an gemeinsamen Ausstellungen.
War der Wunsch des gemeinsamen Ausstellens von Beginn an gesetzt? Die Frage stellt sich ja bei allen Zusammenschlüssen von Künstlerinnen und Künstlern: Belässt man es beim internen Austausch und professioneller Vernetzung oder tritt man auch nach außen gemeinsam auf?
EH: Es gab den Grundimpuls von Wibke Rahn, sich offensiv für Ausstellungen zu bewerben und über den regionalen Tellerrand hinaus zu schauen.
AL: Leipzig ist unser aller Basis. Keine von uns ist hier geboren, aber wir leben und arbeiten hier schon eine Weile. In Leipzig kann man keine Bildhauerei studieren. Es gibt entsprechend nur wenige Ausstellungen von Positionen, die mit dem Raum arbeiten. Meist werden Werke an der Wand gezeigt, und es kommt vielleicht noch eine Position im Raum dazu. Das hat auch seine schönen Seiten, weil man eine Art Alleinstellungsmerkmal hat. Aber zwischen uns war von Beginn an klar, dass wir auch an anderen Orten ausstellen und gute Institutionen außerhalb Leipzigs in den Blick nehmen wollen.
EH: Wir wollen auch zeigen, dass Leipzig in Hinblick auf die Kunst mehr ist, als eine coole Malereistadt. Dabei war weniger wichtig, dass wir acht Frauen sind, sondern dass es hier eine Qualität an künstlerischen Positionen gibt, die mit Material im Raum arbeiten. Wenn wir unsere Positionen bündeln, stärkt uns das. Und natürlich stellt jede von uns auch weiterhin einzeln aus.
AL: Unsere Gruppe ist kein Ersatz für Einzelausstellungen und es gibt keine Konkurrenz zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Aber es gibt Orte und Kontexte, an die man als gute Gruppe auch besser heran kommt.
Wie haben Sie auf sich aufmerksam gemacht?
EH: Nach dem ersten Treffen ist die Idee entstanden, eine Art gemeinsames Portfolio zu drucken. Wir haben dafür Gruppenfotos von uns machen lassen und eine Website eingerichtet, die unsere jeweiligen Seiten verlinkt. Anschließend haben wir uns offensiv bei circa 20 Orten beworben, die wir interessant fanden. Eigentlich ist es ja ein No Go Institutionen aus der Kalten anzuschreiben und zu sagen: "Hey, wir wollen bei euch auszustellen!" Aber wir haben viel zu bieten und es einfach gemacht.
Wie waren die Reaktionen?
AL: Relativ gut! Wir haben viel Feedback bekommen, vom Wunsch, weiterhin über unsere Aktivitäten informiert zu werden bis hin zu Besuchen von Kuratorinnen bei uns in den Ateliers. Es gab einige Erstgespräche mit offenem Ausgang und bisher fünf konkrete Ausstellunganfragen. Im Forum Kunst Rottweil hatten wir im April 2022 eine erste Gruppenschau mit Arbeiten von jeder einzelnen.
Müssen immer alle acht ausstellen?
AL: Nein. Wir waren uns von Anfang an darüber einig, dass die Größe von acht Personen nicht zwingend für Ausstellungen ist. Wir lassen zu, da fluide zu sein. Bei der zweiten Ausstellung im Kunstverein Nürtingen waren zum Beispiel nur vier von uns dabei, weil der Raum sehr klein war. Aber es war trotzdem klar, dass es eine Ausstellung der Materialistin ist.
EH: Es geht auch darum, was für uns als Gruppe konzeptionell interessant ist. Es gab auch schon Anfragen von coolen Räumen, in denen wir aber realistisch nichts machen konnten, weil es zu wenig Geld gab. Wenn wir zu acht mit zum Teil wirklich großen Arbeiten anrücken, entstehen heftige Kosten. Nicht umsonst sind Ausstellungen mit dreidimensionalen Arbeiten teurer als mit Flachware. Für unsere bisherigen Ausstellungen haben wir immer Förderung bekommen. Ohne wäre es nicht möglich.
Ihre dritte Ausstellung eröffnet jetzt am 11. März im Kunstverein Wagenhalle in Stuttgart mit allen acht Positionen. Was stellen Sie aus?
EH: Das ist ein sehr spezieller Raum in einem postindustriellen Zusammenhang. Es gibt hohe Räume, das heißt, wir haben Arbeiten mit entsprechender Größe und Volumen dabei. Zum ersten Mal erweitern wir das Feld, denn es wird auch Zeichnungen zu sehen geben, zudem eine Medienarbeit und eine Performance.
Legen Sie für gemeinsame Ausstellungen eine kuratorische Position innerhalb der Gruppe fest? Oder gestalten Sie das basisdemokratisch?
AL: Bisher haben wir nie eine kuratorische Leitung gebraucht.
EH: Eine bildet immer die kommunikative Schnittstelle zur jeweiligen Institution. Abgesehen davon arbeiten wir non-hierarchisch. Wir erarbeiten die Konzepte im Vorfeld gemeinsam anhand eines gebauten Modells. Wir entscheiden, welche Arbeiten gut im Raum wirken und untersetzen diese Überlegungen mit anderen Fragestellungen. Es kann sein, dass eine Arbeit zu schwer ist und wir uns den Transport schlicht nicht leisten können. Diese Verschränkung von künstlerischen und praktischen Entscheidungen finde ich extrem spannend. Wenn es konkret wird sind wir sehr pragmatisch.
AL: Diesen Pragmatismus schätze ich an unserer Gruppe sehr. Diskussionen und Entscheidungen laufen bei uns unkompliziert, konfliktfrei und uneitel. Alle haben ein Interesse daran, weiterzukommen. Das ist etwas Besonderes und macht die Arbeit in der Gruppe attraktiv. Es geht bei uns auch nicht darum, dass immer alles fair ist. Wir wollen vor allem gute Ausstellungen machen! Und uns war immer klar, dass es der Qualität nicht gut tut, Ausstellungen nach Quadratmetern pro Positionen zu denken. Für Rottweil hatten wir uns zum Beispiel eine sehr große Arbeit von Lucy König gewünscht. Das heißt, sie hat entsprechend viel Transport und Aufbauzeit beansprucht. Andere waren in dieser Ausstellung weniger stark vertreten, aber nicht enttäuscht, weil klar ist, dass es einen anderen Kontext geben wird, in dem sie dann stärker repräsentiert sein werden.
EH: Es gibt immer ein Aufbauteam, das vor Ort für die Setzungen verantwortlich ist. Der Aufbau ist immer noch einmal ein toller gemeinsamer Prozess.
Haben Sie auch schon künstlerisch zusammengearbeitet?
EH: Bisher noch nicht in dem Sinne, dass wir gemeinsam eine Arbeit entwickelt haben. Aber als Idee stand das im Raum. Im Kunstverein Nürtingen war das Thema "Sieben Tage Material". Wir sind mit Grundmaterialen wie Gips, Ton und Wachs angereist und haben im Oktober 2022 vor Ort sieben Tage gearbeitet. Es sind zwar keine gemeinsamen Arbeiten entstanden, aber wir haben im Prozess aufeinander reagiert.
AL: Jede von uns hat ihr eigenes Werk, dass sie weiter entwickelt. Man beeinflusst sich gegenseitig, weil man miteinander arbeitet. Ich empfinde es als positiv, dass sich die eigene Arbeit auf neue Kontexte einlassen und auch verändern darf. Aber ich sehe nicht, dass wir alle acht gemeinsam eine Arbeit realisieren. Dass einzelne sich zusammentun und eine Arbeit entwickeln, ist möglich.
Es stand bei Ihrer Gründung nicht im Vordergrund, dass sich die Gruppe ausschließlich aus Künstlerinnen zusammensetzt. Ist denkbar, die Runde um Künstler zu erweitern?
EH: Das wurden wir durchaus schon öfters gefragt, etwa ganz charmant in Rottweil: Ob wir auch offen wären, einen talentierten Bildhauer aufzunehmen?
AL: Prinzipiell sind wir mit der Größe von acht Personen sehr glücklich und haben nicht vor, sie zu verändern. Aber wir können uns Ausstellungssituation vorstellen, in denen die Gruppe ein Stück weit diverser ist.
EH: So wie es Ausstellungen geben kann, in denen mal weniger Personen ausstellen, so kann es auch Ausstellungen geben, in denen wir Positionen dazuholen. Es ist konzeptuell bei der Schreibweise des Namens Materialistin angelegt, dass es darum eine Klammer gibt, in die auch noch mehr passen würde.
Gab es schon Menschen, die sich um Aufnahme in die Gruppe beworben haben?
AL: Nicht dezidiert, aber wir wissen, dass es Leute gibt, die die Gruppe cool finden und uns beobachten.
Welche Rolle spielt Feminismus innerhalb der Gruppe?
EH: Das würde sicher jede von uns anders beantworten. Wir sind keine Gruppe von Frauen, die das Frau-sein in der Kunst nach vorne bringen will. Wir verstehen uns als Gruppe von Menschen, die Kunst machen. Und ja, wir sind Frauen, die sehr unterschiedliche Erfahrungen mitbringen. Es geht ums solidarische und non-hierarische Handeln. Es geht darum, den Austausch zu leben und mit praktischem Handeln zu unterfüttern. Das ist eine Form von weit gefasstem Feminismus, der sich nicht als ausschließend versteht.
AL: Wir könnten uns nicht auf eine Form des Feminismus einigen, da sind wir zu unterschiedlich in unseren Haltungen. Wir alle sehen die Notwendigkeit, uns als Gruppe zu organisieren, weil uns das als Frauen in der Bildhauerei voranbringt. In der Gruppe zu agieren ist ein stärkendes Format, das uns Dinge ermöglicht, die wir alleine nicht könnten. Wir glauben, dass wir als Frauen das brauchen. Viele Dinge sind für uns nicht selbstverständlich. Die müssen wir uns erarbeiten. Und die sich als Gruppe zu erarbeiten ist hilfreich. Wir sind zusammen stärker als allein.
EH: Wobei ich das Stärken nicht nur im neoliberalen Sinne verstehe. Wir haben uns nicht zusammengeschlossen, um ein bestimmtes messbares Ziel zu erreichen, sondern wollen, dass es sich bis auf eine emotionale Ebene verfestigt. Das gibt es in der Kunstwelt viel zu wenig. Das man eben zum Beispiel auch schaut, wie man Kolleginnen mittragen kann, die bedingt durch ihre Lebensumstände nicht kontinuierlich künstlerisch arbeiten können.
AL: Diese gelebte Solidarität macht uns sicher im weitesten Sinne am ehesten zu einer feministischen Gruppe.
Was sind die größten Konfliktpotenziale einer solchen Gruppe?
EH: Natürlich sind Finanzierungsfragen immer zentral und können Beziehungen und Gruppen belasten.
AL: Als wir gemerkt haben, dass wir mit dem Budget einer Ausstellung nicht ganz hinkommen und hinten raus ein Minus hatten, war die Frage, wie wir damit umgehen. Wir waren zu dem Zeitpunkt gerade in unterschiedlichen finanziellen Situationen. Auch da haben wir in der Gruppe pragmatisch und unkompliziert entschieden, dass jede erst einmal sagt, wie viel sie bereit ist, hineinzugeben. Das ist tatsächlich aufgegangen. Das war eine praktische Form des solidarischen Lösens von einem Problem, die mich wirklich begeistert hat. Wobei wir nie formuliert hatten, dass wir uns auch gegenseitig finanziell tragen.
EH: Eine andere Frage ist, wie man damit umgeht, wenn eine gerade in einer Lebensphase steckt, wo klar ist, dass die Kunst gerade keinen Raum hat. Auch da haben wir als Gruppe entschieden, dass wir das mittragen und in Ausstellungen ältere Arbeiten mit dabei sind. Ich wurde an meiner Kunstakademie darauf getrimmt, die Ellenbogen rauszustrecken, mich abzugrenzen und um mich zu kümmern. Es war eine bewusste Entscheidung zu sagen: So eine Form des miteinander Umgehens im Kunstkontext interessiert mich nicht.
Was ist wesentlich für die kontinuierliche Arbeit in der Gruppe?
AL: Dass man sich darüber im Klaren darüber ist, wer welche Aufgaben übernimmt. Von der Vorstellung, dass alle immer gleich viel machen, muss man sich verabschieden. Man muss immer wieder darüber sprechen, wie viel Arbeitsbelastung die Einzelne jeweils einbringen möchte. Und dafür muss es eine Wertschätzung aus der Gruppe geben. Es muss auch ok sein zu sagen: Ich habe mich jetzt stark eingebracht und jetzt ziehe ich mich etwas zurück. Wenn in der Gruppe ein Wissen darum gibt, dass diese Prozesse beweglich sind und sich die Rollen verschieben, dann ist das eine gute Basis.
EH: Es geht eben zum Beispiel nicht, dass immer eine die ganze Kommunikation nach außen macht. Oder eine immer alle Transporte organisiert. Sonst fühlt man sich schnell so, als würde man mehr machen als die anderen. Man muss viel miteinander reden und seine Bedürfnisse kommunizieren. Das ist das Wichtigste. Natürlich stellt man über die Zeit fest, dass die eine das besser kann und die andere dies. Das ist auch cool, dass wir verschiedenen Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringen. Das wird immer wieder eine Herausforderung sein, wie wir damit umgehen.
AL: Auch wir verändern uns. Allein seit 2019 ist viel passiert in den persönlichen familiären Situationen, aber auch in der Karriere. Da muss man immer wieder neu aushandeln, was für jede gerade drin ist. Wenn sich eine weniger einbringt, muss man überlegen, wie lange man das aushält und mittragen möchte. Mein persönlicher Wunsch ist, dass die Gruppe sich durch unterschiedliche Lebensphasen begleiten kann. Und dass sie diese Verschiedenheit, die in unserer Gruppe angelegt ist, als Chance begreift.
Stichwort Heterogenität: Die Künstlerinnen der Gruppe sind zwischen 1960 und 1988 geboren, sprich, Sie kommen aus zwei Generationen. Funktioniert die Gruppe auch deshalb, weil dadurch das voneinander lernen eine andere Rolle spielt, als etwa zwischen Gleichaltrigen?
EH: Die altersübergreifende Struktur ist wirklich eine Besonderheit unserer Gruppe. Ich kenne zumindest keine andere. Ich gehöre mit Jahrgang 1963 zu den älteren. Ab und zu kommt das in unseren Treffen auf. Gerade für uns Ältere stellt sich in Bezug auf die Kunst und speziell auf Bildhauerei die Frage, wie es weitergeht, etwa wenn rein körperlich die Kräfte nachlassen. Und ich habe das Gefühl, dass die nächste Generation bestimmte Karrierefragen planvoller und bewusster angeht.
AL: Ich bin Jahrgang 1984 und sehe in den anderen auch Vorbilder. Ich möchte den Beruf für immer machen und suche nach Leuten, die die Energie dafür dauerhaft aufbringen. Noch dazu in einem Feld wie der Bildhauerei, wo man wirklich viel Durchhaltevermögen braucht und logistisch wie handwerklich viel können muss. Zu sehen, dass man das machen kann, ohne fest zu werden, sondern mit Beweglichkeit und Kraft, das ist für mich ganz entscheidend.
EH: Andersherum profitieren wir Älteren etwa von eurem anderen Umgang mit neuen Medien. Ich finde cool, dass ich manches, was nicht meine Kernkompetenz ist, abgeben kann und mir nicht alles selbst aneignen muss. Aber es ist auch schön, dass man im direkten Austausch direkt wieder vergisst, dass ich knapp 20 Jahre älter bin als Agnes. Wir sind einfach Kolleginnen.
Auf Ihrer Homepage formulieren Sie: "Ihre Heterogenität speist sich aus den Erfahrungshorizonten, die die Künstlerinnen aus ihren Herkunftsregionen in Nord-, Süd-, West- und Ostdeutschland sowie durch ihre akademischen Prägungen mitbringen." Nur zwei von Ihnen sind im "Osten" geboren. Inwieweit spielen Herkunft und Sozialisierung eine Rolle in der Zusammenarbeit?
AL: Ich denke, dass die Herkunft uns prägt und einen Unterschied macht. Die Herkunft eröffnet Möglichkeiten, in Kontexte zukommen. Es ist nach wie vor ein gesellschaftliches Thema, ob man aus Ost oder West kommt. Es kann immer noch ein Nachteil sein, ostsozialisiert zu sein. Es ist eine Frage der Chancengleichheit. Auch jemand, der schon lange in Leipzig lebt, ist ein Stück weit ostsozialisiert und erlebt Nachteile, etwa in Hinblick auf Sichtbarkeit und Finanzierung. Und die Prägung, die wir künstlerisch erfahren haben, etwa hinsichtlich Figuration und Abstraktion, haben auch immer damit zu tun, wo wir studiert haben.
In dem Sinne, dass die, die im "Osten" studiert haben, einen andere Zugang zu Figuration haben?
AL: Ja, weil Figuration im Osten als ein breites Feld wahrgenommen wird, in dem es viele Möglichkeiten gibt, Position zu beziehen.
EH: Das Thema kommt immer mal wieder auf. Kürzlich hatten wir Besuch von zwei Kuratorinnen aus der Region und haben stark diskutiert, inwieweit Institutionen sich heute aufstellen und welche Rolle Künstlerinnen aus dem Osten früher hatten und heute haben. Solange wir uns mit dem Label "Künstlerinnen aus Leipzig" positionieren, positionieren wir uns natürlich auch zu diesem Thema. Sechs von uns haben ihr halbes Leben im Osten verbracht, obwohl sie nicht hier geboren sind. Das könnten wir in Zukunft noch konzeptueller aufnehmen. Wir betonen auch bewusst Nord und Süd, stellvertretend für unsere Hochschulen. Und manchmal ist es die Mentalität des Nordens, die einen schönen Pragmatismus in die Runde bringt.