Beatriz da Costa in Los Angeles

Kommt ein Vogel geflogen

Beatriz da Costa stattete Tauben mit Sendern aus, um auf Luftverschmutzung und Überwachung hinzuweisen, und entwarf heilende Gärten gegen Krebs. Nun lässt sich das engagierte Werk der früh verstorbenen Künstlerin in LA entdecken

Eine ausgestopfte Taube steht auf einem Sockel in der Los Angeles Municipal Art Gallery. Die Arbeit wirkt wie das Exponat eines naturhistorischen Museums. Wenn auf dem Rücken des grau schillernden Vogels mit den glänzenden Knopfaugen nicht ein kleiner Rucksack mit einem Sender angeschnallt wäre. 

Das stumme Tier ist ein Kunstwerk. Es erinnert an das Projekt "PigeonBlog", mit dem Beatriz da Costa in den Jahren 2006 bis 2008 Untersuchungen zur Luftverschmutzung in Los Angeles durchführte. Freunde der Künstlerin haben das Objekt den realen Vögeln nachempfunden, die die Künstlerin damals durch die kalifornische Metropole schwirren ließ.

Die Ausstellungsplattform Los Angeles Contemporary Exhibitions (LACE) hat das weite Oeuvre der 2012 früh verstorbenen da Costa, einen spannenden Mix aus Biologie, Kunst und Maschinenbau, zum Mega-Ausstellungsprojekt "Pacific Standard Time (PST)" der Getty-Stiftung in diesem Herbst beigesteuert. Bei diesem zeigen 70 Museen in Südkalifornien in einem Joint-Venture Schauen und anderes koordiniertes Programm. Die von Daniela Lieja Quintanar mit Ana Briz kuratierte Schau, die in der Städtischen Galerie von Los Angeles präsentiert wird, verkörpert wie wenige andere Ausstellungen das Motto der gigantischen PST-Serie: "Art &Science Collide" – die Kollision von Kunst und Wissenschaft.

Schaukeln und Cellos verselbständigen sich

1974 als Tochter einer deutschen Architektin und eines indischen Ingenieurs in Berlin geboren, studiert Beatriz da Costa nach dem Abitur in Hamburg und der Teilnahme an verschiedenen Sommerakademien ab 1996 Kunst in Aix-en-Provence. 1988, mit 14 Jahren, erkrankt sie am Hodgkin-Lymphom, einem bösartigen Tumor des Lymphsystems. Die Krebserkrankung wird sie ihr ganzes Leben begleiten - und ihre künstlerische Arbeit entscheidend prägen.

Einer ihrer Uni-Lehrer in Frankreich war der Bildhauer Christian Soucaret. In seinen biosolaren Installationen verband der Öko-Künstler Mechanik, Elektronik und Informatik. Das Echo dieses Einflusses lässt sich in Los Angeles in da Costas Werk "Swing" studieren: Eine motorisierte Schaukel, die über einem kleinen Grasfleck aufgestellt wird und die Bewegung einer Person simuliert, die sie benutzt. 2000, an der Carnegie Mellon University in Pennsylvania, wird da Costa zur Mitbegründerin der Gruppe Technology and Art (TnA), einer interdisziplinären, technologieorientierten Künstlerinnen-Gruppe. 

Ihre Abschlussarbeit nannte sie "Cello", eine Roboter-Klanginstallation, die sich selbst einstimmt und verschiedene Sequenzen einfacher musikalischer Themen abspielt. 2003 wurde sie Professorin für Computerwissenschaft an der kalifornischen Irvine-Universität.

Kunst als "Bioterrorismus"

Da Costa war aber kein bloßer Technofreak. Ihr Kunstwirken entwickelte sich zur Zeit des "Human Genom Project", das zu Beginn der 2000er-Jahre das menschliche Genom zu entschlüsseln versuchte, zu Zeiten von David Garcias und Geert Lovinks Manifest "The ABC of Tactical Media" - und gerade dann, als US-Präsident George W. Bush nach 9/11 mit dem "US-Patriot Act" die Überwachungskompetenzen der Behörden massiv ausdehnte.

Die kritische Dimension ihrer künstlerischen Forschung zeigte sich bei der Zusammenarbeit mit dem Critical Art Ensemble (CAE). Das berühmte Kollektiv aus fünf medienkritischen Künstlern wurde 1987 von Steve Kurtz und Dorian Burr gegründet. In gemeinsamen öffentlichen Aktionen mit tragbaren Laboren machten da Costa und CAE Anfang der 2000er-Jahre auf die gesundheitlichen Risiken und Umweltfolgen genetisch manipulierter Organismen aufmerksam.  

Von den Behörden wurde diese Form des ästhetisch angestoßenen zivilen Ungehorsams bald als "Bioterrorismus" verfolgt. Eine Klage gegen den 2004 verhafteten Kurtz wurde erst 2008 abgewiesen. Dieselbe Form der Warnung, aber auch des Empowerments, der allgemeinen, nicht nur einer kritischen Öffentlichkeit war das Motiv hinter da Costas "PigeonBlog" – ihrer bekanntesten Arbeit.  Seine Inspiration bezog das Projekt von Julius Neubronner.

Für arme Menschen ist die Luft schlechter

Der deutsche Apotheker und Erfinder hatte 1908 seine Brieftaubenfotografie patentieren lassen. Im Ersten Weltkrieg wurde es erfolglos für militärische Zwecke erprobt. Modelle sind heute noch im Deutschen Historischen Museum in München zu sehen. Da Costa schwebte eine Konversion von Neubronners Idee "for civilian and activist applications" vor, wie auf ihrer Website zu lesen ist.

Der "PigeonBlog" lieferte nicht nur Daten über die allgemeine Luftverschmutzung in der Stadt am Pazifischen Ozean, sondern differenzierte die Emissionen auch nach sozialen Kriterien. Einkommensschwache Bezirke der Metropole waren häufiger davon betroffen. Die Daten wurden in Echtzeit übertragen. Jeder mit Internet-Zugang konnte sie abrufen, die Technik basiert auf DIY-Technologie und konnte von Interessierten via Open Access jederzeit für eigene Zwecke nachgebaut werden. 

Neben diesen klar sozialkritischen Anliegen war die eigene Erkrankung für da Costa stets eine Triebfeder ihrer Arbeit; auch und besonders in den heute wieder boomenden Kunst-Themen Gesundheit, Wellness und care. 2010 wurde bei der Künstlerin metastasierender Brustkrebs im Stadium IV diagnostiziert, der ihr schließlich im Alter von 38 Jahren in New York das Leben kostete. 

Ein Garten für krebskranke Menschen

Dieser letzte Kampf brachte eine Reihe von Werken hervor, die in einer Serie mit dem Titel "The Cost of Life" (2009–12) zusammengefasst wurden. Da Costa arbeitete bis zu ihrem Tod daran. Am beeindruckendsten ist die in Los Angeles rekonstruierte Arbeit "Life Garden". Dabei handelt es sich um einen Indoor-Heilgarten, in dem Kräuter und Pflanzen angebaut werden, von denen bekannt ist, dass sie Menschen mit Krebs helfen können. 

"Life Garden" enthält bis zu 53 verschiedene Sorten, von Pilzen und Kräutern bis hin zu Früchten und Gemüse. Schilder klären über den Namen, die Herkunft, ihre Wirkung auf den Krebs und die Arten des Konsums auf. Für ihre Arbeit "The Delicious Apothecary" schrieb da Costa sogar ein Anti-Krebs-Kochbuch, gab Anti-Cancer-Cooking-Workshops.

Es gehört zur Tragik der Künstlerin, dass ihr selbst das "Anti-Cancer-Survival-Kit" nicht mehr helfen konnte, eine weitere Arbeit der Serie. Die von Freunden nach da Costas Plänen nachgebaute Mixed-Media-Installation bestand aus hölzernen Kochlöffeln, Schneidebrettern und einer Holzkiste, die Samenpäckchen für Oregano, Petersilie und Fenchel, ein Notebook, Himalaya-Salz, schwarze Lindt-Schokolade und ein USB-Laufwerk enthielt. 

Die Öffentlichkeit ermächtigen

Das "Kit" hatte da Costa in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Künstlern und Forschern entwickelt, die alle ein persönliches Interesse an Krebs hatten. Ihnen ging es darum, alternative und kollektive Forschung mit der Öffentlichkeit zu teilen. Die Arbeit ist ein ebenso symbolischer wie praktischer Versuch, das soziale Problem der Krankheut mit einer neuen Form von Solidarität zu überwinden.

Da Costas Werk, in Los Angeles erstmals in dieser Breite und seiner historischen Entwicklung zu sehen, ist eine Art "Künstlerische Forschung" avant la lettre. Die Präsentation hilft, das allmähliche Werden einer spannenden Vorläuferin dessen nachzuvollziehen, was heute zu einem eigenständigen Feld der Kunst geworden ist; öffentliche Förderprogramme inklusive.

Im Kern ging es da Costa um eine Art Laienwissenschaft, "Citizen Science" für den Alltag. In ihrem 2004 erschienenen Aufsatz "Amateur Science, A Threat After All?" schreibt sie Sätze, die zu Zeiten, in denen sich Ökologie und Ökonomie, Wissenschaft und Fake News gattungsbedrohend und scheinbar ununterscheidbar ineinander verschlingen, noch mehr gelten als zu ihren Lebzeiten: "Eine befähigte, autodidaktische Öffentlichkeit kann dazu beitragen, dass wissenschaftliche Politik und Initiativen im demokratischen Prozess bleiben und nicht nur in den Händen von Spezialisten und Investoren liegen."