Auf einmal wirken der Kartoffelbrei und die Tomatensuppe fast liebevoll. Gut ein Jahr ist es her, dass Klimaaktivisten berühmte Gemälde in Museen mit sämig-flüssigen Nahrungsmitteln bewarfen. Ein Monet bekam im Potsdamer Museum Barberini von Mitgliedern der "Letzten Generation" eine Ladung Instant-Püree verpasst. In London landete unter anderem eine Dose "Campbell's Soup" auf Van Goghs Sonnenblumen. Verantwortlich war dort die Gruppe "Just Stop Oil", die gegen die weitere Verwendung fossiler Brennstoffe kämpft.
Die öffentliche Empörung war riesig - und im kollektiven Aufschrei ging oft unter, dass die Wahl der wasserlöslichen Angriffsmittel eine klare Botschaft hatte. Ein Interesse an der Zerstörung von Kunstwerken gab es offenbar nicht. Es war eher ein performativer Warnschuss: Die Klimakrise, die sich schon jetzt in einer Häufung von Extremwetter und Naturkatastrophen bemerkbar macht, ist für unser Kulturerbe viel gefährlicher als ein bisschen Kartoffelstärke. Außerdem beinhaltete die Performativität des Protests fast eine Einladung für Kunsthäuser, darauf zu reagieren.
Wenn man sich jedoch die neuesten Bilder aus der Londoner National Gallery anschaut, fühlt sich diese Protest-Ära sehr weit weg an. Am gestrigen Montag schlugen dort zwei Mitglieder von "Just Stop Oil" mit Notfallhämmern auf das Sicherheitsglas vor Diego Velázquez' "Venus vor dem Spiegel" (1647-51) ein. Nach eigenen Angaben wollten sie mit der Aktion gegen neue Lizenzen der britischen Regierung zur Öl- und Gasförderung protestieren.
Gewalt-Anfall aus Hilflosigkeit
Das Video, das die Gruppe auf der Plattform X (ehemals Twitter) von der Aktion veröffentlichte, zeigt die Agression, mit der die beiden Aktivisten das Bild attackieren. Ob das Gemälde hinter dem (offenbar ziemlich robusten) Glas Schaden genommen hat, hat die National Gallery bisher noch nicht kommentiert. Doch auch, wenn der Velázquez heil geblieben ist, bedeutet der Hammer-Einsatz eine massive symbolische Verschärfung, die mit den eher harmlosen Nahrungsmittelwürfen und dem Festkleben an Bilderrahmen nicht mehr vergleichbar ist. Die Beschädigung des Kunstwerks wurde offenbar zumindest in Kauf genommen, wenn man derart rabiat dagegen vorgeht.
Es ist gut nachvollziehbar, dass man als Klimaaktivistin derzeit verzweifelt sein kann. In vielen Ländern stockt der Ausbau erneuerbarer Energien, in Großbritannien wurden bereits beschlossene Umweltauflagen sogar wieder gelockert. Außerdem haben Themen wie der Ukraine-Krieg oder aktuell die Gewaltexplosion in Israel und im Gazastreifen die Klimakrise in den Hintergrund gedrängt. Die Attacke in der National Gallery wirkt wie ein Gewalt-Anfall, der aus Hilflosigkeit geboren ist.
Der Fall zeigt aber auch, dass die "Letzte Generation" und ihre internationalen Partnergruppen in gewisser Weise den Versuchungen ihrer eigenen Strategie erlegen sind. Die meist jungen, Social-Media-affinen Aktivistinnen und Aktivisten hatten mit ihren Museums-Aktionen und den Farb-Attacken auf prominente Gebäude bisher perfekt die Bedürfnisse der Aufmerksamkeitsökonomie bespielt. Die Aktionen waren fotogen und spektakulär genug, um eine große Öffentlichkeit zu erreichen, aber harmlos genug, um sich nicht als Radikale aus der Klimadebatte zu schießen.
Verweis auf die "richtige Seite der Geschichte"
Doch es liegt in der Natur der Sache, dass sich Aufmerksamkeit in einer schnelllebigen Medienlandschaft leicht abnutzt - und dass sogar Klebe-Aktionen und Kartoffelbrei in Museen langweilig werden. Also ist eine Zuspitzung in der Strategie praktisch unvermeidlich, um noch öffentliche Erregung zu ernten. In den vergangenen Wochen ließ sich bereits beobachten, dass die Ziele der Farb-Aktionen der "Letzten Generation" immer größer und symbolträchtiger wurden (siehe Brandenburger Tor und Weltzeituhr in Berlin). Die Hammer-Attacke in London ist in dieser Eskalations-Logik nur folgerichtig.
Die Aktivisten von "Just Stop Oil" beziehen sich mit ihrer Tat auf die Suffragette Mary Richardson, die das Gemälde 1914 (ohne Schutzglas) mit einem Fleischerbeil attackierte. Sie protestierte damit gegen die Inhaftierung ihrer Mitstreiterin Emmeline Pankhurst und fügte der Leinwand sechs tiefe Schnitte zu, die später vollständig restauriert werden konnten.
Die Absicht der Nachahmer ist klar: Niemand bezweifelt heute die Legitimität des damaligen Kampfes für Frauenrechte, der auch durch Akte des zivilen Ungehorsams und des Vandalismus geführt wurde. Nun versuchen die Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten, sich in die Tradition der Suffragetten zu stellen und sich damit auf der "richtigen Seite der Geschichte" zu verorten.
London ist eine Zäsur
Diese Verbindung ist jedoch eine bloße Behauptung - gerade, weil die Suffragetten demokratische Rechte erstritten haben, mit denen sich politische Debatten heute anders als durch Bilder zerhacken führen lassen. Der gestrige Hammer-Angriff auf die Velázquez-Venus, der jegliche Kreativität und Dialogangebote vermissen lässt, zeigt vielmehr, dass die Strategie der Proteste in Museen inzwischen verbrannt ist. Denn denkt man das Ganze zu Ende, wird auch der Angriff auf Sicherheitsglas irgendwann nicht mehr für die gewünschte Aufmerksamkeit reichen. Muss man dann mit dem Hammer Rodins oder Henry-Moore-Skulpturen zertrümmern?
Die Aktionen der "Letzten Generation" haben so lange funktioniert, wie sie nicht stumpf und destruktiv waren. Der Angriff in London markiert daher eine Zäsur. Ein Hammer ist ein Werkzeug, das alle Nuancen und Interpretationsspielräume beseitigt, da kann das Anliegen noch so unterstützenswert sein. Und wenn man Zerstörung anzettelt, um vor Zerstörung durch die Klimakrise zu warnen, geht die Erzählung irgendwann nicht mehr auf. Selbst mit wohlwollender Konzeptkunst-Logik nicht.