Man hätte doch eigentlich erraten können, wen er für den deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale auswählen würde, hatte Kurator Yilmaz Dziewior vor einigen Tagen im Gespräch mit Monopol gesagt. Die Website zum deutschen Beitrag auf der Biennale 2022, die bereits seit einigen Wochen online ist, habe doch genügend Spuren gelegt. Die Geschichte des Pavillons als Repräsentationsbau der Nazis wird dort verhandelt, der ökonomische und politische Kontext der Biennale generell, die nicht nur des edlen Wettbewerbs der Nationen wegen, sondern auch für die aufkeimende Tourismusindustrie gegründet wurde. Und auch, wenn wir damals das Ratespiel nicht gewonnen haben: Maria Eichhorn ist genau die Künstlerin, die diese Kontexte mit einer intelligenten Arbeit reflektieren kann.
Seit den 1990er-Jahren lenkt sie den Blick der Öffentlichkeit auf die äußeren Bedingungen der Kunst. 2001 ließ sie für ihre Ausstellung "Das Geld der Kunsthalle Bern" die Halle komplett leer und legte nur eine Broschüre aus, in der die Hintergründe zur Finanzierung der Institution erklärt wurden. Und in der Londoner Chisenhale Gallery verschloss sie 2016 die Türen und gab den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Dauer ihrer Ausstellung frei - nachdem sie bei einem Symposium über deren Arbeitsbedingungen diskutiert hatte.
Mehrmals konzipierte sie Projekte, bei denen sie Grundstücke oder Häuser durch Kauf der Immobilienwirtschaft entzog. So sollte für die Documenta 14 ein Haus in Athen erworben und in Nicht-Eigentum umgewandelt werden – ein juristisch kompliziertes Unterfangen, das fast philosophische Dimensionen annahm. In unserer vom Grundbesitz bestimmten Gesellschaft können wir andere Rechtsformen von Immobilien kaum mehr denken, geschweige denn vertraglich regeln.
Eine ganze Bibliothek aus geraubten Büchern
Auf der Documenta 14 in Kassel stellte sie ein Projekt vor, das sich mit dem Erbe des Nationalsozialismus befasste. Ihr "Rose Valland Institut" stellte sich die Aufgabe, nach Objekten aus jüdischem Besitz zu forschen, die unrechtmäßig in private Haushalte in Deutschland und Europa gelangt sind. In den Ausstellungsräumen in Kassel zeigte sie eine ganze Bibliothek von geraubten Büchern aus den Beständen der Zentral- und Landesbibliothek Berlin und dokumentierte die Suche nach den rechtmäßigen Erben – eine so intensive wie berührende Arbeit.
Man darf vermuten, dass sich Eichhorn auch bei ihrem Projekt für den deutschen Pavillon in die Geschichte vergraben wird. Was nicht heißt, dass sie sich dabei in irgendeiner Form als Repräsentanz Deutschlands vereinnahmen lassen will. Im Gespräch mit Yilmaz Dziewior, das auf der Seite des Pavillons veröffentlicht wurde, erklärt sie: "Die meisten Künstler*innen, die einen Biennale-Pavillon, auch den deutschen Pavillon, gestalten, fassen es ganz einfach als Aufgabe oder Auftrag auf, entweder ihrer gewohnten Arbeit nachzugehen und diese zu zeigen, oder Missstände offenzulegen, Politik zu hinterfragen, Formen solidarischen Austauschs zwischen gesellschaftlichen Gruppen zu initiieren, Stellung zu beziehen und so weiter. Künstler*innen sind aus meiner Sicht nicht die Stellvertreter*innen eines Landes, sondern repräsentieren eine bestimmte Haltung, eine bestimmte Denk- und Handlungsweise in Bezug zur gegebenen Situation."
Yilmaz Dziewior hat mit Maria Eichhorn eine Künstlerin ausgewählt, von der ein dezidiert politischer Beitrag zu erwarten ist, aber kein politischer Aktivismus. Im Zweifelsfall wählt sie das Zögern und die zusätzliche Reflexionsschleife statt den Slogan. Ein Beitrag zu identitätspolitischen Debatten ist auch eher weniger zu erwarten. "Nicht meine Person, sondern meine Arbeit soll im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Ich mache meine Arbeit und trete dann zurück", sagt Eichhorn im Gespräch mit Dziewior.
Wahrscheinlich keine verschlossenen Türen
Ihre Kunst störe die imaginären Beziehungen zwischen dem Werk und dem Feld der Kunst, das seinen Kontext bildet, so hat Maria Eichhorn es mal formuliert. Für die Betrachter und Betrachterinnen kann diese Störung gelegentlich zu sehr reduzierter Kunsterfahrung führen. Es könnte karg werden im kommenden Jahr im deutschen Pavillon.
Andererseits hat beispielsweise Hans Haacke gezeigt, dass ein simpler Eingriff in die Strukturen des Raums – der aufgebrochene Fußboden – zu einem nicht nur intellektuell, sondern auch von der sinnlichen Erfahrung her absolut großartigen Effekt führen kann. Und wer nun Angst hat, er werde in Venedig vor verschlossener Tür stehen, während die Aufsichten Gondel fahren, der sei getröstet, denn Eichhorn verspricht: "Die Arbeit ist zugänglich. Sie kann sowohl gedanklich als auch vor Ort körperlich und in Bewegung erfahren werden". Ob sie darüber hinaus auch ein intellektuelles und vielleicht sogar physisches Ereignis wird – daran wird man sie am Ende messen müssen.
Elke Buhr hat auch mit Detektor.fm zu der Wahl für den deutschen Pavillon gesprochen, hier zum Nachhören: