Dass Architekturgeschichte nicht ohne Widersprüche zu haben ist, ist eine Binsenweisheit, die ungefähr so spannend ist wie eine Traufhöhen-genormte Neubausiedlung mit Steingärten. In jeden Bau sind seine historischen Umstände und Machtverhältnisse eingemauert, und jede Generation ringt neu um einen zeitgemäßen Umgang mit den Häusern der Vorfahren. Wie solide solch politischer Ballast ist, zeigt in Europa schon der diffizile Umgang mit den architektonischen Überbleibseln der NS-Zeit. Es gibt genug aufzuarbeiten, könnte man denken - warum dann neue problematische Bausignale in die Welt setzen, von denen man sich dann umständlich wieder distanzieren muss?
Genau das passiert beim Berliner Humboldt Forum, das inzwischen so marodekritisiert wurde, dass schon vor der Eröffnung eine gewisse Ermüdung bei allen Beteiligten eingetreten ist. Nun wurde bekannt, dass die fast fertige Schloss-Nachbildung trotz öffentlicher Kritik noch in dieser Woche ein Kreuz auf die Kuppel gesetzt bekommt. Auf dem Tambour prangt bereits ein vergoldetes Bibel-Zitat, das auf einen Wunsch des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV zurückgeht und das in der Debatte um die Rekonstruktion des Bauwerks bisher kaum aufgetaucht ist: "Es ist kein ander Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, daß im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind."
Ruft man sich kurz in Erinnerung, dass das Humboldt Forum als integrativer Innovationsort angetreten ist, an dem sich verschiedene Kulturen und Religionen auf Augenhöhe begegnen und eurozentristische Perspektiven "ausdrücklich vermieden" werden sollen, ist dieser christliche Machtanspruch eine absurde Absage an die Gleichberechtigung. Zumal gerade in der Kolonialzeit - die hier eigentlich aufgearbeitet werden soll - die Unterdrückung und Ausbeutung nicht-europäischer Völker auch im Geiste christlicher Missionierung geschehen ist.
Ein visuell starkes Zeichen des christlichen Überlegenheitsgestus
Ganz im Zeichen des diskursiven Marketings nimmt das Humboldt Forum die Kontroverse um das Kuppelkreuz selbst auf und fragt im hauseigenen Magazin: "Was soll das?" Die Antwort der Bauherren lautet grob zusammengefasst: Widersprüche aushalten, historische Machtverhältnisse reflektieren, verschiedene Stimmen zu Wort kommen lassen. Dagegen lässt sich im Prinzip nichts sagen - außer, dass wir es hier eben nicht mit Relikten der Vergangenheit zu tun haben, mit denen man irgendwie zurechtkommen muss, wenn man sie nicht wegsprengen will. Hier wird bewusst ein visuell starkes Zeichen, das christliche Überlegenheit suggerierte, in den öffentlichen Raum der deutschen Hauptstadt zurückgeholt. Eine zeitgenössische Entscheidung mit Strahlkraft. Doch man braucht kein kolonial-feudales Re-Enactment, um die katastrophalen Folgen des Eurozentrismus anzuerkennen und Restitutionen diskutieren zu können. Die Probleme, denen man nun vielstimmig begegnen will, sind vollständig selbstgebaut.
Beim Humboldt Forum ist eine Situation entstanden, in der man das postkoloniale Konzept inzwischen angestrengt irgendwo zwischen anderslautenden Umständen und Symboliken suchen muss. So als könne man im Nachhinein einfach auf Panels und Workshops wegdiskutieren, dass der Großteil der Entscheider weiß und männlich ist, die Exponate aus aller Welt hinter einer rekonstruierten preußischen Schlossfassade einziehen und nun ein prominentes Kreuz auf einem Museum die Silhouette Berlins prägen wird.
Kunst muss zum Kreuz
In Potsdam ist mit dem Wiederaufbau der Garnisonkirche ein ähnlicher Fall zu beobachten. Hier lässt man einen militaristisch geprägten Ort orginalgetreu wieder auferstehen, der eng mit der Machtübertragung an Hitler verbunden ist. Zwar soll der Bau ein Versöhnungsort zum "Lernen und Erinnern" werden, aber auch hier braucht es einen großen Kraftaufwand, um sich von einer Symbolik zu distanzieren, die man selbst erst inszeniert. Es ist ziemlich viel verlangt, ein Mimikry von preußischer Machtarchitektur als kritische Auseinandersetzung mit selbiger zu lesen.
Und auch das Kreuz und das Spruchband auf dem Humboldt Forum sind ein fatales Symbol, das mit dem Programm innerhalb der Schlossmauern nicht wieder verschwindet. Berlin wird ein neues architektonisches Wahrzeichen haben, das nicht von vornherein als Distanzierung von sich selbst gelesen werden wird. Das Einzige, was man sich jetzt wünschen kann, sind künstlerische Interventionen an der Fassade, die das einsam triumphierende Kreuz in Zukunft prominent herausfordern werden. Auch wenn die Voraussetzungen andere waren: Lars Ø. Rambergs Schriftzug "Zweifel" auf der Ruine des Palastes der Republik an gleicher Stelle zeigte 2005, wie so ein wirkungsvolles Gegenstatement zur Machtarchitektur aussehen kann. Wer verschiedene Perspektiven will, muss sie auch gleichberechtigt sichtbar machen.