Wenn alles nicht so bitter wäre, könnte man jetzt fast eine Glosse schreiben über den Fachkräftemangel im Kunstbetrieb. Ausgerechnet in der Branche, wo die Bewerber- die Stellenzahl seit Jahrzehnten um ein Vielfaches übertraf, wo promovierte Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker sich schon um Praktikumsplätze rissen, sind jetzt die Topjobs verfügbar: Die Chefredaktion beim Magazin "Artforum" etwa. Diverse Kuratorenstellen. Und seit gestern Abend sind auch die Posten in der Findungskommission der Documenta vakant – von der Documenta-Leitung mal gar nicht zu reden.
Galgenhumor ist derzeit sicher nicht angemessen, aber man darf sich schon fragen, wer in einer derart verfahrenen Situation Lust auf einen Platz im Rampenlicht hat. Die Kunstbranche befindet sich in einem beispiellosen Sebstzerfleischungsprozess: Rücktritte und Entlassungen, abgesagte Konferenzen und Ausstellungen, Denunziationen und Anschuldigungen sind an der Tagesordnung. "Before there is a ceasefire in the artworld, there will be a ceasefire in Gaza" – der Satz macht auf Social Media gerade die Runde, und man weiß wirklich nicht, ob man darüber lachen soll.
Für die Zukunft der Institutionen und des Ausstellungswesens insgesamt bedeutet das keine guten Aussichten. Fatal dürften insbesondere die Auswirkungen auf die Kulturpolitik sein. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat bereits gedroht, die Bundesmittel für die Documenta zu streichen. Derweil bereitet die Ampelkoalition im Bundestag einen Entschließungsantrag zur Debatte "Historische Verantwortung wahrnehmen – Jüdisches Leben in Deutschland schützen", die an die BDS-Resolution anknüpft und diese verschärfen könnte.
So notwendig es ist, jüdisches Leben in Deutschland zu schützen und Antisemitismus in der Kulturwelt noch stärker zu bekämpfen, so sehr gilt es in der aufgeheizten Situation, einen kühlen Kopf zu bewahren. Statt die Gräben zu vertiefen, braucht es jetzt Räume für Dialog. Statt Mittel zu entziehen, müssen gerade jene Projekte unterstützt werden, die das deutsch-jüdisch-arabische Zusammenleben fördern, die insgesamt eine weltoffene Kulturlandschaft unterstützen. Mit etwas Abstand, Ruhe und Reflektion wird sich vielleicht herausstellen, dass die Fronten so verhärtet nicht sind und die Kulturwelt mehr verbindet, als trennt.