Kommentar zum deutschen Venedig-Pavillon

Ein kulturpolitischer Coup

Die Künstlerliste für den deutschen Pavillon ist in der aktuellen Debattenlage eine geschickte Wahl. Yael Bartana steht für die Bearbeitung politischer Blockaden, Ersan Mondtag für Mut und Sinnlichkeit. Klingt verheißungsvoll  

Mit ihrem Thema "Thresholds" – Schwellen - hat Çağla Ilk, die Kuratorin des deutschen Pavillons der kommenden Venedig Biennale, die Gegenwart schon mal sehr treffend erfasst. Denn wir befinden uns ganz offensichtlich in einer Zeit des Wandels, geschüttelt von geopolitischen, gesellschaftlichen und ökologischen Umbrüchen. 

Was hinter der Schwelle steht, die überschritten werden soll, ist unsicher – diese Erfahrung machen Menschen mit migrantischer Biografie noch intensiver als andere. Dass Kuratorin Ilk sich damit beschäftigt, ist angesichts ihrer bisherigen Arbeit unter anderem am Gorki-Theater in Berlin und jetzt an der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden nicht überraschend. Sie selbst ist in Istanbul geboren und lebt seit langem in Deutschland. Migration ist ein Thema, das auch 2019 von der Kuratorin Franciska Zólyom und der Künstlerin Natascha Süder Happelmann bereits im deutschen Pavillon behandelt worden ist, das aber an Relevanz keinesfalls eingebüßt hat. 

Die Künstlerinnen und Künstler, die Ilk zu diesem Thema eingeladen hat, mögen auf den ersten Blick überraschen – doch diese Liste erscheint angesichts der komplexen kulturpolitischen Probleme, die dieser Pavillon zu schultern hat, als ein ziemlicher Coup. Im Zentrum dieser Überraschung steht Yael Bartana, israelische Künstlerin, die in Berlin und Amsterdam lebt. 

Politische Blockaden bearbeiten

Dass sie keine Deutsche ist, wird wohl niemanden mehr stören, 15 Jahre nachdem mit Liam Gillick erstmals ein "ausländischer" Künstler den deutschen Pavillon bespielte. Aber viele werden fragen, warum gerade sie noch einmal einen Pavillon gestalten soll, nachdem sie 2011 schon ihre großartige Filmtrilogie zum Zionismus und der fiktiven Rückbesiedelung Polens durch junge Juden am polnischen Standort in den Giardini gezeigt hat. 

Doch die Antwort liegt auf der Hand. Bartana beschäftigt sich mit genau den Themen, die heute heftig diskutiert werden: die Geschichte des jüdischen Nationalismus, das Verhältnis der Juden zu den europäischen Gesellschaften, jüdische und israelische Identität. Bartana mischt Geschichte mit Fiktion, um neue Möglichkeitsräume zu eröffnen, sie nutzt die Technik der Erzählung, um politische Blockaden zu bearbeiten. 

In großen Performances und Kongressen hat sie immer wieder versucht, arabische, jüdische und andere internationale Akteure zusammenzubringen. Ihre Arbeit gilt der Überwindung von Krieg und Spaltung. Wie intensiv sie dabei die israelische Politik kritisiert, mit wem sie spricht und mit wem sie zusammenarbeitet, lässt sie sich dabei nicht vorschreiben – vor allem nicht vom deutschen Feuilleton. 

Mal so ganz anders als die strenge Architektur

Politisch also eine überaus geschickte Entscheidung von Çağla Ilk – und künstlerisch darf man sich sicher auf eine hervorragende Arbeit freuen. Spannend dazu ist auch die Wahl von Ersan Mondtag, der für Ilks interdisziplinäres Aufbrechen der Bildenden Kunst steht – und natürlich für seine eigene herausragende Arbeit im Bereich zwischen Performance, Kunst, Theater und Oper. 

Mondtag ist experimentierfreudig und mutig, seine Kunst ist überbordend und sinnlich und so ganz anders als die strenge Architektur des deutschen Pavillons. Dass man der auch einfach mal entkommen kann, und sei es nur in einer zusätzlichen Ausstellung, ist ebenfalls eine gute Nachricht. Ein Ausflug auf die grüne Insel La Certosa wird nahegelegt, wo die Naturerfahrung mit einer Ausstellung voller Sounds komplettiert wird. Klingt jetzt schon verheißungsvoll.