Kommentar

Warum blieb Banksy in Venedig unbemerkt?

Während der Vorbesichtigung der Venedig-Biennale hat Banksy einen Straßenstand aufgebaut – und kein Kunstkritiker hat es bemerkt. Wie konnte das passieren?

Da war dieser Moment, als ich um eine Ecke bog, in irgendeiner dieser wahnsinnig pittoresken Gassen Venedigs, und dieses Graffito an der Wand sah. "Das könnte glatt ein Banksy sein", dachte ich. "Ist aber bestimmt nur eine Kopie." Dann rannte ich weiter, den Blick fest aufs Smartphone geheftet, auf der Suche nach irgendeinem Länderpavillon irgendwo in der Stadt.

Dabei baute ein paar Meter weiter, direkt am Markusplatz, der echte Banksy gerade eine Installation auf, und zwar eine richtig gute: einen Stand voller Ölgemälde wie von einem der üblichen Kitschmaler für die Touristen, nur dass die Bilder alle zusammen wie bei einem Puzzle eines der riesigen Kreuzfahrtschiffe zeigten, die die Lagune zerstören. "Venice in Oil" stand auf dem Schild davor – eine Stadt versinkt im Öl der "Grandi Navi“, wie die Schiffe von den verzweifelten Venezianern genannt werden.

Mit Scheuklappen in der Kunstblase

Der Stand wurde schnell wieder abgebaut: Die Polizei fragte nach der Genehmigung, der vermeintliche Straßenhändler musste weichen. Auf dem Film, den Banksy später auf Instagram veröffentlichte, sieht man einige ältere Herren die Bilder verwundert betrachten. Doch unter den vielen Kuratoren und Kritikern, die in der Stadt waren, sprach sich nichts herum – sie rannten ahnungslos den Biennale-Parcours ab, von Pavillon zu Pavillon. Und müssen sich jetzt, wo Banksy den Film von seiner kleinen Venedig-Performance auf Instagram gestellt hat, etwas peinlich berührt fragen lassen, wie sie das denn allesamt übersehen konnten. Zumal Banksy 2014 schon einmal im New Yorker Central Park einen Stand aufgebaut hatte, wo man für 60 Dollar Werke von ihm kaufen konnte.

Dass die Kunstblase sich so von Banksy an der Nase herumführen ließ, liegt an den professionellen Scheuklappen der Branche, die man durchaus arrogant finden kann. Andererseits sind diese Scheuklappen bei der Kunstbetrachtung seit Anbruch der Moderne leider überlebensnotwendig geworden. Seitdem Marcel Duchamp, an Tricksterqualität Banksy mindestens ebenbürtig, mit einem Pissoir als Skulptur durchkam, ist eben nicht mehr am Objekt selbst erkennbar, wann etwas Kunst ist. Für Suppendosen wie für Ölgemälde gilt, dass die überstrapazierte Scherzfrage "Ist das Kunst oder kann das weg?“ nur mit Verweis auf den Kontext zu beantworten ist. Moderne Kunst ist eben das, was das Kunstsystem als Kunst ausstellt. Was kein Label hat, nicht in irgendeiner Galerie steht, nicht Teil einer Ausstellung ist, keine Signatur eines anerkannten Künstlers hat, gilt nicht als Kunst. Und anders kann dieses seltsame, gleichzeitig so freie und so streng reglementierte System der zeitgenössischen Kunst auch gar nicht funktionieren. Deswegen konnte Banksy sicher sein, dass ihn zwar die Polizei erwischt, wenn er sich als profaner Straßenmaler tarnt, aber kein professioneller Kunstkritiker.

Das Werk entsteht im Netz

Das eigentliche Werk entsteht, wie oft bei Banksy, sowieso erst in den sozialen Medien, die in seinem Fall die Signatur des Künstlers ersetzen: Was auf seinem Account auftaucht, ist von ihm. Und dort kann von mangelnder Aufmerksamkeit nicht mehr die Rede sein. Der Film über den kleinen Straßenmaler von Venedig ist auf Instagram bereits über zwei Millionen Mal aufgerufen worden. 

Der Kritikerin bleibt das nagende Gefühl, mal wieder was verpasst zu haben. Das allerdings gehört ja sowieso zu den Vorbesichtigungstagen von Venedig wie der Aperol Spritz – und lässt sich mit diesem auch ziemlich schnell bekämpfen.