Kim Kardashian sagte einst über sich selbst: "Ich bin viel mehr als ein hübsches Gesicht ..." und fügte dann hinzu "...und super Make-up, tolle Brüste und ein perfekter Hintern." Das dachten wohl auch die Macherinnen des Dokumentarfilms "Kim Kardashian Theory", in der das Leben der Influencerin im Zusammenhang mit Soziologie, Feminismus und Medienkultur besprochen wird und die gerade in der Arte-Mediathek zu finden ist.
Die Tochter von Robert Kardashian und Kris Jenner begann ihre Karriere als Assistentin für Paris Hilton und wurde dann durch ihre eigene Reality-Serie sowie Instagram international bekannt. Mittlerweile ist sie aus der Popkultur nicht mehr wegzudenken, sei es durch Make-up-Trends wie das Contouring, die Inszenierung ihres Körpers und Modemarken wie Skims und Co.
Doch was ist Kims Geheimnis? Für die einen ist sie eine feministische Inspiration, die ihr eigenes Bild kontrolliert, für die anderen verkörpert sie die Popularisierung einer Schwarzen Ästhetik. Die "Kiminologin" und Professorin für Gender Studies Meredith Jones hat sogar einen eigenen Veranstaltungszyklus für Forscherinnen und Forscher ins Leben gerufen, das "Kimposium". Auch die Dokumentation befragt Experten aus den verschiedensten Bereichen, zitiert Gesellschaftswissenschaftlerinnen und stellt zu Beginn die These auf, dass Kim Kardashian “all unsere zeitgenössischen Debatten” verkörpert.
Selbstinszenierung als Strategie
Wiege des Ruhms der ganzen Familie ist die Serie "Keeping up with the Kardashians", und ab 2021 "The Kardashians", in der ihr Alltag samt Streit und beruflicher Erfolge begleitet wird. Teil der ersten Staffel war 2007 ein geleaktes Sex-Tape, auf dem Kim zu sehen war. Immer wieder nimmt die Dokumentation Bezug auf Momente der Kunstgeschichte und verweist hier auf "Das Schloss" (1777) von Jean-Honoré Fragonard, was zwei Liebende und den damit verbundenen Voyeurismus zeigt. Geleakte Bilder und Sex-Tapes sind eine Form von Gewalt, die viele prominente Frauen bereits erfahren haben, beispielsweise Paris Hilton oder Pamela Anderson. Kardashian schaffte es allerdings, diese Grenzüberschreitungen für sich zu nutzen.
Sie sei die “Königin der Selfies”, heißt es, welche sie in rauen Mengen auf ihrem Instagram-Account teilt. 2015 veröffentlichte sie einen Bildband, gefüllt mit sich selbst. Darunter befanden sich auch einige geleakte Fotografien, wodurch sie sich ihr eigenes Bild wieder aneignete. Meredith Jones stellt hierzu die These auf, dass Frauen durch eigene Bilder in sozialen Netzwerken den male gaze hinterfragen oder zu ihrem Vorteil nutzen können. Kim Kardashian habe sich die Regeln des Patriarchats angeeignet, indem sie ihren Körper als Objekt der Begierde inszeniert, dabei aber ihr Image selbst kontrolliert und so die männliche Macht unterwandert.
Diese Selbstdarstellung ist Kim Kardashians Beruf. Sie gilt als eine der ersten Influencerinnen, inszeniert sich als Marke und kollaboriert mit anderen Firmen. Hierfür wird sie immer wieder heftig kritisiert, zum einen sicherlich wegen einer gesellschaftlich verankerten Misogynie, die erfolgreiche Frauen nicht erträgt, zum anderen aber wegen umstrittener Kampagnen wie der aktuellen Zusammenarbeit mit Balenciaga. Ebenso angegangen wurde Kim K., die armenische Wurzeln hat, mitunter für ihre Frisuren und Looks, bei denen ihr "Blackfishing" und kulturelle Aneignung vorgeworfen wurden.
Fleischwerdung der Popkultur
Die Liste der Themen, die angesprochen werden, ist lang. Kim Kardashian wird als Fleischwerdung einer Popkultur nach der Jahrtausendwende inszeniert. Den Körpernormen, die sie neu etabliert hat – eine perfekte Sanduhr-Figur – wird ein Zitat von Judith Butler angehängt, die da schrieb: “Der Körper selbst ist eine Konstruktion”. Butler meinte mit dieser Aussage höchstwahrscheinlich nicht die Konstruktion von Kardashians Körper durch Schönheitseingriffe, wovon sie selbst alle dementierte. Anstatt auf Umfragen wie die der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) hinzuweisen, die zeigen, dass durch soziale Medien die Nachfrage von Schönheitsoperationen immens gestiegen sind, wird wieder Bezug auf ein historisches Vorbild genommen – die Büste der Nofretete.
Der Titel einer feministischen Ikone, den Meredith Jones Kim K. zuspricht, sollte noch einmal kritisch beleuchtet werden. Sie ist zweifelsohne eine talentierte Unternehmerin, die in der Öffentlichkeit steht, gleichzeitig mehrere Kinder hat, Jura in Harvard studiert und selbstbestimmt über ihre Medienpräsenz entscheidet. Durch die Inszenierung unrealistischer Schönheitsideale und Vermarktung der zugehörigen Produkte profitiert sie aber auch vom gesellschaftlichen Druck, den Mädchen und Frauen erleben. Ein Geschmäckle von "Girlboss-Feminism" kommt auch bei einem "Variety"-Interview von 2022 auf, bei dem sie zu ihren Tipps für Unternehmerinnen befragt wurde. Sie antwortete: "Get your f**king ass up and work [...] it seems like nobody wants to work these days."
Die "Kim Kardashian Theory" macht den Fehler, ihre Protagonistin als Verkörperung gesellschaftlicher Debatten zu definieren, ohne ihre aktive Rolle und Macht zu beleuchten. Vielleicht ist das Geheimnis ihres Erfolgs auch, dass sie eine so unglaublich gute Projektionsfläche bietet. Sie ist sicherlich mehr als ein hübsches Gesicht, super Make-up, tolle Brüste und ein perfekter Hintern. Aber zu einer Ikone (aus künstlerischer wie aus feministischer Sicht) reicht es dann auch (noch) nicht.
Kim-Kardashian-Film auf Arte