Mit Udo Kittelmanns Amtsantritt als Direktor der Nationalgalerie Berlin im Jahr 2008 waren große, ja gewaltige Hoffnungen verbunden. Endlich sollte die Stadt, die sich dank ihrer Freiräume, Offspaces und Galerien seit der Wendezeit zu einer der aufregendsten Künstlermetropolen weltweit entwickelt hatte, auch in ihren Museen Ausstellungen zeigen, die man in New York oder Paris wahrnimmt. Oder zumindest in München und Frankfurt.
Kittelmann, kein Kunsthistoriker, sondern gelernter Optiker, war in der Hauptstadt für fünf Museen zuständig und damit bei weitem nicht nur für die zeitgenössische Kunst. Doch von dem damals 51-Jährigen, der zuvor als Leiter des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt mit Ausstellungen etwa zu Elaine Sturtevant oder als Kurator des Deutschen Pavillons auf der Venedig-Biennale (wo er mit Gregor Schneider den Goldenen Löwen gewann) für Furore gesorgt hatte, erwartete man inhaltlich wie strukturell den Aufbruch in eine neue Ära. Mit dem (Westberliner) Mief der Großinstitution sollte endlich Schluss sein.
Blockbuster und Konzeptuelles
Ohne Zweifel ist es Kittelmann gelungen, die Nationalgalerie sowohl international zu etablieren wie auch ein jüngeres und diverseres Publikum anzuziehen. In Kittelmanns Amtszeit wurden mit Thomas Demand, Gerhard Richter oder Otto Piene international gefeierte Künstler endlich auch mit Museumsschauen in ihrer Heimat bedacht. Mit seinen Präsentationen von Tomas Saraceno oder Carsten Höller zeigte er, wie man die Halle des Hamburger Bahnhofs – alles andere als ein idealer Ausstellungsort – in den Griff bekommt. Jenseits der Blockbuster gab Kittelmann mit Taryn Simon, Adrian Piper oder aktuell Jack Whitten aber auch konzeptuell strengen, politischen Positionen Raum.
Im vergangenen Jahrzehnt sind die Museen durch die Digitalisierung, die Globalisierung und gesellschaftliche Veränderungen massiv unter Druck geraten. In puncto Kunstvermittlung oder Digitalisierung lassen Institutionen von Singapur bis Los Angeles Berlin lange schon und weiterhin alt aussehen. Hätte Kittelmann das ändern können? Es ist zu bezweifeln, angesichts der Trägheit der Riesenbehörde, für die er arbeitete. Eine Großschau wie "Hello World. Revision einer Sammlung" im Hamburger Bahnhof wird zumindest als ambitioniertes Experiment in Erinnerung bleiben, den westlichen Kanon aufzubrechen – aber sicher noch nicht als Modell für ein Museum der Zukunft.
Berlin spricht wenig über die Kunst
Seit 2015 ist die Neue Nationalgalerie sanierungsbedingt geschlossen, und auch um den Hamburger Bahnhof war es zuletzt stiller geworden. Statt über Kunst spricht Berlin über konzeptuelle, politische und finanzielle Fragen – etwa was das Humboldt Forum angeht, die Zukunft der Rieckhallen oder den Neubau eines Museum der Moderne am Kulturforum. Einen internationalen Scoop landete Kittelmann zuletzt dann auch nicht in Berlin, sondern in Venedig, als Gastkurator im Privatmuseum der Prada Foundation.
"The boat is leaking / the captain lied" (Das Schiff hat ein Leck / Der Kapitän hat gelogen) – so hieß die Ausstellung, in der der Künstler Thomas Demand, der Filmemacher und Autor Alexander Kluge und die Bühnenbildnerin Anna Viebrock ihre Werke zusammenführten. Bis in den letzten Winkel spürte man hier Kittelmanns Lust am gattungsübergreifenden Experiment, am flexiblen und finanziell sicher gut ausgestatteten Arbeiten mir großartigen Künstlern. Der Titel stammt aus Shakespeares "Julius Caesar", aber wer mag, kann ihn jetzt auch auf die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beziehen, den schwer zu manövrierenden Tanker, der ab Oktober 2020 nicht mehr Udo Kittelmanns Arbeitgeber sein wird.