Wiegenlieder erklingen im oberen Ausstellungsraum von Savvy Contemporary in Berlin Wedding. Die sanften Gesänge erzählen mit ihren einschmeichelnden Melodien und Texten von der Kraft dieser Weisen, Kindern ein behaglich-beruhigendes Gefühl zu geben. So gelingt es diesem "Lullaby Archive" (seit 2023) der kolumbianischen Künstlerin Mariana Garcia Mejia, den Betrachter sensibel auf das Thema der Ausstellung einzustimmen, das bereits in ihrem Titel "Historical Children: Wiegenlieder über Wunden und Wunder" in der für Savvy typisch poetischen Weise angedeutet wird.
Die über mehrere Monate mit Künstlerinnen, Künstlern und Kindern aus unterschiedlichen Ländern entwickelte Ausstellung fragt in vielschichtiger Weise nach dem Status Quo von Kindheit angesichts von Globalisierung und Dekolonialisierung. Welche Bedürfnisse und Träume haben junge Menschen, und welche Möglichkeiten, diese zu verwirklichen und kindgerechtere Realitäten zu schaffen? Oder, in den Worten von Savvy: "Wie steht es um die ethische und politische Handlungsfähigkeit von Kindern und jungen Erwachsenen in der heutigen Zeit?" Dass sich diese Problematik im Globalen Süden selbstverständlich anders darstellt als im vergleichsweise wohlhabenden Europa – nicht zuletzt dieses ist der engagierten Ausstellung ablesbar.
Der Alltag von Kindern in Pakistan zum Beispiel wird in dem von dem Tentative Collective zusammengestellten Video "Lyari Kay Sab Rang Anokhay" (2014) thematisiert. Die Aufnahmen haben die kleinen Protagonisten selbst mit ihren Handys gemacht. Mit diesen Filmschnipseln setzen die Kids ihre Vorstellung eines freundschaftlichen Miteinanders ins Bild. Szenen aus dem familiären Umfeld, etwa das gemeinsame Essen, sind da ebenso zu sehen wie solche vom Spielen im prekären Kontext ihrer Nachbarschaft in Karachi.
"Zuhause ist Bücher und Pflanzen"
Die Aufnahmen wurden für die Präsentation bei Savvy am Computer so bearbeitet, dass sie jetzt gleichsam als bewegte Strichzeichnungen erscheinen. Dadurch werden nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Kinder gewahrt, das Video erinnert außerdem an die Ästhetik einfacher Schulbücher.
Im Zentrum der Ausstellung steht die begehbare Installation "Our Home is Made of Lines and Laughter" (2024), die Irene Fernandez Arcas mit Kindern aus Berliner Flüchtlingsunterkünften geschaffen hat. Die spanische Künstlerin hat mit diesen lange unter anderem darüber geredet, was für sie Heim und Heimat bedeutet. Für die Ausstellung haben sie schließlich gemeinsam eine fragile, zeltartige Hütte gebaut, deren Wände aus weißem Textil bestehen.
Im Inneren liegen weiche Kissen zum gemütlichen Verweilen. Die Stoffbahnen wurden von den Kindern mit Zeichnungen und kurzen Statements zum Stichwort home versehen: "Home is books and plants", oder "Home to me is sun and seasalt. Smell and ricas" ist da zu lesen. Aber auch: "The emptiness of missing family". Dass der Prozess der Entstehung dieser Installation und die dabei entstandenen Kontakte und Kommunikation mindestens so wichtig sind wie das fertige Kunstobjekt, liegt auf der Hand.
Kein Kinderspiel
Das letzte Exponat dieser wichtigen Ausstellung ist das sechs Minuten lange Video "A Vision of the Future" (2017) von Adel Abidin in der unteren Etage von Savvy. Eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen steht nebeneinander vor einer Wand, die Gesichter dem Betrachter zugewandt, demonstrativ halten alle ihre Hände vor die Augen. Ob sie erwartungsvoll wie ein Geschenk auf eine bessere Zukunft hoffen, oder ob sie eher angstvoll die Augen verschließen, bleibt offen.
Die Eröffnung der Ausstellung wurde in der vergangenen Woche übrigens um einen Tag verschoben. Der ursprüngliche Termin sollte nämlich für einen "Trauermarsch" für die Kultur freigehalten werden. Gut 3000 Teilnehmer demonstrierten dabei in Berlin-Mitte lautstark gegen die vom Berliner Senat und dem sichtlich überforderten Kultursenator Joe Chialo geplanten drastischen Einsparungen im Kultursektor, die auch Savvy hart treffen und bis zu 50 Prozent Kürzungen des Etats bedeuten könnten.
Ob Ausstellungsprojekte wie "Historical Children" auch in Zukunft möglich sind, scheint derzeit überaus ungewiss. Denn nicht nur für Savvy wird es in Zukunft kein Kinderspiel sein, in Berlin Kulturarbeit zu leisten.