Protest gegen Video-KI Sora

Warum sich Künstlerinnen mit dem Silicon Valley anlegen

Videostill aus "Tokyo Walk", erstellt mit der Video-KI-Anwendung Sora
Foto: OpenAI

Videostill aus "Tokyo Walk", erstellt mit der Video-KI-Anwendung Sora

Eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern sollten die Video-KI Sora der Firma OpenAI testen, machten stattdessen aber die Zugangsdaten öffentlich. Diese Guerilla-Aktion zeigt: Die Kunst muss endlich ihren Ungehorsam gegen die Tech-Giganten richten

Kunstschaffende weltweit sind gerade richtig wütend. So wütend, dass sie sich mit den KI-Schwergewichten des Silicon Valley anlegen. Dieses Mal geht es nicht um eine weitere Petition, die eine striktere Regelung von KI fordert. Solche Aufrufe werden ja bedauernswerterweise so gut wie nie von einem der Tech-Unternehmen beachtet. Nein, die Kunst hat dieses Mal ziemlich rebelliert. Es gab eine regelrechte Guerilla-Aktion, die der Welt beweisen sollte: Die Kunst hat es noch drauf. 

Aber von vorn: Das US-amerikanische Unternehmen OpenAI, das vor allem für seine Software ChatGTP bekannt ist, hatte vergangene Woche ausgewählte Videokünstlerinnen und -künstler eingeladen, seine neueste Erfindung zu testen. Eine Video-KI mit dem Namen Sora nämlich, die es ermöglicht, innerhalb von kürzester Zeit kinoreife Videoschnipsel zu erstellen. Sora wurde noch nicht veröffentlicht und sollte daher von einigen Kreativen ausprobiert und durch Feedback an OpenAI verbessert werden. 

Die Zusammenarbeit lief allerdings nicht wie geplant. Anstatt hübsche Filmchen mithilfe der KI zu entwerfen, taten die Künstlerinnen und Künstler das scheinbar Undenkbare: Sie veröffentlichten ihre exklusiven Zugangsdaten und gaben Sora für die Öffentlichkeit frei. Drei Stunden dauerte es, bis OpenAI das Problem in den Griff bekam und die Software wieder aus dem Verkehr zog. Drei Stunden, um eine Handvoll Zugangsdaten zu sperren. Anscheinend war OpenAI ähnlich überrumpelt wie der Rest der staunenden Kunstwelt: Niemand hatte mit einer solchen Aktion gerechnet. Denn so ungehorsam war die Kunst beim Thema KI bisher eher nicht.

PR statt Kreativität

Neben dem Datenleak veröffentlichten die knapp 300 eingeladenen Künstlerinnen und Künstler auch einen Brandbrief samt Totenkopf-Emojis und erregten Großbuchstaben. Darin schimpfen sie darüber, dass alles, was sie mit Sora erstellten, OpenAI vorgelegt werden musste und das Angebot des Unternehmens, das Werkzeug für Kunstschaffende exklusiv zugänglich zu machen, eine Form von "Art Washing" sei. "Es geht anscheinend weniger um kreativen Ausdruck und Kritik als um PR und Werbung", schreiben sie. Künstlerinnen und Künstler würden von OpenAI als unbezahlte Werbung für das KI-Video-Tool missbraucht. Emoji mit Dollarzeichen in den Augen. 

Na endlich! Wie lange hat die Kunst geschwiegen, während KI, die auf öffentlich zugänglichen Daten basiert, immer exklusiver und von den Tech-Unternehmen immer strenger kontrolliert wurde. Die Kunst scheint sich endlich berappelt und auf ihre Prinzipien besonnen zu haben. Es brauchte offenbar nur ein gewisses Maß an Dreistigkeit, und auf einmal werden die handzahmen Künstlerinnen und Künstler zu ungehorsamen Guerilla-Einheiten.

Denn das, was die westliche Kunst schon lange in aktivistischen Performances verinnerlicht hat, etwa bei den Themen Krieg, Klima und Feminismus, kann auch auf den Kampf um Selbstbestimmung und Würde mit den KI-Unternehmen übertragen werden. Nicht jedes "großzügige" Angebot aus dem Silicon Valley muss dankbar angenommen werden. Manchmal muss eben auch öffentlich rebelliert werden, und die Grenzen des guten Benehmens gehören überschritten. Was hätte etwa eine Carolee Schneemann, eine der feministischen Performance-Ikonen der 1970er-Jahre, schon erreicht, wenn sie sich bloß einer Petition gegen Sexismus angeschlossen hätte, anstatt sich eine Schriftrolle aus der Vagina zu ziehen? 

Dem Valley zeigen, was künstlerische Freiheit bedeutet

Auf diesem Niveau agiert die Kunstwelt beim Thema KI und Ausbeutung von Kunstschaffenden nicht. Noch nicht? Vielleicht wäre es an der Zeit, nach diesem halblegalen Datenleck die radikalen Performances und Happenings des letzten Jahrhunderts auf aktuelle Probleme des 21. Jahrhunderts zu übertragen. In Form von digitalen Performances zum Beispiel. Oder mithilfe einer neuen Art der KI-Performance, die zeigen könnte, dass Künstliche Intelligenz ein allgemein zugängliches Tool ist und Künstlerinnen und Künstler nicht die vorgefertigten Schablonen von OpenAI und Co brauchen, um kreativ zu sein.

Dass KI per se nicht schlecht ist, sagen auch die wütenden Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Protestbriefs. Was sie allerdings fordern, sind Entwickler von KI-Technologien, "die zuhören und den Weg für wahren künstlerischen Ausdruck ebnen, mit fairen Kompensationen für die Kunstschaffenden". Solange das nicht gewährleistet ist, sind alle Künstlerinnen und Künstler hiermit herzlich ermutigt, sich mit ungehorsamen Aktionen zu wehren - und dem Silicon Valley zu zeigen, was künstlerische Freiheit bedeutet.