Kein Eklat! Das war das überraschende Ergebnis der Diskussion zur Frage "... das darf die Kunst. Über Freiheit, Grenzen und Tabus" im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig. Dabei gab es für das Podium sozusagen eine Reizpersonalie zu verbuchen: Der bildende Künstler Axel Krause, der zunächst zur Leipziger Jahresausstellung eingeladen und nach einem Proteststurm wegen seiner AfD-Nähe (er ist Mitglied im Kuratorium der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung) wieder ausgeladen wurde, saß auf dem Podium.
Zu ihm gesellten sich Künstler Rüdiger Giebler, Eva-Maria Stange (SPD), Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, sowie Uwe Neumann, Leiter der Kunsthalle Rostock, und Kurator Christoph Tannert. Letzter hatte ebenfalls kurz zuvor einen Shitstorm mit seiner Ausstellung „Milchstraßenverkehrsordnung“ ausgelöst. Angesichts von so viel Kontroverse wirkte die erste Hälfte der Podiumsdiskussion überraschend heiter und ruhig.
Jürgen Reiche, Leiter des Zeitgeschichtlichen Forums und Moderator des Abends, erklärte sogleich, dass man sich "um eine souveräne Streitkultur bemühen" wolle. Tatsächlich ist die Einladung Krauses als Statement zu verstehen: Demokratie und Kunstfreiheit benötigen Toleranz. Tolerare, das heißt bekanntermaßen erleiden, erdulden.
Kunstfreiheit heißt Freiheit vor Einmischung der Politik
"Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei." So einfach und doch so weitreichend ist die Setzung von Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes. Was aber heißt das für die Praxis des Kuratierens und der Kunstproduktion, für Theater und bildende Künstler?
Zuletzt musste sich beispielsweise der sächsische Landtag immer wieder mit Anfragen und Anträgen der AfD zum Thema Kunst befassen. Ziel der AfD waren die Theater, deren Themensetzungen zu einseitig im Sinne einer linken Einflussnahme seien. Die Freiheit der Kunst, so betont Eva-Maria Stange, bestehe vor allem in der Freiheit vor Einmischung von politischen Akteuren. Kunst müsse also vor solcher parteilichen Einflussnahme geschützt werden.
Wie steht es mit dem "ultralinken Meinungsfuror?"
Aber wie steht es mit gewissen Gruppen, die Künstler oder Kuratoren attackieren? Tannerts Ausstellung wurde vorgeworfen, dass sie Afrofuturismus aus dem Blickwinkel alter weißer Männer zeige. Benannt wurden diese "Gruppen" nicht, aber es war klar, was gemeint war: feministische, antirassistische Kollektive, die durch Aktionen und Shitstorms angeblich massiv in die Ausgestaltung von Ausstellungen eingreifen. Ein ultralinker, quasi-hysterischer Meinungsfuror also.
Uwe Neumann findet solche Debatten wichtig. Auch an ihn habe man den Vorwurf gerichtet, zu wenige Künstlerinnen mit Einzelausstellungen zu bedenken. Immerhin habe das einen Prozess des Nachdenkens angeregt. Selbst die Abhängung bestimmter Werke, man denke nur an Balthus, bedrohe die Freiheit der Kunst nicht. Krause sieht es naturgemäß anders. "Wenn die Kunst nicht gezeigt wird, ist sie auch nicht frei." Das erscheint bemerkenswert naiv, denn seit Anbruch der Moderne wurde stets nur der kleinste Teil der Kunstproduktion ausgestellt. So gesehen wäre die Kunst immer schon radikal unfrei gewesen.
Freiheit heißt nicht frei von Widerspruch
An dieser Stelle wird deutlich, woran die Diskussion scheiterte: daran, eine engere Definition des Freiheitsbegriffs zu geben. Letztlich konnte man zu dem Ergebnis kommen, dass Kunst nur dann frei sei, wenn künstlerische Produktion und das Geschäft des Kuratierens weitgehend frei von Interventionen öffentlicher oder veröffentlichter Meinung bleiben. Wenn die Kunst aber in die Gesellschaft wirken will, muss sie auch den Widerspruch derselben dulden.
Gerade Krause fühlte sich auf dem Podium sichtlich wohl in der Rolle des allseits gescholtenen Enfant terrible, das andere gerne provoziert. Aber ist es dann legitim, sich zugleich zum Opfer der Folgen der Provokation zu erklären? So hatte Krause sich selbst als "entarteten Künstler" und "Volksschädling" bezeichnet, wollte das aber als "deftigen Witz" verstanden wissen. Das Podium kritisierte Krauses Verwendung des historisch eindeutig besetzten Vokabulars vehement. Stange betonte, dass es genau diese sprachlichen Tabubrüche seien, die Debatten klandestin verschieben. Die Einhelligkeit des Widerspruchs, auch von Seiten des Publikums, machte deutlich, dass die Angst davor, rechter Rede eine Bühne zu geben, eher unbegründet ist. Wie sonst soll sich öffentlicher Widerspruch formulieren? Meinung darf frei geäußert werden. Man darf nur nicht erwarten, dass sie kritiklos akzeptiert wird.
"Der Künstler hat das Bedürfnis, überhaupt keine Grenzen zu respektieren", so sagt es Giebler. Der Akt der Transgression setzt die Grenze aber unbedingt voraus. Solche Grenzen wurden an diesem Abend deutlich gezogen. Und anders als Krause es behauptet, geht es dabei nicht nur um justiziable Äußerungen.
War früher alles besser?
Problematisch ist auch das von Diskutanten und Publikum vertretene Narrativ, "früher" sei man insgesamt toleranter der Kunst gegenüber gewesen. Zweifelsfrei steigern insbesondere Social-Media-Kanäle die Aufgeregtheit von Debatten. Man möchte aber doch daran erinnern, welche Debatten, beispielsweise um vermeintlich pornografische Kunst, in den letzten hundert Jahren geführt wurden. Das "tolerante Früher" ist eine rückwärtsgewandte Projektion, die verdrängt, dass der größte Teil der Kunstproduktion nie öffentliche Proteste auslösen konnte, weil er gar nicht erst gezeigt wurde. Nun, da sich der Protest gegen vormals privilegierte Akteure des Systems richtet – weiße Künstler und Kuratoren – wird die Einmischung als schmerzhaft empfunden. Ihnen steht es aber frei, sich damit produktiv auseinanderzusetzen.