Der Ursprung dieses Werkes ist oft erzählt worden. Es war 1969, Katharina Sieverding studierte tagsüber an der Düsseldorfer Kunstakademie in der Klasse von Joseph Beuys, nachts arbeitete sie in der Lover's Bar im hypermodernen Kö-Center. Im Untergeschoss des Gebäudes stand ein Fotoautomat. Und während die Gäste sich allein dem Wodka widmeten, machte Sieverding den Automaten zu ihrem Fotoatelier.
Hier entstanden die Passbilder, in denen sie sich in glamourösen Posen ausprobierte, mit lockiger Perücke und rot geschminkten Lippen, oder glatt zurückgekämmt, wie wir sie heute noch kennen. "Maton" heißt die Serie, die daraus entstand, nach dem "Photomaton", wie die Kabine auf Französisch heißt. Über Jahre hat Sieverding diese Bilder als Ausgangspunkt ihrer Experimente benutzt, sie auf riesige Formate vergrößert und mit Solarisation, Filtern und Negativ-Techniken bearbeitet – genau wie die vielen Polaroids, die in den frühen 1970er-Jahren entstanden und die Selbstbefragung fortführen, teilweise gemeinsam mit ihrem Partner Klaus Mettig.
Es ist eine kleine Sensation, dass diese frühen Studien bei Sieverdings großer Ausstellung im K21 in Düsseldorf nun erstmals ausgestellt werden – der Nukleus ihres Werks, installiert in einem Raum im Raum, einer schützenden Kammer für das Innerste dieser Kunst. Der es auf Innerlichkeit allerdings nie ankam, im Gegenteil. Von Anfang an nutzt Sieverding ihr ebenmäßiges Antlitz als Maske, als glatte, anti-psychologisierende Projektionsfläche für Fragen der fotografischen Repräsentation und der Identität.
Das Gesicht als Schnittstelle
Das Gesicht ist die Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft, darauf will ein Titel wie "Stauffenbergblock" hinaus: eine monumentale Serie von Rot eingefärbten, ins Negativ gekehrten, mystisch verschwommenen Porträts, die 1996 aus den alten Bildern entstand. In Düsseldorf schauen 16 Augenpaare auf einen nieder; eine mächtige Gesichterwand, die die Frage nach der individuellen Verantwortung stellt: Welche Version des Ichs hätte den Mut des Hitler-Attentäters?
Schon in den 1970er-Jahren denkt Sieverding das Ich als fluides Konstrukt und macht sich gemeinsam mit Klaus Mettig auf die Suche nach der visuellen Verbindung zwischen ihnen beiden, die auch die Schnittstelle zwischen männlich und weiblich ist. Zu sehen ist das in der Fotoserie "Motorkamera", für die beide gemeinsam vor dem Selbstauslöser standen; und in der großformatig installierten Diaprojektion "Transformer", bei der die Bilder der beiden ineinander morphen, bis sie ununterscheidbar werden.
Die Ausstellung geizt nicht mit Sieverdings bekannten monumentalen Großformaten und auch nicht mit ihren politischen Interventionen, die den Ikonenstatus nicht weniger verdient hätten als ihre Selbstporträts. So ist das Großfoto "Schlachtfeld Deutschland" von 1978 zu sehen, das eine Zeitschriften-Fotografie von einer GSG-9-Einheit verarbeitet, oder "Deutschland wird deutscher" von 1993, das ihr von Messern umkränztes Gesicht mit einer Schlagzeile aus der Wochenzeitschrift "Die Zeit" kombiniert: eine Reaktion auf die rassistischen Ausschreitungen der Nachwendezeit.
Besser kann man ein Heimspiel kaum nutzen
Aber die Schau zeigt auch erstmals zahlreiche Dokumente und Fotografien aus Sieverdings Archiv und geht damit auf entscheidende Weise über das bekannte Bild hinaus. Zu sehen sind die dokumentarischen Fotos, mit denen die Künstlerin ab 1965 die Aktivitäten rund um die Beuys-Klasse festhielt, mitsamt Protesten, Besetzung und Räumung durch die Polizei.
Man bekommt auch Einblick in ihre Korrespondenz, die frühen Debatten um "Frauen-Ausstellungen ja oder nein", ihren späteren Einsatz für als Hochschullehrerin für die Studierenden. Der Archivteil vermittelt eine Idee von den Schätzen, die in Sieverdings und Mettigs Düsseldorfer Atelier- und Wohnhaus schlummern, von der Komplexität dieses über fünfeinhalb Jahrzehnte gewachsenen Werks.
Die ganze Katharina Sieverding ist nicht zu haben. Sie löst sich, wie wohl jeder Mensch, in unzähligen Varianten eines Gesichtes auf. Aber hier in ihrer Heimatstadt Düsseldorf hat die Kuratorin Isabelle Malz, auch in enger Zusammenarbeit mit der ganzen Familie, eine stringente Erzählung geschaffen. Diese zeigt, auf welch breiter Basis die gezeigte Kunst steht. Besser kann man ein Heimspiel kaum nutzen.