Das Werk ist nicht mehr zu sehen, die Debatte ist deshalb aber nicht beendet: Eine heftig kritisierte Installation auf der Documenta Fifteen in Kassel wurde erst verhüllt und sollte noch am Dienstagabend abgebaut werden. Nun werden die Rufe nach einer Aufarbeitung des Eklats immer lauter.
Die großflächige Banner-Installation "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi zeigt unter anderem einen Soldaten mit Schweinsgesicht. Er trägt ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift "Mossad" - die Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Nach heftiger öffentlicher Kritik wurde es am Montag zunächst mit einem schwarzen Tuch verhängt. Am Dienstag verkündete Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), dass das Banner entfernt wird.
"Ich bin wütend, ich bin enttäuscht. Denn die Stadt Kassel und ich als Oberbürgermeister, wir fühlen uns beschämt", sagte Geselle. "Es ist etwas passiert, was nicht hätte passieren dürfen." Die Installation weise einen eindeutigen antisemitischen Zusammenhang auf. Dem kuratierenden Kollektiv Ruangrupa war schon seit Monaten Antisemitismus vorgeworfen worden. Die Gruppe habe seit Beginn der Debatte aber immer versichert, dass Antisemitismus, Rassismus oder Gewalt keinen Platz auf der Documenta haben würden, betonte Geselle. "In diesem einen Fall sind sie ihrer Verantwortung ganz offensichtlich nicht gerecht geworden."
Den Abbau hatte unter anderem der Förderkreis "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" gefordert. "Die Verantwortlichen müssen dafür Sorge tragen, dass aufgearbeitet wird, wie ein solches Bild überhaupt aufgehangen werden konnte", sagte die Vorsitzende des Förderkreises Lea Rosh am Dienstag. Sie sprach in Bezug auf die Documenta von "Antisemitismus mit langer Ansage". Seit Monaten seien die Verantwortlichen aufgefordert, "den sich ankündigenden Antisemitismus auf der Documenta Fifteen zu verhindern. Genauso lange wird beschwichtigt, ignoriert und wegmoderiert."
Aufruf zum Dialog
Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hatte sich für die Entfernung der umstrittenen Banner-Installation ausgesprochen. Das Werk weise eindeutig antisemitische Bildelemente auf, sagte sie am Dienstag in Berlin. Die bloße Verhüllung und die Erklärung des Künstlerkollektivs Taring Padi dazu seien inakzeptabel. Zudem müsse geklärt werden, wie es zu der Installation dieses Bildes überhaupt haben kommen können. Die Verantwortlichen müssten weiterhin sicherstellen, dass auf der Ausstellung in Kassel nicht weitere "eindeutig antisemitische Bildelemente" gezeigt würden.
Das Internationale Auschwitz Komitee rief zum Dialog mit den Künstlern auf. "Es wird höchste Zeit, im Rahmen dieser Documenta ein Gespräch zu beginnen, die Künstler zu hören, aus welcher Weltsicht diese Bilder so entstanden sind und seitens der Documenta öffentlich zu erklären, warum diese Bilder hier auf Widerstand und Ablehnung stoßen", erklärte Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, am Dienstag.
Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) sieht durch den Eklat schwerwiegende Auswirkungen. "Das Kunstwerk enthält antisemitische Chiffren, von denen Jüdinnen und Juden sich zurecht verletzt fühlen", erklärte Dorn. "Der bereits entstandene Schaden ist nicht zu relativieren", sagte Dorn am Dienstag. "Im Gegenteil, wir müssen aufarbeiten, wie es bei der Documenta geschehen konnte, dass eine solche Bildsprache öffentlich gezeigt wurde."
"Sas hätte nicht passieren dürfen"
Das Banner war erst installiert worden, nachdem viele Journalisten und Fachbesucher die Documenta schon vorbesichtigt hatten - den Veranstaltern zufolge am vergangenen Freitagnachmittag. Der angegebene Grund für die Verspätung: notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von Lagerschäden. Das Werk wurde nicht für die Documenta Fifteen angefertigt, sondern war bereits 2002 erstmals auf dem South Australia Art Festival in Adelaide zu sehen.
Die Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schormann, entschuldigte sich am Dienstag. Es sei versichert worden, dass auf der Documenta Fifteen keine antisemitischen Inhalte zu sehen sein würden. "Dieses Versprechen haben wir leider nicht gehalten. Und das hätte nicht passieren dürfen", sagte sie dem ZDF und dem Hessischen Rundfunk (hr). "Antisemitische Darstellungen dürfen in Deutschland, auch in einer weltweit ausgerichteten Kunstschau keinen Platz haben. Dies gilt ausdrücklich auch bei allem Verständnis für die Belange des Globalen Südens und die dort verwendete Bildsprache." Mit Respekt für die Unterschiedlichkeit der kulturellen Erfahrungsräume werde der begonnene Dialog weitergeführt.