Haute-Couture-Schauen ohne Publikum - in der Corona-Krise muss sich die Pariser Modewelt neu erfinden. Zu Chanel, dem einstigen Haus von Modezar Karl Lagerfeld, durften unlängst nur ein paar handverlesene Stars kommen, unter ihnen Marion Cotillard und Vanessa Paradis. Alle anderen Gäste mussten die Präsentation am Bildschirm betrachten. Hätte der vor rund zwei Jahren verstorbene Stardesigner Lagerfeld auch eine Show ohne Zuschauer gemacht? "Das wäre für Karl nicht unvorstellbar gewesen", antwortet Model Baptiste Giabiconi, der dem "Kaiser" lange nahestand. Sein autobiografisches Buch mit Erinnerungen an Lagerfeld ist am Montag auf Deutsch erschienen. "Karl war ein Mann, der sich den Situationen stellte. Er hätte es gemacht. Das war ein aufrechter Mann."
Lagerfeld starb am 19. Februar 2019 in Neuilly vor den Toren von Paris. In der Modekapitale galt der gebürtige Hamburger als "monstre sacré", als Kultfigur. Sonnenbrille, weißgepuderter Zopf - das waren seine Markenzeichen. Wer sich hinter dieser Fassade verbarg, blieb oft unklar. Bereits im vergangenen Jahr veröffentlichte Giabiconi in Frankreich sein emotional gefärbtes Erinnerungsbuch, nun kommt die deutsche Übersetzung mit dem Titel "Karl und ich" heraus.
Corona-Lockdown, Ausgangsbeschränkungen, Home-Office - in Krisenzeiten wurden Jogginghosen populär, über die sich Lagerfeld mokierte. Der Modepapst hielt stets auf Stil, sagte Giabiconi der Deutschen Presse-Agentur in Paris. "Er ist immer perfekt aus dem Haus gegangen - schöne Anzüge, hoher Hemdkragen, gut frisiert." Keine Jogginghosen also. "Dafür trug er sehr lange Nachthemden, um sich zu entspannen." Der 31-jährige Autor zeigt sich aufgeschlossen: "Ich kann verstehen, dass Leute nicht unbedingt einen Anzug tragen wollen, wenn sie zu Hause arbeiten."
Verbunden durch ein Haustier
Der aus der Gegend von Marseille stammende Giabiconi berichtet in dem Buch, wie er 2008 als junger Mann von dem damaligen Kreativdirektor von Chanel entdeckt wurde. Daraus entwickelte sich eine jahrelange Freundschaft. Der "schöne Junge" und der alternde Botschafter des Pariser Chics - darüber wurde häufig spekuliert. Man darf annehmen, dass die Beziehung platonisch war. Das männliche Model posierte aber auch für Nacktfotos.
Verbunden waren der Dandy und seine Muse über ein Haustier, das später Weltruhm erlangte: Choupette, die Birma-Katze. "Jedes Mal, wenn ich sie sehe, sehe ich auch einen Teil von Karl", meint Giabiconi im singenden Tonfall des französischen Südens. Nach dem Tod seines Mentors übernahm dessen Gouvernante Françoise Verantwortung für die Edelkatze, der es gut gehe. "Es ist immer noch Françoise, die sich um Choupette kümmert, wie es der Wille von Karl war". Baptiste, wie er von Lagerfeld genannt wurde, war erster Besitzer von Choupette. Später schenkte er das Haustier dem "Kaiser" - denn dieser wollte es nicht mehr hergeben.
Der Herrscher der Mode als Mensch mit Gefühlen - eine ungewohnte Perspektive. "Er war witzig, umgänglich, immer aufmerksam und großzügig", schreibt Giabiconi. In Talkshows oder Interviews sah das auch mal anders aus, da nahm Lagerfeld häufig kein Blatt vor den Mund. So zog er einmal über die französische Variante der #MeToo-Bewegung her oder kritisierte Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik.
Die Ikone lebt weiter
Der langjährige Kreativdirektor von Chanel war bis zuletzt ein Arbeitstier, fotografierte, plante Bücher, kümmerte sich um zehn Sachen gleichzeitig. Das Rätsel über Lagerfelds Alter wird nicht gelöst - er habe das Thema nie angesprochen, so Giabiconi. Lagerfeld war als Sohn eines Dosenmilch-Fabrikanten zur Welt gekommen - nach eigenen Angaben im September 1935, womit er 83 Jahre alt geworden wäre. Laut seiner französischen Biografin Raphaëlle Bacqué starb er 85-jährig.
Giabiconi, der sich auch um eine Agentur für junge Talente kümmert, ist nach eigenem Bekunden "der Erste im Testament von Karl Lagerfeld". Er macht aber deutlich, dass es noch Zeit braucht: "Derzeit sind viele Menschen dabei, die Erbschaft von Karl zu begutachten. Ich bin nicht alleine", resümiert er. "Wir warten darauf, dass die Rechtsanwälte und die Experten ihre Arbeit beenden."
Ideen für die Zukunft gebe es durchaus, erzählt Giabiconi: "Eine Stiftung Karl Lagerfeld wäre angebracht für die Nachfolge von Karl. Ein Karl-Lagerfeld-Preis könnte höchst interessant sein." Falls es dazu kommen sollte, wäre eine berühmte Devise der Mode-Ikone ("Es fängt mit mir an, und es hört mit mir wieder auf") zumindest teilweise widerlegt.