Jahresrückblick

Die Clubhouse-Ruine

Wer hat das Start-Icon der Clubhouse-App noch auf seinem iPhone?
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Wer hat das Start-Icon der Clubhouse-App noch auf seinem iPhone?

Anfang des Jahres diskutierte die Kunstwelt in der Audio-Talk-App Clubhouse gegen den Lockdown-Blues an. Von dem Hype ist allerdings wenig geblieben

Ende Januar waren die endlosen Weihnachtsferien endlich vorbei, und wir hatten abends plötzlich wieder Termine. Keine Eröffnungen zwar, keine Performances, keine Galeriendinner. Aber immerhin eine Zusammenkunft von Leuten, mit denen wir lange nicht mehr gesprochen hatten. Im November 2020 nämlich war der Kunstbetrieb in den erneuten Lockdown gegangen, erst die Museen, Mitte Dezember dann auch die Galerien. Und jetzt organisierten sich Künstler, Museumsdirektorinnen, Kuratoreninnen und Kunstjournalisten auf dieser neuen Audio-App, die zwar schon im September 2020 gestartet war, die sich nun aber viele herunterluden: Clubhouse.

Auf Clubhouse können die Userinnen und User "Gesprächsräume" erstellen und Hörerinnen und Hörer zu diesen Talk-Events einladen - und dann, vielleicht noch wichtiger: mitdiskutieren lassen. Die Unterscheidung zwischen Publikum und Panel wird dadurch fließend, was die App von Radio oder Podcasts unterscheidet. Wer zuhört, ist bei Clubhouse immer sichtbar. So kann es auch passieren, dass man unerwartet aufs Podium gebeten wird, um die Zukunft von Kunstmessen zu diskutieren, wenn man doch gerade in der Badewanne liegt oder schon zwei Homeoffice-Feierabendbiere intus hat. 

Was der Theoretiker Vilém Flusser 1989 für unser Zuhause prophezeite, wurde mit Clubhouse greifbar: "Das heile Haus mit Dach, Mauer, Fenster und Tür gibt es nur noch in Märchenbüchern. Materielle und immaterielle Kabel haben es wie einen Emmentaler durchlöchert: auf dem Dach die Antenne, durch die Mauer der Telephondraht, statt Fenster das Fernsehen, und statt Tür die Garage mit dem Auto. Das heile Haus wurde zur Ruine, durch deren Risse der Wind der Kommunikation bläst."

Doch im Lockdownwinter 2021 tat ein bisschen Durchzug gut. Die Euphorie, die Clubhouse in Deutschland auslöste, hatte gerade auch mit der Mitmach-Idee zu tun, die an Telefonkonferenz erinnert: Faszinierend war vor allem, dass es die üblichen redaktionellen Eingriffe nicht gab und manche Gespräche wunderbar aus dem Ruder liefen. Plötzlich trafen sich hier Politikerinnen und Wähler, Journalisten und Zeitungsleserinnen, Abou-Chaker-Mitglieder und der "Spiegel TV"-Reporter Claas Meyer-Heuer, der seit Jahren über die Großfamilie berichtet. Oder eben – auch auf Initiative von Monopol – Museumsleitungen mit ihrem Publikum. Und alle durften mal was sagen.

NFT-Hype traf Clubhouse-Hype

Was die Kunstwelt angeht, war Clubhouse indes vor allem der Nebeneffekt eines größeren Hypes: In der App wurde endlos diskutiert, was NFTs sind, wie sie die digitale Kunst verändern und ob sie den Kunstmarkt demokratisieren können. Mehr als einmal wurde in einem Panel die Ansicht vertreten, dass NFTs Galerien und Kunstmessen überflüssig machen würden (eine Vorhersage, die, mit ein wenig Abstand betrachtet, übertrieben scheint). Und ein bisschen verschwamm dann auch der NFT- mit dem Clubhouse-Kult: So wie die Non-Fungible Tokens den Vermittler Kunsthändler ausschalten, sprengt die Mitdiskutier-Plattform Clubhouse das übliche Sender-Empfänger-Schema, so die Hoffnung. 

Nur hat sich bei Clubhouse dieses Versprechen bislang nicht erfüllt. Spätestens im Frühjahr verstreute sich die Clubhouse-Gemeinde. Irgendwann war selbst das Mysterium NFT ausdiskutiert, Menschen gingen wieder auf echte Eröffnungen und von fleißigen Clubhouse-Pionieren ins Leben gerufene Kunst-Diskussionsreihen wie "Extrem dumme Fragen an ..." wurden in Podcasts umgewandelt.

Auch die Einführung der App auf Android-Geräten (zunächst war sie nur fürs iPhone verfügbar) konnte den Schwund von Kunst-Panels nicht stoppen. Zwar sei die Zahl der täglich in Deutschland erstellten Gesprächsräume nach Angaben des US-Unternehmen von 300.000 im Mai auf mehr als 700.000 im Herbst gestiegen. Eine von ARD und ZDF veröffentlichte Umfrage im März und April kam jedoch zu einem verheerenden Urteil: "Was wie ein substanzieller Hype aussah, führt in der Befragung der ARD/ZDF-Onlinestudie zu dem Ergebnis, dass Clubhouse bisher keine statistisch erfassbaren täglichen Nutzerinnen oder Nutzer finden konnte und bei der Nutzung mindestens einmal in der Woche nur in der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen auf zwei Prozent kommt." In der Gesamtheit sei auch die mindestens wöchentliche Reichweite gleich null. 

Nur noch Kommunikationslüftchen

Das Clubhouse gleicht jetzt selbst einer Ruine, nur dass bloß noch Kommunikationslüftchen statt Winde hindurchwehen. Von den abendlichen Lagerfeuer-Gesprächen des Kunstbetriebs mit all ihren waghalsigen Prophezeiungen und steilen Thesen bleiben indes vor allem drei Erkenntnisse in Erinnerung: 

1. Wenn Redezeit unbegrenzt verfügbar ist, setzen sich doch wieder vor allem Männer durch.

2. In sozialen Medien freuen sich am Ende vor allem die Plattformen über lohnfrei produzierte Inhalte und freiwillig zur Verfügung gestellte Daten.

3. Die Struktur des Kunstbetriebs ist überraschend robust und lässt sich nicht so ohne weiteres durch technische Disruptionen wie Clubhouse oder NFTs irritieren. 

Ob der dritte Punkt eine gute oder schlechte Nachricht ist, wäre noch zu diskutieren. Vielleicht sehen wir uns demnächst zu diesem Thema auf einem Panel in einem Museum.