Während ein verschwundener, dann neu aufgestellter, dann zersägter und wieder zusammengesetzter Riesenpenis aus Holz auf einem Berg im Allgäu zuverlässig für Aufsehen sorgt, wird nun in Brasilien über eine 33 Meter große Land-Art-Vulva in einem Kunstpark nahe der Küstenstadt Recife im Bundesstaat Pernambuco diskutiert. Die Künstlerin Juliana Notari hat dort während einer Residency ein ausladendes knallrotes Geschlechtsorgan ausheben lassen - in Handarbeit, wie sie auf Facebook betont, da die Modellierung der filigranen Formen mit dem Bagger nicht möglich gewesen sei. Das Relief im Boden wurde mit Stahlbeton und Kunstharz überzogen und leuchtet nun unübersehbar im grünen Gras.
Die Land Art, bei der Kunstwerke in und aus der Landschaft entstehen und teilweise große Erdmassen bewegt werden, ist in der Kunstgeschichte der Nachkriegszeit überwiegend eine Männerdomäne. Juliana Notari kehrt diesen Zustand nun um und sieht ihre Installation "Diva", die in Kooperation mit der Organisation Usina de Arte und dem Museum Mamam produziert wurde, als Monument für Geschlechtergerechtigkeit. Obwohl die Vulva in der zeitgenössischen Kunst gerade sehr präsent ist und in London inzwischen ein eigenes Museum hat, sind Abbildungen des weiblichen Genitals in den meisten Gesellschaften noch weit weniger selbstverständlich als die des männlichen Pendants - ein Tabu, an dem Künstlerinnen bewusst mit ihren Werken rühren.
Juliana Notaris Facebook-Beitrag, in dem sie ihre "Diva" vorstellt, wurde inzwischen (Stand Mittwoch früh) über 25.000 mal kommentiert. Neben bewundernden und unterstützenden Kommentaren findet sich darunter auch eine Flut von Anfeindungen und Beleidigungen. Besonders für Anhänger des rechtspopulistischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro ist die Kunst-Vulva ein Skandal. Bolsonaro hat sich wiederholt abfällig bis feindselig gegenüber feministischem und queerem Aktivismus geäußert und setzt sich unter anderem dafür ein, Gender- und LGBTQI*-Themen aus den Schulen zu verbannen.
Die prominente Vulva von Juliana Notari ist also auch ein dezidiert politisches Statement, das sich der Haltung von Bolsonaro und seinen Anhängern entgegenstellt. Auch andere brasilianische Künstlerinnen und Künstler nutzen ihre Werke, um den weiblichen und queeren Körpern Sichtbarkeit zu geben, denen die ultrakonservative Regierung die Plattform gern verweigern würde. So zeigte das Künstlerduo Wagner/De Burca in ihrem Video "Swinguerra" auf der Venedig-Biennale 2019 die queere brasilianische Tanzkultur.
Laut ihrem Statement will Juliana Notari mit ihrer feministischen Land Art auch eine Koexistenz zwischen Natur und Kultur ermöglichen, die jegliche Form von Leben ehrt. Schon Gustave Courbet zeigte in seinem "Ursprung der Welt" die Vulva als mystischen Ur-Ort, das Gemälde war jedoch so skandalös, dass es jahrzehntelang nur heimlich gezeigt werden konnte. Die brasilianische "Diva" ist nun in ihren riesigen Dimension weithin auf dem grünen Hügel sichtbar. Keine Scham, nirgends.
Ein Interview zur Krise der Kultur unter der Präsidentschaft Jair Bolsonaros lesen Sie hier.