Am 23. Januar wird Jonathan Meese 50, und das ist seltsam. Einerseits ist mit ihm jetzt auch eine ganze Generation von deutschen Malern ins gesetztere Alter eingetreten, die nach der Wende im Ausland große Erfolge feierte - als Abgesandte des jungen, wiedervereinigten Berlin, des neuen Deutschland. Aber so eigentartig alterslos wie Meese ist kein anderer – kindlich als argloser Enthusiast, erschreckend als furioser Wüterich.
Er hat sich im Atelier auf den Geburtstag vorbereitet. Es liegen bemalte Leinwände vor ihm auf dem Boden. Alles Selbstporträts, sagt er, und signiert sie mit der Farbflasche. Seine Mutter ist auch da, sie soll mit ihm gemeinsam ein Schlachtenbild malen, oder: Schlachtbild. "Du hast mir die Kunst gelehrt – also Spielen, spielen, spielen", sagt Meese. Machen, machen, machen, darauf komme es an, sagt Brigitte Meese. Alles andere komme danach.
Eigentlich sollte Jonathan Meese VWL studieren, aber am Tag der ersten Prüfung ging er und kam nie wieder. Genauso war es im Tanzkurs, verriet er 2018 in einem Interview mit der "Zeit". In den Tanzstunden lief alles spitze, zur Prüfung erschien er nicht. Er wollte sich einfach nicht unter Druck setzen lassen. Er sei sehr friedlich gewesen, ergänzte seine Mutter Brigitte, die mit zum Interviewtermin erschienen war. Er habe in seinem Zimmer gesessen, gelesen, Platten und Radio gehört. "Er hat ja nun nicht groß gestört."
Die "Ameise der Kunst" als totalitärer Herrscher
Das sollte sich ändern. Der freundliche Junge mit der bemerkenswerten Biografie (geboren 1970 in Tokio, im Alter von drei Jahren nach Hamburg umgezogen, sprach zunächst nur Japanisch) erregte ab Ende der 1990er-Jahre serienmäßig Aufsehen, vor allem mit seinen Performances, in denen er dröhnende Verherrlichung der Kunst in die Menge rief, Eiserne Kreuze malte, sich mit Fantasieuniformen als totalitärer Herrscher inszenierte und sich selbst zur "Ameise der Kunst" erklärte. Besonders sein Heraufbeschwören deutscher Mythen regte die Menschen zuverlässig auf, sein Reizwörter-Tourette wurde ihm oft als reine Provokation ausgelegt.
Es wäre verwerflich oder lächerlich, wenn es ihm dabei in Wahrheit um nichts ginge. Doch Jonathan Meese geht es um alles. Das vermeintlich Zwanghafte ist eigentlich Ausdruck allergrößter Freiheit. Meese kämpft für die Kunstfreiheit, die es ihm sogar ermöglicht, straffrei den Hitlergruß zu zeigen.
Er hat diesen mäandernden Sprachwahnsinn erfunden, der durch Umverteilung von Bedeutung in die tieferen Schichten der Verständigung vordringt. Meeses Assoziationsräume gehen dahin, wo Scham, Peinlichkeit, Bestürzung oder Schuld angesiedelt sind. Unangenehm, aber kraftvoll. Und um diese Kraft geht es.
Für Meeses Radikalrepertoire sieht es gegenwärtig nicht gut aus
Dass er ausgerechnet damit die Kunst von jeder Art von Politik, Diskurs oder Konsens befreien will, läuft aktuellen Diskussionen ziemlich zuwider. "Die Kunst ist nicht der Künstler", sagt er. Das aber zweifeln heute immer mehr Menschen an. Für Meeses Radikalrepertoire sieht es gegenwärtig nicht gut aus. Nach ihm sind andere auf die Idee gekommen, auf der politischen Bühne mit sprachlichen Provokationen und unzulässigen Symbolen zu hantieren und von der Gleichschaltung der Kultur zu sprechen. Doch Meese ging es nie um politische Inhalte oder strategische Verschiebung der Grenzen des Sagbaren. Seine Zielsetzung ist nicht inhaltlich. Er braucht die Drastik der Zeichen, um eine schockartige Intensivierung, größtmögliche Reizung und Verdichtung herzustellen. Zumutung, Verausgabung, Anti-Konsens, Übertretung. Diese Intensität ist sein eigentliches künstlerisches Material.
Politischer Inhalt, Meinung, Motive sind für ihn dagegen der Tod der Kunst, eine Bedrohung dieser für ihn größten existierenden Macht. "Meese ist kein demokratieverseuchter Unterhaltungszombie", schreibt er. Radikal unpolitisch, radikal für die Kunst, die er über alles stellt. Auch über sich selbst.