Was wir heute gewohnt sind, war in den 1970er-Jahren noch ein Kunstgriff: farbig zu fotografieren. Joel Sternfeld gehört zu den wichtigsten Vertretern der "New Colour Photography". Während bunte Bilder bis dato vor allem mit Werbung und Mode assoziiert wurden, begann Sternfeld vor über 50 Jahren, als Künstler mit der Ästhetik zu arbeiten.
Die Ausstellung "American Prospects", die gerade in der Wiener Albertina zu sehen ist, zeigt Werke, die zwischen 1978 und 1986 bei mehreren ausgedehnten Reisen durch die USA entstanden sind. Für diese Roadtrips tauschte Sternfeld, der bis dahin eher schnappschusshaft mit handlichen Kameras in seiner Heimatstadt New York gearbeitet hatte, seine Leica gegen einen schweren Großformat-Apparat.
Pro Tag machte Sternfeld nur ein oder zwei Aufnahmen, was auch an den hohen Preisen für Farbfilme und die Entwicklung der Bilder lag. Umso genauer sind die Kompositionen. Sie bilden einen Querschnitt durch die US-Gesellschaft der späten 1970er- und 1980er-Jahre, zuweilen muten sie wie Standbilder aus Filmen an, so perfekt eingefangen wirken die Momente. Zu sehen sind trainierende Footballspieler, ein auf einer Motorhauben sitzender Teenager, ein Vater mit Kind, Schwimmbäder und Landstriche verschiedener Bundesstaaten.
Angeln neben dem Kriegsschiff
Sternfelds dokumentarisch-künstlerische Fotos nehmen die Betrachter mit auf seine Reise durch die Vereinigten Staaten und deren Bevölkerung. Viele Werke machen das Spannungsfeld sichtbar, in dem die Menschen im Verhältnis zur Natur leben, die zunehmend zum Abbau von Rohstoffen oder für Fabrikgelände ungeformt wurde.
Das Spiel mit Perspektive macht diese Entfremdung besonders deutlich: Auf einem Bild ist eine blonde Frau in Großaufnahme zu sehen, die sich am Strand sonnt, im Hintergrund steigen die Rauchschwaden aus Schornsteinen einer Fabrik in den Himmel. Eine andere Fotografie zeigt einen Mann, der neben einem unwirklich groß erscheinenden Kriegsschiff angelt. Joel Sternfeld bietet als Beobachter und Künstler seine Perspektive durch die Kameralinse an.
Immer wieder erstaunlich, wie oft er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, zum Beispiel 1979 bei einem in Washington entlaufenen Elefanten, der zu skurrilen Szenen führte. Im selben Jahr strandeten in Oregon Wale. Würde man USA-Bingo spielen, so würde man viele spontane Assoziationen wiederfinden: die Army, die Nasa, den Vietnamkrieg. Der Zeitrahmen, in dem die Bilder entstanden sind, zeigt fast ein Jahrzehnt amerikanischer Geschichte.
Heterogene Lebensentwürfe statt "American Way"
Bei einigen Werken macht erst der Titel die gesellschaftspolitische Dimension greifbar. In "Domestic Workers Waiting for the Bus" (Atlanta, Georgia, 1983) sind drei Menschen zu sehen, die über eine leere Straße laufen, die von penibel gepflegtem Rasen gesäumt ist. Die Bezeichnung macht deutlich, dass auf diesem Bild nicht nur drei Personen zu sehen sind, die spazieren gehen, sondern dass in der Fotografie Klassenunterschiede und Rassismus während der 1980er-Jahre sichtbar werden.
Die Personen, die Sternfeld abbildet, bleiben für die Betrachter namenlos, oft sind sie im Ganzkörper-Porträt in ihrer authentischen Umgebung zu sehen. Die Bilder, die von Bikern in Utah über Touristen im Yellowstone Nationalpark, einem Sektenmitglied in Hidalgo Country zu einer Spaziergängerin in den Beverly Hills reichen, zeigen verschiedene Milieus.
Sternfeld legt nahe, dass es nicht den einen "American Way of Life" gibt, sondern heterogene Lebensentwürfe und -realitäten. Die Ausstellung im Albertina-Museum ist sehr schlicht gestaltet, alle Bilder haben das gleiche Format, die Wände bleiben weiß, auch die dazugehörigen Texte sind knapp gehalten. Die Kuratoren Walter Moser und Astrid Mahler lassen die Fotografien, die Teil einer kapitalen Schenkung an die Albertina sind, selbst erzählen. Tatsächlich könnte man vor vielen Motiven lange verweilen und sich in die Geschichten fallen lassen, die in durchdachten Momentaufnahmen eingefroren werden.