Gropius-Bau-Direktorin Jenny Schlenzka

"Unser Publikum direkt ansprechen"

Porträt Jenny Schlenzka
Foto: Muriel Liebmann / © Gropius Bau

Porträt Jenny Schlenzka

Jenny Schlenzka ist die neue Direktorin des Berliner Gropius Baus. Hier spricht die Berlinerin über ihre Pläne, über Kinder im Museum und die Vorteile eines Hauses ohne Sammlung

Jenny Schlenzka, Ihre Antritts-Pressekonferenz war wenig konventionell: Es wurde performt, es gab Musik und Essen, es wurden Ideen für einen Kinderspielplatz vorgestellt. Wird der Gropius Bau künftig eine Art Großraum-WG für Künstlerinnen und Künstler?

Eine der Hauptideen ist, dass wir ganz eng mit Künstlerinnen und Künstlern den Gropius Bau und das Programm gestalten wollen. Als kollektive Arbeit. Die andere zentrale Aufgabe besteht für mich darin, ein noch breiteres, diverses Publikum anzusprechen. Als eine der Strategien dafür haben wir ein Programm aufgestellt, das alle Sinne anspricht, nicht nur den Sehsinn. Schmecken, Riechen, Fühlen, Musik hören, Tanzen – all das wollen wir in die Ausstellungsräume bringen. Darauf sollte die Antritts-Pressekonferenz schon einen Vorgeschmack geben. 

Sie stammen aus Berlin, haben in den letzten 20 Jahren aber am Museum of Modern Art, am PS1 und am Performance Space in New York gearbeitet. Welche Lektionen bringen Sie aus den USA mit?

An allen drei Stationen konnte ich wichtige Erfahrungen sammeln. Das MoMA verfügt über eine der bedeutendsten Kunstsammlungen der Welt. An einer solchen Rieseninstitution lernt man, Abläufe zu verstehen und warum die manchmal so kompliziert sind. Viele ambitionierte und sehr professionelle Menschen arbeiten auf engem Raum zusammen, um ihre Ideen umzusetzen. Und trotzdem herrschte immer so eine amerikanische Offenheit und Leichtigkeit, die ich sehr genossen habe. Das PS1 war ein Kontrastprogramm, die Arbeit viel experimenteller, ohne Sammlung, nur mit Künstlerinnen und Künstlern. Da musste ich für die Sunday Sessions jede Woche ein neues Programm machen und damit die Leute nach Queens locken, was immer noch ein bisschen als Randbezirk New Yorks gilt. So lernt man, schnell Entscheidungen zu treffen und auch sofort über das Publikum nachzudenken, die unterschiedlichen Zielgruppen. Am Performance Space war ich erstmals als Direktorin tätig und damit wirklich für alles verantwortlich, vom Fundraising bis zum Aufbau des Teams und des Boards.

Dort haben Sie dann als Projekt auch ein Jahr lang die Programmleitung an Künstlerinnen und Künstler abgegeben. Eine gute Erfahrung?

Ich sag immer, das war das wildeste, aufregendste und anstrengendste Jahr meines beruflichen Lebens. Der Anlass war das 40-jährige Jubiläum der Institution, und wir wollten nicht so ein Retro- und Best-of-Programm machen, sondern etwas in die Zukunft Gewandtes. Eine Künstlerin Sarah Michelson kam dann mit der Idee zu mir: Gib doch einfach die Programmhoheit und die Schlüssel an Künstlerinnen und guck, was die machen würden. 

Auch aus Ihrem Programm für den Gropius Bau spricht ein großes Vertrauen in Künstlerinnen und Künstler.

Ich habe einfach die Erfahrung gemacht, dass die besonders radikalen und transformativen Ideen von Künstlerinnen und Künstlern kommen. Das habe ich auch gelernt in diesen fast 20 Jahren Berufserfahrung: dass Institutionen die Künstlerinnen und Künstler eigentlich immer so ein bisschen in Schach halten in ihrer Kreativität. Dafür gibt es gute Gründe, aber ich glaube, manchmal ist es übertrieben – man kann den Künstler*innen viel mehr vertrauen.

Was für transformative Ideen waren das, die Ihnen begegnet sind in der Arbeit?

Zum Beispiel diese Idee, die Programmleitung an Künstler*innen abzugeben. Künstler*innen bringen eine gewisse Leichtigkeit, ein tiefes Vertrauen in den Prozess und ein Vertrauen ins Publikum. Anderes Beispiel: Seit einiger Zeit macht im Performance Space eine Künstlerin Monica Mirabilé jeden Sonntag die Theaterräume frei zugänglich. Choreografen oder Performer nutzen die Räume und geben Workshops für das Publikum. Daraus ist mittlerweile eine richtige Community entstanden. Eine ganz einfache Idee mit großem Effekt. 

Am Gropius Bau sollen die Künstlerstipendien künftig ausgebaut werden. Was genau ist geplant?

Schon unter meiner Vorgängerin Stephanie Rosenthal gab es immer eine*n Artist in Residence, der oder die ein Jahr lang ein Studio hatte. Das wollen wir nach und nach ausweiten auf die Räume im zweiten Obergeschoss, die bislang als Ausstellungsräume genutzt wurden.

Das gesamte Stockwerk wird von Künstlerinnen und Künstlern bezogen?

Nein, hier sind ja auch die Büros. Mein Traum ist, dass sich die Büros und die Ateliers mischen, dass die Künstlerinnen und das Team sich so auch ständig über den Weg laufen und es einen Austausch gibt, von dieser Ebene hin zu den Ausstellungen und Projekten im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss.

Kerstin Brätsch arbeitet als erste Artist in Residence an einer Rauminstallation für Kinder. Ist das nur ein Projekt, oder wollen Sie das Haus langfristig für Kinder öffnen?

Kerstins Projekt ist jetzt eine Art Pilot. Pilot deshalb, weil wir noch nie in der Form mit Kindern und Familien gearbeitet haben. Nach dem Vorbild von "The Model" (1968) – einem Abenteuerspielplatz des Künstlers Palle Nielsen am Moderna Museet in Stockholm – entwirft sie eine permanente Rauminstallation für Kinder, in der mehr erlaubt ist als verboten. Wir arbeiten dafür mit sogenannten Play workers zusammen, die dafür sorgen, dass die Kinder selbstbestimmt spielen können. Es muss ein Raum sein, wo Kinder sofort spüren: Hier darf ich machen, was ich will. Es gibt ja bereits viele Kinderabteilungen in Museen, aber das ist oft sehr didaktisch. Ich bin überzeugt: Eine Sache, die mit Kunst schlecht zusammengeht, ist Didaktik. Man muss Kindern nicht unbedingt beibringen, wie sie Kunst zu erleben haben. Denn Kinder sind ja per se das beste Publikum. Sie reagieren sofort auf alles.

Ihre ersten Ausstellungen widmen Sie Rirkrit Tiravanija und Yoko Ono. Wird Performancekunst künftig eine zentrale Rolle am Gropius Bau spielen?

Beim Begriff Performance Art denken viele Menschen an eine Theater- oder Tanzaufführung, oder an eine extreme körperliche Darbietung. Ich spreche eigentlich lieber von performativer Kunst, die die Gattungsgrenzen überschreitet. Das kann auch Malerei sein, wie bei Kerstin Brätsch, es bezieht Performances, Kunstobjekte, oder auch Outreach- und Vermittlungsangebote mit ein. Dass das alles in einer Ausstellung zusammenkommen kann – dafür ist Yoko Ono sicherlich eine Visionärin. Ihre Kunst ist intellektuell und konzeptionell, aber auch sehr sinnlich und sofort zugänglich auch für Menschen, die nicht unbedingt Expert*innen in Kunstgeschichte sind. Die Frage nach dem Performativen betrifft für mich eher den Status des Kunstobjektes. Und darum geht es auch Rirkrit Tiravanija. Er kam als junger Künstler aus Thailand ins Art Institute of Chicago und sah dort buddhistische Schüsseln und Buddha-Figuren hinter Vitrinenglas – und hat das überhaupt nicht einordnen können. Aufgrund seines thailändischen Backgrounds kannte er solche Objekte im alltäglichen Gebrauch, aber eben nicht als quasi "tote" Ausstellungsobjekte. Daher entstand bei ihm die Idee, die Objekte im Gebrauch zu zeigen und fing an, zum Beispiel in Ausstellungsräumen zu kochen. Diese Fragen führen mitten hinein in die Diskussionen um das koloniale Erbe und den Umgang mit rituellen, spirituellen Objekten.

Wo positionieren Sie den Gropius Bau in Abgrenzung zu anderen zeitgenössischen Ausstellungshäusern wie der Neuen Nationalgalerie oder dem Hamburger Bahnhof in Berlin?

Wenn ein Haus eine Sammlung hat, ist das eine großartige Sache – aber es setzt die Arbeit auf eine bestimmte Schiene, man bezieht sich immer auch auf die eigene Sammlung, sie braucht viel Zeit und Geld. Im Unterschied zur Neuen Nationalgalerie und dem Hamburger Bahnhof haben wir hier keine Sammlung, und ich glaube, dass wir dadurch vielleicht größere Freiheiten haben, mehr Möglichkeiten zu experimentieren. Statt einer Sammlung haben wir zum Beispiel Künstler*innenateliers – also statt Objekten Prozesse, kleine Fabriken, in denen Kunst und Ideen entstehen und sich weiter entwickeln. Dadurch, dass wir keine Sammlung haben, sind wir auch nicht so gebunden an klassische Formen der kunsthistorischen Vermittlung. Wir können unser Publikum direkt ansprechen und gemeinsam erfahren, warum etwas jetzt gerade relevant ist und was das mit unserem Leben zu tun hat.