Normalerweise ist die Hierarchie der Blickrichtungen am Hudson River an der US-Ostküste ziemlich eindeutig. Von der ehemaligen Industriestadt Jersey City am Westufer des Flusses schaut man meist bewundernd ostwärts auf die glitzernde Skyline von Manhattan. Mit der fortschreitenden Erschließung von Jersey als nicht ganz so schlaf- und ruhelose Wohn- und Arbeitsstätte lohnt sich jedoch zunehmend auch die umgekehrte Richtung - und seit dieser Woche kann man von New York aus sogar die neue Skulptur des spanischen Künstlers Jaume Plensa sehen.
Das 25 Meter hohe Werk "Water's Soul" ist einer der riesigen menschlichen Köpfe aus Kunstharz, Plexiglas und Marmorstaub, mit denen Plensa bekannt wurde. Durch eine leichte perspektivische Verzerrung wirken seine Skulpturen eher wie Zeichnungen im Raum als wie reale Objekte. Seine neueste Arbeit zeigt eine junge Frau, die den Zeigefinger an die Lippen legt und ihr Publikum zu einem Moment des Innehaltens aufzufordern scheint. Der Blick der Figur geht hinaus aufs Wasser des Hudson River, der jahrhundertelang vor allem als Handelsstraße für Schiffe und Eingangstor nach New York City aufgefasst wurde, nun aber immer mehr als eigenes Ökosystem in den Fokus gerät.
"Water’s Soul fordert uns zu einem Moment der Stille auf", sagt Jaume Plensa über sein Werk. "Es fordert uns auf, seine Stimme zu hören, die über den Ursprung der Welt und ihre Erinnerung spricht. Wasser ist ein großartiger öffentlicher Raum - es gehört niemandem, und gleichzeitig gehört es uns allen."
Dass die Skulptur Teil eines ambitionierten Immobilien-Entwicklungsprojekt am Hudson Pier ist, passt dann allerdings nicht so ganz in Plensas universalistischen Ökologie-Ansatz. Vielleicht schweigen der Kopf und sein Schöpfer darüber auch lieber.