In Ensors Stillleben findet man Blumen, Früchte, Muscheln, Fische und immer wieder "Chinoiserien", in denen Stoffe und Fächer in schimmernden Farben glänzen. Sie ermöglichten ihm, seine Technik zu perfektionieren und mit Licht zu arbeiten. Ende der 1880er-Jahre hellte sich seine Farbpalette auf, der Stil entwickelte sich weiter, Details kamen mehr zur Geltung. Zu sehen sind die opulenten Motive jetzt im Mu.Zee in Ostende, in dem Seebad, in dem er den Großteil seines Lebens verbracht hat. Die Schau "Rose, Rose, Rose à mes yeux" setzt den ersten Akzent im Jubiläumsjahr aus Anlass des 75. Todestags. 2024 widmen vor allem Antwerpen, Brüssel und Ostende dem Großmeister der Groteske Ausstellungen und Aktionen.
Allein war Ensor mit seinem Interesse für das längst diskreditierte Genre nicht. Spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fristete es ein dekoratives Dasein in bürgerlichen Salons. Üppige Blumenbouquets verkauften sich prächtig, der metaphorische Gehalt oder gar das Herausfordern von Sehgewohnheiten waren weniger gefragt. Das kuratorische Konzept von Bart Verschaffel und Sabine Taevernier verfolgt entlang von 50 Gemälden die Entwicklung des Stilllebens in Ensors Werk, von frühen gediegenen Beispielen bis hin zu den phantastischen Variationen seiner letzten Schaffensperiode.
Schon als Kind interessierte er sich für exotische Szenerien, was auch daran lag, dass seine Mutter Maria Catharina Haegheman einen Laden für Kuriositäten, Scherzartikel, Masken und Karnevalskostüme mitten in Ostende betrieb. Während Ensor eine aufgehellte Palette bevorzugte, wollten nicht wenige seiner Zeitgenossen mit einer dunkel gehaltenen Flut von Schalen, Krustentieren, Vögeln und Wild überwältigen. Zu sehen gibt es auch bei ihm Blumen, Schmuck oder Beispiele für asiatisches Kunstgewerbe. Doch fühlt man sich von Ensors Auswahl nie bedrängt. Vielleicht, weil sie eine Bühne herstellt, auf der auch existenzielle Aspekte eine Rolle spielen.
Angriff auf das Genre
Wenn er etwa den Kopf eines Rochens auf ein Stück Holz setzt, schaut dieser wie eine Maske aus. Dann konfrontiert er den Fisch mit einer Muschel, deren Inneres rosa ist. Dank der sexuellen Konnotation erhält der tote Rochen seine Lebendigkeit zurück. Der Vergleich mit rund 100 Bildern, darunter auch einige umwerfende Werke von vergessenen Malerinnen wie Alice Ronner, Berthe Art, Louise de Hem und Georgette Meunier, lohnt sich, auch wenn die Architektur aus Holzwänden und kaum abgedunkeltem Licht den Charme eines dicht gehängten Baumarkts verbreitet.
Die Tradition des 19. Jahrhunderts von David De Noter bis Frans Mortelmans gruppiert sich um das unbestrittene Zentrum Ensor herum. Durchblicke laden zum Vergleich von Gemälden ein. Es ist verblüffend zu sehen, dass damals erfolgreiche Maler wie Jean Robie oder Hubert Bellis ähnliche Arrangements aufgriffen, Ensors Intensität aber nie erreichten. Andere versuchten sich genau wie er an unerwarteten Bildkonstruktionen. Dazu gehören Individualisten wie Léon Spilliaert, Rik Wouters oder Gustave Van de Woestyne.
Am Ende des Parcours trifft man auf Positionen, die den Bildraum des "Theaters der Dinge" so weit erweitern, dass er als solcher kaum noch zu erkennen ist, etwa bei dem Surrealisten René Magritte, der Schuhe porträtiert, während sie eine Metamorphose zu menschlichen Füßen durchmachen. 1955 sieht man auf "Die Stimme des Absoluten" eine einzige Rose. Sie ist eingefügt zwischen die Wörter "Une" und "dans l’univers" - mehr Reduktion und Angriff auf das Genre gehen nicht.