Interview zu Polizeigewalt

"Immer mehr Menschen erkennen, dass sich etwas ändern muss"

Der Fall George Floyd wühlt auch die Kunstwelt auf. Das Walker Art Center in Minneapolis hat nun angekündigt, nicht mehr mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Ein Gespräch mit Direktorin Mary Ceruti

Am 25. Mai starb der 46-jährige George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota. Ein Polizeibeamter hatte dem Afroamerikaner minutenlang sein Knie auf den Hals gedrückt, als er in Handschellen am Boden lag und mehrmals sagte, dass er nicht atmen könne. Der Fall, der von einer Passantin gefilmt worden war, hat überall im Land zu Protesten gegen Polizeigewalt gegen Schwarze geführt, teilweise kam es zu Ausschreitungen.

Inzwischen demonstrieren weltweit Menschen, darunter viele Künstlerinnen und Künstler, gegen Rassismus. Mehrere internationale Museen und Galerien haben sich solidarisch mit der #BlackLivesMatter-Bewegung erklärt. Daran gab es jedoch auch Kritik von Aktivistinnen, da Lippenbekenntnisse aus ihrer Sicht nicht ausreichten - und es auch im Kunstsystem systemischen Rassismus gebe. Als erstes US-amerikanisches Museum hat das Walker Art Center in Minneapolis nun angekündigt, nicht mehr mit der örtlichen Polizei zusammenzuarbeiten. Ein Anruf bei Museumsdirektorin Mary Ceruti. 

Mary Ceruti, wie haben Sie die vergangenen Tage in Minneapolis erlebt?

Es waren sehr schmerzhafte und schwierige eineinhalb Wochen. Man spürt überall eine Dringlichkeit, dass es Handlungsbedarf gibt. Das Museum ist wegen der Corona-Pandemie geschlossen, und in unserem Team arbeiten wir alle von Hause aus, deshalb konnte wir nicht einfach zusammenkommen und uns so unterstützen, wie wir es ansonsten als Institution und Gemeinschaft getan hätten. Man holt die Leute auf Zoom zusammen, aber es bietet nicht dieselben Möglichkeiten, Empathie auszudrücken.

Es gibt eine lange Geschichte der Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen, nun haben Sie bekannt gegeben, dass das Walker Art Center nicht mehr mit der lokalen Polizei zusammenarbeiten will. Was ist diesmal anders?

Ich denke es sind mehrere Faktoren. Einer ist sicher die Spaltung, die wir in den vergangenen drei Jahren erlebt haben. Die Menschen erkennen, dass wir so nicht leben wollen, und vielleicht schauen sich gerade mehr Leute im Spiegel an und hinterfragen die Rolle, die sie selbst beim systemischen Rassismus spielen. Natürlich ist noch lange nicht jeder an Bord, aber erheblich mehr Menschen erkennen, dass sich etwas ändern muss.

Wer hat die Entscheidung getroffen?

Die habe ich vergangene Woche getroffen. Der Vorschlag wurde aus dem Team an mich herangetragen, als etwas, das wir sofort tun könnten und das eine Auswirkung hat. Ich gebe zu, dass es etwas gedauert hat, bis ich entschieden habe, wie wir dieses Statement öffentlich machen.

In welcher Form haben Sie mit der Polizei zusammengearbeitet?

In unserem Fall ist die Einbindung der Polizei tatsächlich sehr begrenzt. Wir engagieren Polizisten außerhalb ihres Dienstes für die Sicherheit und crowd control bei großen Veranstaltungen, das passiert nur nach Bedarf, wir haben keinen dauerhaften Vertrag mit der Polizei. Viele Museen in den USA haben nicht genug eigenes Sicherheitspersonal, um große Events zu gewährleisten. Jedes Museum regelt diese Dinge individuell, aber ich würde sagen, die Kooperation mit off-duty-officers ist nicht ungewöhnlich. In absehbarer Zeit wird es wegen der Corona-Pandemie nun aber keine großen Zusammenkünfte geben, die haben wir bis nächstes Jahr alle abgesagt.

Also ist die Aufkündigung der Zusammenarbeit ein rein symbolischer Akt?

Am Anfang war ich ein wenig skeptisch, was wir dadurch erreichen können. Ich habe viele Gespräche geführt, beispielsweise war auch unser Leiter der Security, der den direkten Kontakt zur Polizei hat, für diesen Schritt. In diesen Unterhaltungen wurde klar, dass die öffentliche Aufkündigung der Kooperation ein Mittel ist, um Druck auf die Polizeibehörde auszuüben. Am Anfang dachte ich, es sei eine rein symbolische Geste, weil wir keinen ständigen Vertrag haben und in absehbarer Zeit kein Bedarf bestehen dürfte. Aber nun glaube ich, es ist stärker als das. Es baut Druck auf, die Polizei zu reformieren, und es drückt Solidarität aus, sodass andere Institutionen dasselbe tun können und der aktivistische Effekt sich verstärkt.

In Ihrem Statement heißt es, Sie würden die Zusammenarbeit aussetzen, biss es "bedeutsame Veränderungen" bei der Polizei gebe. Wie sollte der aussehen?

Wir sind natürlich keine aktivistische oder direct-action-Institution, wir haben nur einige Beispiele gegeben, welche Veränderungen wir erwarten würden. Dazu gehört die Demilitarisierung der Ausbildung, sodass Polizeibeamte keine tödlichen Waffen gegen Bürger benutzen und sie wie Aufständische behandeln. Sie müssen für Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden. Wenn exzessive Gewalt angewendet wird oder es Anzeichen für rassistische Gesinnung und white supremacist Verhalten gibt, muss das sofort und frühzeitig geahndet werden. Wenn man sich die Akten der Polizisten anschaut, die exzessive Gewalt anwenden, haben viele von ihnen bereits vorher Beschwerden wegen rassistischer Sprache oder unangemessener Maßnahmen auf sich gezogen. Das darf nicht einfach in einem Ordner verschwinden. Und es geht um die Methoden, die in der Polizei angewendet werden. Ich bin sicher, dass viele in unserem Team es lieber gesehen hätten, wenn wir gesagt hätten, dass wir niemals wieder mit der Polizei zusammenarbeiten werden. Aber ich bin Direktorin einer öffentlichen Institution und Teil der Zivilgesellschaft, und ich glaube an Institutionen. Die Polizei in den USA wird nicht verschwinden, aber ich glaube, dass sie sich verändern kann. Und wir müssen diese Veränderung einfordern.


Viele Menschen aus der Black Community sind nicht gerade hoffnungsvoll, dass sich etwas ändert …

Das verstehe ich. Und es wird sich sicher nichts über Nacht ändern. Aber es gibt erste Zeichen, dass das Stadtparlament in Minneapolis die Kontrolle verstärken und dafür sorgen will, dass bestimmte Anrufe nicht mehr bei der Polizei, sondern bei Rettungskräften oder Sozialarbeitern landen. Dass es in bestimmten Fällen erst gar nicht zum Polizeieinsatz kommt. Ich weiß nicht, ob diese Reformen wirklich passieren werden, aber die Leute rufen danach – "genug ist genug". Es fühlt sich tatsächlich anders an diesmal.

Haben Sie Bedenken gehabt, dass die Aktion zur gesellschaftlichen Spaltung beitragen könnte? Es gibt ja auch den Einwand, man dürfe die Polizei nicht unter Generalverdacht stellen.

Ja, darüber habe ich gerade am Anfang viel nachgedacht. Es ist auch richtig, dass auch in unserem Team nicht alle uneingeschränkt für dieses Statement waren. Bisher waren die Reaktionen aber überwältigend positiv, ich habe Nachrichten von Kolleginnen und Kollegen bekommen, die ähnliche Maßnahmen erwägen. Wie gesagt ging Kritik eher in die Richtung, dass man die Zusammenarbeit bedingungslos und dauerhaft aufkündigen sollte. Aber ich will auch darauf hinweisen, dass wir einen neuen Polizeichef haben, der alle vier Beamte, die am Tod von George Floyd beteiligt waren, innerhalb von 24 Stunden entlassen hat. Das passiert sonst nie bei polizeilichem Fehlverhalten. Die Beamten werden monatelang bezahlt beurlaubt, während gestritten wird, ob man sie zur Verantwortung ziehen kann. Das war diesmal anders und ich finde, dass sollte gewürdigt werden, damit der Wandel weitergehen kann. Mir ist bewusst, dass wir eine harte Botschaft gesendet haben, aber ich hoffe, dass sie eher überzeugend als spaltend wirkt.  

Welche Rolle kommt einem Museum in der derzeitigen Situation zu? Jede Handlung und jede Äußerung ist hochpolitisch.

Ja, es gibt keine Kunst ohne Politik und keine Politik ohne Kunst. Kunstinstitutionen sind Teil der Zivilgesellschaft, wir sind ein großer Arbeitgeber, wir haben eine Rolle in unserer Community zu erfüllen. Wir müssen jetzt sehen, welche Ressourcen wir nutzen können, um unsere Stadt und unsere Gemeinschaft in Richtung von Heilung und Erholung zu begleiten. Die letzten Wochen waren niederschmetternd. Ganze Stadtteile in Minneapolis sind ohne Supermärkte oder Apotheken, Menschen haben wegen der Feuer keinen Strom. Es gibt viel wiederherzustellen und die Communitys sind unermüdlich. Es findet eine Mobilisierung von Dollars und Einsatzkraft statt, was großartig ist. Wir wollen nun sehen, was wir beitragen können. Und der andere Punkt ist natürlich, dass wir daran arbeiten müssen, eine bessere Institution zu werden.

Was heißt besser in diesem Fall?

Wir müssen in unseren Strukturen stärker anti-rassistisch agieren. Schauen, wer in unserem Team und in unserem Beirat ist. Sind wir so gut mit unserer Community verbunden, wie wir es sein sollten? Geben wir Stimmen eine Plattform, die oft nicht gehört wurden? Museen haben eine gute Arbeit gemacht, programmatisch auf Politik und speziell Rassismus zu reagieren. Das Walker Art Center hat traditionell viel mit Schwarzen Künstlern und politischen Positionen gearbeitet. Unsere Sammlung ist wahrscheinlich diverser und politischer als viele andere. Aber das heißt nicht unbedingt, dass sich an den systemischen Problemen etwas geändert hat. Wer bekommt die Stelle in einem Kunstmuseum? Wer kann es sich leisten, ein unbezahltes Praktikum zu machen? Diese Woche haben wir beschlossen, dass wir nur noch bezahlte Praktika anbieten. Darüber reden wir schon lange, aber jetzt war die Entscheidung unbedingt nötig. Und wir müssen proaktiv dort Bewerber suchen, wo wir bisher nicht unbedingt hingeschaut haben. Eben nicht die Studierenden an privaten Kunstuniversitäten. Es ist ein Langzeitprozess, auf den wir uns jetzt konzentrieren müssen.